Ines Brunn

Ines Brunn
Ines Brunn in ihrem Pekinger Fahrradgeschäft "Natooke". Foto: Matjaž Tančič

Vom Teilchenbeschleuniger zum Drahtesel

Ines Brunn, aufgewachsen in den USA und in der Nähe von Erlangen, studierte von 1995 bis 2001 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Physik. Nach ihrer Diplomarbeit wusste sie zwei Dinge: Sie will nicht Wissenschaftlerin werden und die Arbeit mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen macht ihr Spaß.

Nach dem Studium arbeitete sie bei einem Hersteller für Kommunikations- und Messtechnik und wurde auf eigenen Wunsch nach Peking entsandt. Im Jahr 2009 machte sie sich dort mit ihrem Geschäft „Natooke“ selbstständig,  in dem sie so genannte  Fixies – Fahrräder ohne Freilauf und nur einem Gang – verkauft. Die 13 Mitarbeiter bauen pro Jahr rund 600 quietschbunte Fixies ganz nach Kundenwunsch zusammen. Daneben setzt sich die leidenschaftliche (Kunst-)Radfahrerin dafür ein, mehr Menschen in China zum Fahrradfahren zu animieren.

Im Jahr 2001 haben Sie Ihr Physik-Studium an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg abgeschlossen. Heute verkaufen Sie als erfolgreiche Unternehmerin Spezial-Fahrräder in Peking. Wie kam es zu diesem ungewöhnlichen Karriereweg?

Schon in der Schule fielen mir Mathematik und Physik leicht, so dass ich auch während meines Physikstudiums viel Freiraum hatte: Nebenher konnte ich intensiv meinen Kunstradsport betrei-ben, den ich schon mit 13 Jahren begonnen hatte. 1998 bin ich übrigens bei der ZDF Fernseh-sendung „Wetten Dass…?“ mit meiner Wette, auf dem Lenker meines Fahrrades stehend einen Pfannkuchen zu backen, Wettkönigin des Abends geworden!

Meine Diplomarbeit habe ich dann beim Teilchenbeschleuniger DESY in Hamburg gemacht. Mir wurde dabei bewusst, dass mir multi-kulturelles Arbeiten sehr viel Spaß bereitet, aber auch, dass ich kein reiner Forschertyp bin. Nach dem Studienabschluss arbeitete ich zunächst im internationalen Vertriebsmarketing einer Telekommunikationsmesstechnikfirma. 2004 wurde ich auf eigenen Wunsch für zwei Jahre nach Peking entsandt. Da sich die Verkäufe unserer Firma schlagartig verbessert hatten, stimmte die Firma zu, dass ich dauerhaft in Peking bleiben kann. Dann kam ich irgendwann auf den Gedanken, die Menschen dort vom Radfahren zu überzeugen…

In China gelten Autos als Statussymbol, die gerade in Großstädten wie Peking regelmäßig zu gesundheitsschädlichem Smog führen. Die Idee, Menschen für das Fahrradfahren zu begeistern, scheint da sehr gewagt…

Mir kam das vor, als läge das auf der Hand – das ist doch genau das, was gemacht werden muss! Ich habe miterlebt, wie sich Peking immer mehr zu einer Autostadt entwickelt hat. Das tat mir in der Seele weh. Ich bin überzeugt, dass moderne, wohnliche Städte eine gute Infrastruktur für das Fahrrad haben müssen. In China steht das Fahrrad jedoch für Armut. Diese Meinung ändert sich jetzt langsam.

Vor sieben Jahren habe ich eine „Fixed Gear Bike“-Gruppe gegründet. In großen Metropolen nutzen Fahrradkuriere diese „Fixies“, die keinen Freilauf und nur einen Gang haben – und gelten als hip. Ein Freund meinte zu mir, wenn ich wirklich die Einstellung der Menschen ändern möchte, dann müsste ich einen Fahrradladen eröffnen, damit die Leute an diese stylishen Fahrräder kommen.

Wie sieht „Ihr“ Peking in 50 Jahren aus?

Ich wünsche mir blauen Himmel, bessere Luft, weniger Stau, große verkehrsberuhigte Gebiete in der Innenstadt, Bereiche nur für nicht motorisierten Verkehr, mehr einheimische Bäume entlang der Straßen, das Nicht-Abreißen traditioneller Gebäude, mehr Menschen, die sich sozial und für die Umwelt einsetzen und dass die interessante chinesische Kultur erhalten und nicht vom westlichen Konsum verdrängt wird.

Was vermissen Sie in China am meisten?

Das eigenständige strukturierte Arbeiten, der Fokus auf die Details und manchmal mehr Rücksicht. Als Unternehmerin wäre es mir sehr recht, wenn meine chinesischen Mitarbeiter selbstständiger arbeiten würden. Auch wird meist nicht so genau auf Details geachtet, wie ich es als Deutsche gerne hätte. Und die meisten Chinesen versuchen sich in einen Fahrstuhl oder die U-Bahn zu drängen, obwohl die anderen Leute noch nicht ausgestiegen sind.

Und was gar nicht?

Bier. Die Chinesen glauben zwar, jeder Deutsche würde Bier trinken. Daher sage ich immer aus Spaß, dass ich aus Deutschland nach China abgeschoben wurde, denn Deutschland möchte keine „Nicht-Bier-Trinkerin“ im Lande haben. Manchem Chinesen muss ich dann aber sofort erklären, dass dies nur ein Witz war, denn manche glauben, dass es tatsächlich so sei.

Was mir auch nicht fehlt: das Planen. Selbst mit Freunden muss man sich in Deutschland Wochen vorher verabreden. Hier geschieht alles spontaner. Das gilt teilweise auch für Geschäftsmeetings, die aber deswegen nicht qualitativ schlechter sind. Diese Spontanität geht oft einher mit pragmatischen Lösungen. Es sind vielleicht nicht die perfektesten Lösungen, doch beheben sie das Problem häufig viel schneller.

Welche Bedeutung hat Ihr Studium für Ihr heutiges Berufsleben?

Das Studium hat mir sehr viel gegeben. Ich habe als Physikerin gelernt, Probleme als Ganzes von weiterer Entfernung zu betrachten und mir Lösungen für das Ganze zu überlegen. In meinem Job in der Telekomfirma waren fast alle direkten Kollegen Elektroingenieure. Ich bin an Probleme ganz anders heran gegangen als sie, und das hat unserem Team und dem Geschäft viel gebracht. Diese Herangehensweise hilft mir auch heute als Unternehmerin.

Und natürlich hilft technisches Verständnis beim Designen eines neuen Fahrradrahmens und auch beim Ver-ständnis, welche Materialien man für welche Fahrradteile verwenden kann. Ich habe es noch nie bereut, Physik studiert zu haben. Und es hat mir an der FAU sehr viel Spaß gemacht.

Welche Tipps haben Sie für Studierende, die sich selbstständig machen möchten?

Ich hatte nach rund sechs Jahren in der Telekomfirma angefangen zu überlegen, ob ich mich selbstständig machen könnte. Natürlich dachte ich immer an „Irgendwas mit Technik“. Nun mache ich, was ich liebe. Ich glaube das ist besser.

Egal was man studiert hat, ist es gut, etwas zu tun, was einem wirklich Freude macht. Man sollte sich auch nicht davor scheuen, sich in einem fremden Land selbstständig zu machen. Das ist gar nicht viel schwieriger als in Deutschland.

Im vergangenen Jahr bekamen Sie hohen Besuch von Ihrer ehemaligen Universität – wie war das?

Mein ehemaliger Professor Erhard Steffens und Kanzler Thomas A.H. Schöck kamen mit anderen Professoren und Freunden während Ihrer Chinareise in Peking vorbei. Wir hatten ausgemacht, dass ich ihnen meinen Laden zeige und wir mit der ganzen Gruppe danach gemeinsam Peking Ente essen gehen.

Am Tag zuvor hatte ich das Dokumentarfernsehteam vom Chinesischen Nationalfernsehen den ganzen Tag bei mir. Sie wollten noch weitere Tage filmen. Ich sagte, dass das leider nicht möglich sei, da ich Besuch von der Uni Erlangen erwartete. Daraufhin sprang die Fernsehdirektorin begeistert auf und sagte, dass sie dieses Ereignis unbedingt filmen müsse. So kam es, dass die Reisegruppe in meinem Geschäft Teil eines Dokumentarfilms wurde, der nicht nur in China, sondern auch in vielen anderen Ländern gezeigt wurde.

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren ehemaligen Kommilitoninnen und Kommilitonen? Was bedeutet Ihnen diese Verbindung?

Ja, gerade bis gestern war ein ehemaliger Kommilitone mit seiner Frau zu Besuch, um sich Empfehlungen für den ersten Chinaurlaub zu holen. Ein Studienkollege lebt nun in Shanghai und kommt mich Ende dieser Woche besuchen. Es freut mich, dass auch viele andere meiner früheren Kommilitoninnen und Kommilitonen an China interessiert sind und mehr über das Land, die Kultur und die Lebensweise wissen möchten. Einige kommen in Ihrer beruflichen Position mit China in Berührung und verstärken den Kontakt zu mir. Viele von Ihnen arbeiten als Forscher oder Entwickler.

Worüber schmunzeln Sie noch heute, wenn Sie an Ihre Zeit an der FAU denken?

Vor allem über zwei Dinge: Ich saß damals in einer Vorlesung „Unternehmerisches Denken für Physiker“, ohne zu ahnen, dass ich eines Tages einen eigenen Laden haben würde, noch dazu in einem ganz anderen Land. Außerdem, dass Physiker und Biologen der FAU zusammen am Südgelände sitzen – eine gute Idee, denn es mangelt bei den Physikern oft an Frauen und bei Biologen oft an Männern.

Frau Brunn, herzlichen Dank für das Interview!

 

Interview: Imke Zottnick-Linster (März 2014)