Greifbare Mathematik

Dieses Fadenmodell stellt die FAU-Experten zurzeit noch vor ein Rätsel: Hier müssen sie noch recherchieren, welches mathematische Problem damit veranschaulicht werden sollte. Schön anzuschauen ist es allemal. (Bild: Georg Pöhlein)
Dieses Fadenmodell stellt die FAU-Experten zurzeit noch vor ein Rätsel: Hier müssen sie noch recherchieren, welches mathematische Problem damit veranschaulicht werden sollte. Schön anzuschauen ist es allemal. (Bild: Georg Pöhlein)

FAU macht einzigartige Sammlung mathematischer Modelle zugänglich

Funktionen, Gleichungen, geometrische Formeln – wer sich mit Mathematik befasst, kommt ohne eine gehörige Portion abstrakten Denkens nicht aus. Ein Problem war das zu allen Zeiten für diejenigen, die sich die Grundlagen dieses Fachs erst mühsam erarbeiten mussten: Schüler und Schülerinnen, Studentinnen und Studenten. Mathematische Modelle sollten den Lernenden diesen Zugang erleichtern, Mathematik anschaulich und greifbar machen. So zumindest die Lehrmeinung im 19. Jahrhundert.

Eine umfangreiche Sammlung verloren geglaubter Modelle kam an der FAU ganz unvermutet wieder ans Licht. Sie ist die erste ihrer Art in Deutschland und soll nun Schritt für Schritt wissenschaftshistorisch aufbereitet werden. Eine Auswahl von Modellen ist – als kleiner Vorgeschmack – ab dem 28. Februar 2014 im Erlanger Schloss zu sehen.

Wissenschaft braucht Anschauung. Nur mit Modellen kann es gelingen, komplexe Körper, Kurven, Flächen oder Funktionen visuell und haptisch erfahrbar zu machen. Schon in seiner Antrittsvorlesung als Ordinarius der Mathematik an der FAU betonte Felix Klein, einer der bedeutendsten Mathematiker des 19. Jahrhunderts, die Notwendigkeit eines auf Anschaulichkeit und Selbsttätigkeit ausgerichteten Unterrichts. Diese Erkenntnis veranlasste ihn dazu, während seines Aufenthalts in Erlangen von 1872 bis 1874 ein großes Projekt in Angriff zu nehmen: Für die von ihm veranstalteten „Uebungen im geometrischen Zeichnen und Modellieren“ ließ er eigens einen Zeichensaal sowie eine Modellsammlung einrichten.

Klein, damals erst 23 Jahre alt, gehörte zu den Pionieren dieser These, was nicht verwundert: Hatte er sich doch, weit mehr als andere Wissenschaftler seiner Zeit, der Lehre gewidmet. Insgesamt aber hatte sich in der Gelehrtenwelt auch fächerübergreifend die Meinung etabliert, dass Modelle prinzipiell hervorragende Lehrmittel seien. Ihre Blütezeit erlebten diese demnach im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, als man sich an vielen Hochschulen um mehr Anschaulichkeit in der universitären Ausbildung bemühte. Ab den 1920er Jahren verloren die Modelle zunehmend an Bedeutung: aus ökonomischen Gründen, aber auch, weil eine immer abstrakter werdende Mathematik sich mathematischen Fragestellungen mit veränderten Erkenntnisinteressen widmete – und entsprechend andere Inhalte vermitteln wollte. Die anschaulichen Modelle gerieten darüber vielerorts in Vergessenheit.

So auch in Erlangen. Erst mit dem Umzug der beiden mathematischen Institute auf den Campus Erlangen Süd kam ein Teil der bereits verloren geglaubten Lehrmittel wieder zum Vorschein. Der Bestand umfasst heute noch etwa 170 Objekte, die derzeit entstaubt und durch die Zentralkustodie wissenschaftlich dokumentiert werden. Die meisten der Erlanger Modelle veranschaulichen geometrische Sachverhalte. In der Mehrzahl bestehen sie aus Gips, einige wenige aus Holz, Karton oder auch aus Draht, Faden und Messing. Die Modelle wurden anfänglich in Handarbeit gefertigt, nicht selten von den Studierenden selbst. Später übernahmen gewerbliche Betriebe die Herstellung und vertrieben ganze Modellserien, deren Erwerb durchaus kostspielig war.

Die Faszination, die sie auch heute noch auslösen, verdankt sich insbesondere ihrem ästhetischen Reiz. Nicht ohne Grund traten mathematische Modelle in der modernen und zeitgenössischen Kunst wiederholt als Motive und Ausstellungsobjekte in Erscheinung, wie etwa im Konstruktivismus oder Surrealismus. Ihre Ästhetik und die hohe handwerkliche Kunst ihrer Herstellung lassen sie bisweilen sogar selbst als Kunstwerke erscheinen.

Die Sammlung ist im Felix-Klein-Gebäude der FAU in der Cauerstraße 11 untergebracht und öffentlich zugänglich. Sie gilt als erste Lehrsammlung dieser Art in Deutschland.

Informationen für die Medien:

Udo Andraschke
Tel.: 09131/85-20745
udo.andraschke@fau.de

Dr. Johannes Hild
Tel.: 9131/85-67063
johannes.hild@fau.de