„Längst die Kontrolle verloren“

Prof. Christoph Schumann (Bild: privat)
Prof. Christoph Schumann (Bild: privat)

Es war nicht das erste Mal in den vergangenen Monaten, aber diesmal blieb es nicht bei einer Drohung. Nach dem syrischen Raketenbeschuss des türkischen Grenzortes Akçakale schoss das türkische Militär zurück. Und obwohl der UN-Sicherheitsrat den syrischen Angriff scharf verurteilt hat, bleibt die Angst vor einer Eskalation bestehen. Ob diese Furcht berechtigt ist, beantwortet Prof. Christoph Schumann, Professor für Zeitgeschichte/Politikwissenschaft des Nahen und Mittleren Ostens der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Mit dem syrisch-türkischen Schlagabtausch an der Grenze und in den Medien ist definitiv eine neue Stufe der Eskalation erreicht. Alleine die Konzentration von militärischen Kräften an beiden Seiten der Grenze lässt die Gefahr einer weiteren Zuspitzung wachsen. Zwar gehe ich davon aus, dass tatsächlich beide Seiten eigentlich kein Interesse an einer kriegerischen Auseinandersetzung haben, aber sie haben längst die Kontrolle über den Gang der Entwicklung verloren. Die grenzüberschreitenden Aktivitäten der Oppositionskräfte und ebenso der kurdischen Guerilla erschweren die Einschätzung der Situation in den Grenzgebieten erheblich. Hinzu kommt der Druck der öffentlichen Meinung, insbesondere auf den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, von dem erwartet wird, dass er seinen zum Teil großspurigen Worten nun auch Taten folgen lassen soll.

Doch wer könnte von einer Eskalation profitieren? Diese Art von Konflikten lässt sich nicht immer leicht danach beurteilen, wem sie nutzen – im Sinne der klassischen Frage „Cui bono?“. Dennoch ist zu beobachten, dass Saudi-Arabien und Katar große Summen in die syrische Revolte investieren, ohne die Lasten der Auseinandersetzung, zum Beispiel in Form von Flüchtlingsströmen, tragen zu wollen. Russland unterstützt zwar das syrische Regime, aber hat gewiss keinerlei Interesse an einer Ausweitung des Konflikts. So bleibt zu hoffen, dass Russland zumindest vorsichtig beginnt, dem syrischen Regime im UN-Sicherheitsrat rote Linien aufzuzeigen, die es tunlichst in Zukunft nicht mehr überschreiten sollte.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Christoph Schumann
Tel.: 09131/85-22315
christoph.schumann@polwiss.phil.uni-erlangen.de