FAU-Forscher lösen Rätsel der Festkörperphysik

Graphenschicht (grau), an die weitere Moleküle angehängt sind. Dieses funktionalisierte Graphen eröffnet vielfältige Anwendungsperspektiven. Bild: FAU/SFB 953
Symbolbild: Graphenschicht (grau), an die weitere Moleküle angehängt sind. (Bild: FAU/SFB 953)

In doppellagigem Graphen wächst der elektrische Widerstand linear mit dem Magnetfeld – Rätsel der Festkörperphysik gelöst

Graphen – eine einzelne atomar dünne Lage des Alltagsmaterials Graphit – ist für viele Überraschungen gut. Für die Entdeckung dieses Materials wurde 2010 der Nobelpreis für Physik vergeben. Bei der Untersuchung der Doppellage von Graphen gab es nun eine spannende Beobachtung, die den Schlüssel zu einem rätselhaften Phänomen der Festkörperphysik liefert: ein ungewöhnliches Verhalten des elektrischen Widerstands im Magnetfeld. FAU-Forscher können dies nun erklären. Beim Zusammenbringen der zwei atomar dünnen Graphenlagen bilden sich auf atomarer Skala kleinstmögliche Falten, die das Material in der Fläche in ein Mosaik zerteilen. Der elektrische Strom geht im Magnetfeld verschlungene Wege durch dieses Mosaik, was das ungewöhnliche Phänomen hervorruft. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten Wissenschaftler der FAU jetzt in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics.*

Legt man an ein Material ein Magnetfeld an, reagiert der elektrische Widerstand in fast allen Materialien gleich: Er wächst mit der Erhöhung der Magnetfeldstärke in Form einer Parabel. Es gibt jedoch in der Literatur sporadisch Gegenbeispiele aus unterschiedlichsten Materialklassen, in denen sich ganz überraschend der Widerstand nicht parabolisch, sondern linear verhält – er wächst also direkt proportional zur Größe des Magnetfelds. Warum dies so ist, gab den Forschern Jahrzehnte lang Rätsel auf – vermutet wurde, auf Grund der Unabhängigkeit von der Materialklasse, ein sehr allgemeiner Mechanismus, der zuletzt der Körnigkeit des Materials zugeschrieben wurde. Seit 2003 gibt es ein extrem vereinfachtes theoretisches Modell, das wohl den Kern des Effekts erfasst, aber nicht direkt mit Experimenten belegbar ist und viele Fragen offen lässt. Prof. Dr. Heiko B. Weber am Lehrstuhl für Angewandte Physik an der FAU und seine Arbeitsgruppe konnten nun ein Modellsystem finden, das zum Verständnis exakt dieses Phänomens führte. Ihre Beobachtung: In Doppellagen-Graphen verhält sich der Magnetowiderstand linear – anders als in einlagigem Graphen.

Überraschende Messergebnisse

Doppellagiges Graphen ist eine zwei Atome dicke Schicht des Alltagsmaterials Graphit. Die Herstellung qualitativ hochwertigen, doppellagigen Graphens beherrschen die Erlanger Physiker seit vielen Jahren außergewöhnlich gut. Doch auch sie hat es überrascht, dass die Messung des Magnetowiderstandes in der Graphen-Doppellage ab einer Magnetfeldstärke von etwa 1 Tesla – das entspricht in etwa dem Magnetfeld eines modernen Neodym-Dauermagneten – plötzlich ein lineares Verhalten bei wachsendem Magnetfeld ergab. Weber und sein Team wollten nun genau wissen, bis zu welcher Magnetfeldstärke dieser Effekt auftritt: Sie führten daher Messungen im Hochfeld-Magnetlabor Dresden am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf durch. Dort wurden die Materialproben für einige Millisekunden Magnetfeldern bis zu 70 Tesla ausgesetzt, das ist nahe an der Grenze des technisch Machbaren. Doch auch unter diesen extremen Umständen setzt sich das lineare Verhalten des Magnetowiderstands von Doppellagen-Graphen linear fort – ein robuster Effekt, so die Beobachtung der FAU-Forscher.

Daraufhin galt es, den Grund für dieses Verhalten zu identifizieren. Die vermutete Körnigkeit – die bislang immer als mögliche Ursache für lineares Verhalten des Widerstands herangezogen worden war – schien bei der augenscheinlich homogenen Graphen-Doppellage nicht gegeben. Doch der (Augen-)schein trog: Bei der Beobachtung unter dem Transmissions-Elektronen-Mikroskop (TEM) in der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Erdmann Spiecker in Erlangen zeigte sich, dass Graphen, wenn es doppellagig ist, sehr wohl eine Körnigkeit aufweist. Der Grund: Es bilden sich auf atomarer Skala kleinstmögliche Falten in der doppelten Lage, sogenannte Partialversetzungen, durch die das Material als Mosaik erscheint.

Für die elektronischen Eigenschaften dieses Mosaiks entwickelte Dr. Sam Shallcross, Lehrstuhl für Festkörpertheorie an der FAU, ein quantenmechanisches Modell, das den elektronischen Übergang von einem Mosaikstein auf den anderen berechnet. Überraschenderweise zieht jede Versetzungslinie eine sehr wirksame Barriere für den elektrischen Strom. Auf der Basis tatsächlicher, unter dem Mikroskop sichtbarer Versetzungslinien haben die Forscher die verschlungenen Strompfade im Magnetfeld berechnen können – und den genannten Effekt gefunden.

Graphen als optimales Modellsystem

Graphen ist ein Material, das man im Mikroskop wie ein offenes Buch in allen Details betrachten kann. Solche Details sind der Schlüssel, um grundlegende Fragestellungen außergewöhnlicher Phänomene zu verstehen.

In diesem Fall ist doppellagiges Graphen das perfekte Modellsystem für einen mosaikartigen Leiter. Der Effekt eines linearen Magnetowiderstands wird wegen des explosiv zunehmenden Interesses an atomar dünnen Schichten in naher Zukunft in immer mehr Materialien sichtbar werden – und kann auf der Basis der Experimente von Prof. Weber und seinem Team als verstanden betrachtet werden.

*DOI: 10.1038/nphys3368

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Heiko B. Weber
Tel.: 09131/85-28421
heiko.weber@physik.uni-erlangen.de