Forscher mit (E-)Drive

Prof. Dr. Jörg Franke
Prof. Dr. Jörg Franke (Bild: FAU)

Jörg Franke koordiniert drei zentrale Forschungsprojekte zum Thema Energie

Die FAU entwickelt sich zu einem führenden Zentrum der Energieforschung – nicht zuletzt dank der großzügigen Mittel, die das Land im Rahmen der Initiative „Aufbruch Bayern“ zur Verfügung stellt. Gleich drei Projekte, die sich mit Energiekonzepten der Zukunft beschäftigen, werden von Prof. Dr. Jörg Franke koordiniert: das E|Drive-Center, das E|Home-Center und der Forschungsverbund Green Factory. Wir haben mit dem Inhaber des Lehrstuhls für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) über Aufgaben und Ziele gesprochen.

Das E|Drive- und das E|Home-Center sowie der Forschungsverbund Green Factory beschäftigen sich mit Lebensbereichen, die 85 Prozent des gesamten Energieverbrauchs abdecken. Gibt es deutschlandweit oder international einen ähnlich komplexen Forschungsschwerpunkt zu diesem Thema?

Auch wenn sich weltweit viele renommierte Hochschulen mit dem Megatrend Energie beschäftigen, ist die kraftvolle Kombination der Forschungsfelder zur effizienten Nutzung der Energie im privaten Wohnbereich, in der Produktion und in der Mobilität unter einem Dach – dem des Energie Campus Nürnberg – zweifelsfrei einzigartig. Der Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik hat jedoch nur die Koordination dieser Aufgaben übertragen bekommen – die komplexen Herausforderungen sind nur in enger Kooperation mit allen kompetenten Wissenschaftlern der FAU zu lösen.

Sind denn durch die Bündelung der drei Projekte unter dem Dach des FAPS konkrete Synergien zu erwarten?

Auf jeden Fall! Die koordinierte Erforschung von Methoden und Technologien zur effizienten Ressourcennutzung im Haushalt, in der Arbeit und auf der Reise birgt erhebliche Synergien. Beispielsweise sind Verfahren zur dezentralen Energieerzeugung, -speicherung und zur Anbindung an das intelligente Stromnetz, zur Wärmeerzeugung, -isolation und -regenerierung, zum energieeffizienten Antrieb oder zur stromsparenden Beleuchtung jeweils in allen Anwendungsbereichen von hoher Bedeutung – und die dafür entwickelten Lösungen häufig sehr gut übertragbar.

Haben die Bereiche ein gemeinsames Ziel – etwa einen definierten Prozentsatz an Energie einzusparen?

Das gemeinsame Ziel für jede gesellschaftliche Einheit – egal ob Land, Kommune, Produktionsstandort oder Wohneinheit – ist es, möglichst energieautark zu agieren. Dieses anspruchsvolle Ziel kann nur erreicht werden, wenn zugleich der Energieverbrauch minimiert, die Energieerzeugung dezentralisiert und jede Nutzerebene Zeiten des Energieüberschusses und des Energiebedarfes durch eigene Speicher überbrücken kann.

Nehmen wir die Green Factory als Beispiel: Was bedeutet energieautarke Produktion hier genau?

Fertigende Unternehmen werden mit den konzertierten Anstrengungen der dezentralen Green Factorys in Bayern zukünftig nicht nur deutlich energieeffizienter produzieren, sondern auch verstärkt eigenständig elektrischen Strom generieren und speichern können. Durch die konsequente Nutzung dieser Möglichkeiten werden bald erste Produktionswerke durchschnittlich nicht mehr Energie verbrauchen als sie selbst erzeugen können.

Im privaten Haushalt sollen Energieeffizienz und -management durch integrierte, ergonomische Wohnlösungen verbessert werden. Woran krankt es denn bisher?

Betrachtet man den heutigen Stand, so gibt es im Grunde nur isolierte Einzellösungen im Wohnbereich, während in modernen Fabriken oder auch im Automobil die meisten Einzelfunktionen voll integriert zusammenspielen. Beispiel Heizung: Pelletheizung im Keller, solarthermische Anlage auf dem Dach und kontrollierte Wohnraumbelüftung sind nicht ohne erheblichen Programmieraufwand aufeinander abstimmbar. In den meisten Fällen funktioniert solch eine Abstimmung technisch überhaupt nicht. Der Heizungsinstallateur von nebenan ist komplett überfordert mit der Abstimmung der Teilsysteme, der Bewohner erst recht. Die Beispiele dieser Art im privaten Haushalt sind zahllos.

Und hier wird das E|Home-Center Abhilfe schaffen?

Das E|Home-Center entwickelt integrierte Lösungen, Produkte und Dienstleistungen und konzentriert sich dabei auf die Bedarfsfelder Energiemanagement (Energie erzeugen, speichern, verteilen und nutzen), Komfort und Sicherheit (Sensorik, Aktorik, altersgerechtes und selbstbestimmtes Wohnen) sowie Infotainment (Kommunikation, Information und Unterhaltung). Alle Lösungen werden sowohl virtuell im Internet präsentiert und können simulativ bedient werden. Außerdem baut das E|Home-Center mit freundlicher Unterstützung von privaten Sponsoren mehrere Musterwohnanlagen auf, in denen Testbewohner später die Entwicklungsergebnisse live erleben können.

Kann ich mein Haus oder meine Wohnung später einmal nach einem E|Home-Center-Konzept umbauen lassen?

Ja, da alle Entwicklungen des E|Home-Centers in Zusammenarbeit mit den kooperierenden Unternehmen möglichst zeitnah in die Anwendung transferiert werden. Da der Hebel bei sanierungsbedürftigen Bestandsbauten am größten ist, konzentrieren wir uns zuerst auf Mehrfamilienhäuser und Wohnanlagen in der Stadt.

Das E|Drive-Center verfolgt einen ähnlich integrierten Ansatz – nur eben im Bereich Mobilität. Wie steht es hier mit dem Interesse der Industrie?

Das Interesse ist riesig. Bisher wurden 32 Projekte mit insgesamt über 40 führenden bayerischen Unternehmen gestartet bzw. abgeschlossen. Diese Projekte werden teilweise von den Kooperationspartnern direkt oder über öffentliche Fördermittelgeber wie das Bundesforschungsministerium (BMBF), das Bundeswirtschaftsministerium (BMWI), die Bayerische Forschungsstiftung oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert.

Gibt es besonders wichtige oder große Projekte darunter?

Im Rahmen der BMBF-Ausschreibung „Strom 1“ konnte der Verbundantrag „MORE“ mit sieben Industriepartnern, u.a. Siemens und Daimler, zum Thema „Magnetrecycling von Elektromotoren“ zur Sicherung der Rohstoffverfügbarkeit von Seltenerdmetallen in Deutschland erfolgreich gestartet werden. Im Rahmen der BMBF-Ausschreibung „Serienflexible Technologien für elektrische Antriebe von Fahrzeugen“ konnte außerdem ein Verbundprojekt mit fünf Industriepartnern unter Führung von BMW zum Thema „Hochflexible Produktionssysteme für effizienzgesteigerte E-Traktionsantriebe (HeP-E)“ erfolgreich eingeworben werden. Auf Basis der Vorarbeiten des E|Drive-Centers konnte darüber hinaus das Verbundprojekt eProduction mit Audi gewonnen werden. Hier arbeiten Hochschulinstitute und Unternehmen zur virtuellen Absicherung von Hochvoltkomponenten für die Elektromobilität zusammen.

Haben sich aus den Projekten bereits praktische Anwendungen im industriellen Maßstab entwickelt?

Im E|Drive-Center konnten bereits zehn industriell nutzbare Erfindungen entwickelt werden, mehrere Unternehmen bei der Konzeption, Planung und Simulation automatisierter Elektromotoren-Produktionsanlagen unterstützt und weitere bestehende Fertigungen systematisch optimiert werden. Zusammen mit Maschinen- und Anlagenbauern werden derzeit völlig neue Prozesse zur effizienten Motorenmontage entwickelt. Mit der internationalen Konferenz zur Elektromotorenproduktion, der E|DPC (Electric Drives Production Conference), die die FAU mitorganisiert und die im Oktober zum dritten Mal stattfinden wird, konnte die weltweit bedeutendste Plattform zum wissenschaftlichen Austausch in diesem Bereich etabliert werden. Das neu aufgebaute Forschungslabor zur Elektromotorenproduktion des E|Drive-Centers auf dem ehemaligen AEG-Gelände in Nürnberg ist auf dem aktuellen Stand der Technik insbesondere zum Elektroblechlaserschneiden und -paketieren, zur Rotoren- und Statoren-Montage, zur Kontaktierung sowie zur Endmontage und Prüfung. In den nächsten Arbeitsschritten sollen, vor dem Hintergrund der geplanten Energiewende, die Einsparpotenziale durch eine Reduktion des Energiebedarfs in der Elektromotorenproduktion aufgezeigt und die Unternehmen diesbezüglich sensibilisiert werden. Hierbei wird die gesamte Produktionskette der Elektromotorenfertigung in Projekten unter ressourcenschonenden und energieeffizienten Gesichtspunkten erforscht und schließlich anlagentechnisch optimiert.

Es gibt kritische Stimmen, die der deutschen Automobilindustrie vorwerfen, die Entwicklung elektrischer Antriebskonzepte verschlafen zu haben. Könnte die intensive Forschung entlang der gesamten Prozesskette, wie sie im E|Drive-Center betrieben wird, diesen Rückstand wettmachen?

Mit dem E|Drive-Center konnte in kürzester Zeit erfolgreich eine Forschungsfabrik mit internationaler Strahlkraft im Forschungsfeld des Elektromaschinenbaus aufgebaut werden. Die Wertschöpfungspotenziale am Automobilstandort Bayern, vor allem aber auch im Industriemotorensektor, werden somit signifikant gestärkt. Darüber hinaus werden die dringend für die Produktion des elektrischen Antriebsstrangs der Zukunft erforderlichen Ingenieure ausgebildet. Hierfür wird derzeit zusammen mit der Virtuellen Hochschule Bayern eine eigene Vorlesung zum Thema Elektromaschinenbau entwickelt.

Im Verbundprojekt Green Factory sollen die gewonnenen Erkenntnisse in Modellfabriken umgesetzt werden. Wie soll der weitere Transfer in die Praxis erfolgen?

Das Vorgehen zum Technologietransfer ist klar umrissen: Möglichst alle Entwicklungen sollen gemeinsam zwischen Forschungsstätten, Technologieanbieter und produzierenden Unternehmen bearbeitet werden. Die Forschungsergebnisse aller Projekte werden regelmäßig öffentlich vorgestellt. Die dazu geplanten Fachforen werden reihum in den verschiedenen Green Factorys veranstaltet, um möglichst alle potenziellen Technologieanwender der Region zu erreichen. Einmal im Jahr wird zudem in einer großen Fachkonferenz der Stand der Forschung kompakt präsentiert. Praktische Maßnahmen und Benchmarking-Ergebnisse sollen in einer internetbasierten Datenbank gespeichert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Die komprimierten Informationen werden in Form von Checklisten aufbereitet. Selbstverständlich werden die neuen Entwicklungen auch im Rahmen von Fachartikeln publiziert. Die wichtigste Form des Technologietransfers funktioniert jedoch über gut ausgebildete Ingenieure, die ihr aktuelles Fachwissen in die industrielle Anwendung mitnehmen.

Eine letzte, eher umweltpolitische Frage: Unternehmen mit energieintensiver Produktion können sich von der aktuellen Strompreiserhöhung zur Finanzierung erneuerbarer Energien befreien lassen. Geht damit nicht ein entscheidender Anreiz verloren, in neue energiesparende Technologien zu investieren?

Die industrielle Produktion ist der wichtigste Beschäftigungsbereich in Deutschland und Grundlage für unseren Wohlstand. Es wäre sicher unklug, die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen durch finanzielle Sanktionen zu konterkarieren. Die bayerischen Unternehmen haben die Bedeutung ressourceneffizienter Produktion frühzeitig auch ohne politischen Druck verstanden und sind in der Entwicklung und Anwendung ressourcenschonender Produktionstechnologien weltweit führend.