Die nächsten 50 Jahre: eine Zeitreise in die Zukunft des ZDF

Dr. Sven Grampp (Bild: privat)
Dr. Sven Grampp (Bild: privat)

Am 1. April um Punkt 19.30 Uhr wird das Zweite Deutsche Fernsehen ein halbes Jahrhundert auf Sendung sein. Ein guter Anlass, um einen Blick in die Zukunft dieses Senders zu werfen, der als zentralistisch organisierte Erweiterung und Konkurrenz zum Programm der regional strukturierten ARD ins Leben gerufen wurde. Dr. Sven Grampp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Theater- und Medienwissenschaft der FAU, erklärt, warum es das ZDF auch die nächsten 50 Jahre noch geben wird.


Anlässlich von 50 Jahren ZDF darf sich der Zuschauer auf Jubiläumssendungen freuen – drapiert mit Mainzelmännchen, die ihr „Gudn Aamd!“ grölen –, auf schunkelnde Menschenmassen aus dem „ZDF-Fernsehgarten“, Rückblicke auf die atemberaubenden Expeditionen des Traumschiffs und natürlich die größten Momente aus der (immer noch und trotz allem) erfolgreichsten Unterhaltungssendung Europas, nämlich „Wetten, dass …?“. Doch wie wird das ZDF in 50 Jahren aussehen?

Zumindest die Antwort der Skeptiker dürfte klar ausfallen: Der Mainzer Lerchenberg, Hauptsitz des ZDF, wird nur noch eine Ruine sein – und das zu Recht! Die maßgeblichen Argumente für den Untergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Allgemeinen und dem ZDF im Speziellen sind schnell aufgezählt: Zum einen ist es nicht mehr zeitgemäß – die vielen Privatsender machen ein staatliches „Zwangs-Pay-TV“ (Dieter Thoma) überflüssig – zum anderen erfüllt es seinen Bildungsauftrag nicht: Formate wie Volksmusik, Kochshows oder Champions League entsprechen nicht dem, was im Rundfunkstaatsvertrag versprochen wird. Und außerdem schauen sowieso nur noch Senioren öffentlich-rechtliches Fernsehen.

Solche Argumente verdienen es, ernst genommen zu werden. Jedoch sehe ich deren gebetsmühlenartige Wiederholung, auch und gerade ‚in den Medien‘, skeptisch. Zumindest reizen solche Unkenrufe dazu, die Zukunft des ZDF rosiger betrachten zu wollen – und dafür gibt es auch gute Gründe.

Das ZDF ist ein Garant für vergleichsweise wirtschaftlich unabhängige, gleichsam staatsferne und überall frei zugängliche Informationsvermittlung. Ob damit die Welt besser oder richtiger ins Bild kommt als im Privatfernsehen, ist damit nicht gesagt. Zumindest kommt sie aber mit erheblichem Glaubwürdigkeitsvorsprung. So wird das ZDF auch zukünftig wichtig sein für das Vertrauen in die (Medien-)Welt.

Zudem bietet das ZDF nicht nur den „ZDF-Fernsehgarten“ oder „Wetten, dass…?“. Gerade seine häufig gescholtenen, weil nicht mit hohen Einschaltquoten gesegneten Spartensendern, beweisen, wie experimentierfreudig das ZDF sein kann. So werden etwa auf ZDFinfo mit neuen Formen der Publikumspartizipation an der Programmgestaltung via Chat oder Twitter experimentiert. Oder man denke an die Unterhaltungssendung „neoParadise“, moderiert vom inzwischen zu Ruhm und Ehre gelangten Duo Joko und Klaas: Erfolgreich auf ZDFneo getestet, firmiert das Format aktuell auf Pro 7 in der Prime Time unter dem Namen „Circus HalliGalli“.

Dem Argument, dass Menschen immer weniger fernsehen und die meisten stattdessen längst ins Internet abgewandert seien, stellt das ZDF Verschränkungen von Fernseh- und Onlineangeboten entgegen. Der Sender hat nicht nur eine reich bestückte Mediathek und einen YouTube-Kanal, er produziert auch  Angebote wie „heute in 100 Sekunden“, die ausschließlich im Netz zu sehen sind. Andersherum gilt: Das Internet dient der Ausweitung der televisuellen Programmzone. So wurde etwa bei den Olympischen Spielen in London nicht nur das 10-Meter-Turmsprungfinale der Damen live im Fernsehen übertragen. Parallel dazu konnten die Zuschauer auf der ZDF-Homepage das gleichzeitig stattfindende Fußball-Vorrundenspiel Großbritannien gegen die Vereinigte Arabische Emirate verfolgen.

Und wenn man das ZDF dafür kritisiert, dass nur noch alte Menschen zuschauen, wird meist übersehen: In Deutschland gibt es durch den anhaltenden demografischen Wandel immer mehr alte Menschen. Das schlägt sich auch in den Zuschauerstatistiken nieder. So liegt etwa das Durchschnittsalter beim Privatsender Sat.1 bei 51 Jahren ­– das ist vom ZDF-Schnitt von knapp 60 Jahren nicht allzu weit entfernt. Und zudem ist das Fernsehen laut Statistiken besonders attraktiv für Menschen mit viel Freizeit. Mit Blick auf den demografischen Wandel müsste man also für die Zukunft sehr viel eher eine Zunahme der Fernsehrezeption prognostizieren als das Ende des Fernsehens. Bleibt die Frage, warum das Fernsehen für Menschen mit viel freier Zeit so attraktiv ist. Damit sind wir beim entscheidenden Punkt, warum auch noch in fünfzig Jahren das ZDF als Sender existieren wird, mit Programmen, die einem linearen Zeitschema folgen, rund um die Uhr senden und serielle Formate bevorzugen: Der Zuschauer erhält so eine klare, mit minimalem Aufwand verbundene Zeitstrukturierung bei gleichzeitigem Versprechen auf Entspannung. Genau das macht den Erfolg von Kochsendungen, der Champions League oder dem „ZDF-Fernsehgarten“ aus.

Und so habe ich eine ganz konkrete Vorstellung vom Programmangebot des ZDF in fünfzig Jahren: Der Sender wird immer noch die erfolgreichste Show Europas im Programm haben. Diese ist die im Jahr 2020 wieder ins Programm genommene „Superhitparade der Volksmusik“. Mit souveräner Selbstironie und einem Hauch von Anarchie führen das inzwischen ergraute Moderatorenduo Joko und Klaas durch das Programm. Im Netz ist eine 3D-App zur Sendung erhältlich, mitsamt Voting-Funktion und Instant-Kommentaroption. Gesendet wird Samstagabend vom ZDF-Fernsehgarten aus. Schwarz-weiße Retro-Mainzelmännchen aus den 1960er Jahren begrüßen uns mit einem extra lang gezogenen: „Gudn Aamd!“.

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Dr. Sven Grampp
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