Erbgut unter der Lupe

FAU-Biologen haben mehr als 5.300 Gene des Rotbraunen Reismehlkäfers untersucht und sind auch auf unbekannte Gene gestoßen. (Bild: Jochen Trauner)
FAU-Biologen haben mehr als 5.300 Gene des Rotbraunen Reismehlkäfers untersucht und sind auch auf unbekannte Gene gestoßen. (Bild: Jochen Trauner)

Analyse von 5.300 Käfergenen führt FAU-Biologen zu überraschenden Erkenntnissen

Wer an Insekten und Genetik denkt, dem fällt als erstes Drosophila melanogaster ein, das genetische Insektenmodell schlechthin. Doch in vielen Fällen ist die Fliege gar nicht so modellhaft, manche biologische Phänomene lassen sich an ihr überhaupt nicht untersuchen. Forscher der FAU sowie der Universitäten Göttingen und Köln haben daher den Rotbraunen Reismehlkäfer ins Visier genommen. Inzwischen sind mehr als 5.300 Gene analysiert – die bislang größte Suchaktion zur Rolle des Erbguts in einem Käfer. Dabei entdeckten die Wissenschaftler auch bislang unbekannte Gene, die wichtige Erkenntnisse für die Entwicklungsbiologie, Insektenforschung und auch die Medizin liefern könnten. Ihre Ergebnisse haben sie in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht*.

Viele Vorgänge, die man an der Fliege nicht untersuchen kann, wurden in der Genetik ignoriert

Der Rotbraune Reismehlkäfer (links) und die Fliege Drosophila melanogaster sind zwei Modellorganismen für genetische Analysen. (Bild: Gregor Bucher)
Der Rotbraune Reismehlkäfer (links) und die Fliege Drosophila melanogaster sind zwei Modellorganismen für genetische Analysen. (Bild: Gregor Bucher)

Wenn Genetiker bisher wissen wollten, wie Gene die Entwicklung, das Verhalten und andere Prozesse bei Insekten steuern, untersuchten sie Drosophila melanogaster – mittlerweile dürfte die Taufliege das wissenschaftlich am besten erforschte Tier sein und ein Großteil dessen, was allgemein über Insektengene bekannt ist, beruht darauf. Jedoch ist die Fliege häufig nicht typisch für genetische Phänomene bei Insekten.

„Viele Vorgänge, die man an der Fliege nicht untersuchen kann, wurden in der Genetik deshalb ignoriert“, erläutert der Sprecher der DFG-Forschergruppe iBeetle, Prof. Dr. Gregor Bucher von der Universität Göttingen. „Aber im Reich der Insekten gibt es viele faszinierende Prozesse, die in der Fliege nicht vorkommen. Mit unserem Projekt iBeetle legen wir die Grundlage, um einige davon endlich auch genetisch untersuchen zu können. Damit verbreitern wir die Basis der genetischen Forschung.“

Der Rotbraune Reismehlkäfer, Tribolium castaneum, eignet sich aus mehreren Gründen als ein weiterer bedeutender Modellorganismus neben der Taufliege. Genetische Mechanismen lassen sich von ihm nicht nur auf andere Insekten übertragen, sondern  zu Teilen auch auf Wirbeltiere.

Frühe Entwicklung zwischen Käfer und Fliege unterschiedlicher als bisher bekannt

In ihren Analysen fanden die Wissenschaftler beispielsweise heraus, dass die frühe Entwicklung zwischen Käfer und Fliege offenbar unterschiedlicher ist als bisher bekannt: Schalteten sie bestimmte Käfergene aus, war das Vorderende des Käfers durch ein zweites, spiegelbildlich angeordnetes Hinterende ersetzt. Bei der Fliege sind die entsprechenden Gene für ganz andere Dinge verantwortlich. „Seit Jahren suchen wir bei anderen Insekten nach Genen, die für die embryonale Polarität zuständig sind. Jetzt haben wir sie mit unseren Arbeiten an dem Käfer identifiziert“, erklärt der zweite Sprecher des Projekts, Prof. Dr. Martin Klingler, Professur für Entwicklungsbiologie an der FAU. „Wir hätten nicht gedacht, dass die Evolution bei der Verwendung von Genen so flexibel ist.“

Mehrere bisher unerforschte Gene gefunden

Die Forscher entdeckten auch mehrere bislang unerforschte Gene, die für die medizinische Anwendung interessant sein könnten und die sie nun genauer untersuchen wollen. Die sogenannten Integrine beispielsweise sorgen für die Klebrigkeit von Zellen, der sogenannten Zelladhäsion, und sind beim Menschen von Hautkrankheiten bis Krebs an einer Reihe von Krankheiten beteiligt. „Wir haben gleich mehrere zusätzliche Gene entdeckt, die bei der Zelladhäsion offenbar mit den Integrinen zusammenarbeiten. Diese waren trotz aller Suchen in der Fliege bislang übersehen worden und können nun genauer erforscht werden“, freut sich der Erlanger Projektleiter Prof. Manfred Frasch, Lehrstuhl für Entwicklungsbiologie.

Die Ergebnisse werden unser Verständnis von Stammzellen verbessern

Auch identifizierten sie neue Gene mit Relevanz für die Stammzellbiologie. Stammzellen sind an der Bildung und Entwicklung vieler Gewebe und spezialisierter Zelltypen eines Organismus beteiligt. „Die Ergebnisse aus dem Käfer werden unser allgemeines Verständnis von Stammzellen verbessern“, fasst Biologe Dr. Michael Schoppmeier, ebenfalls Projektleiter der Erlanger Gruppe, zusammen.

Die DFG-Forschergruppe „iBeetle: functional genomics of insect embryogenesis and metamorphosis” läuft seit 2010 und wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bis 2016 verlängert. Von den insgesamt 16.000 Genen des Reismehlkäfers untersuchten die Forscher mehr als 5.300. Weitere 4.000 Gene werden derzeit analysiert. Der Rotbraune Reismehlkäfer ist ein wichtiger Vorratsschädling, da er sich von Mehl ernährt und so jedes Jahr weltweit für erhebliche Ernteverluste sorgt.

Die Wissenschaftler hoffen auch, dass ihre Ergebnisse dabei helfen, ihn wirkungsvoll zu bekämpfen und sich diese Erkenntnisse auch auf andere Schädlinge übertragen lassen. Das Projekt ist Teil einer wichtigen aktuellen Entwicklung in der Genetik: Die Rolle von Genen wird nicht mehr nur an klassischen genetischen Modellorganismen wie Drosophila untersucht, sondern immer mehr Tiere werden genetisch studiert. Um die Gene auszuschalten, verwendeten die Wissenschaftler die sogenannte RNA-Interferenztechnik, deren Entdeckung 2006 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin geehrt wurde.

Ausführlichere Informationen zum Projekt iBeetle gibt es bei der Universität Göttingen.

*Christian Schmitt-Engel et al. The iBeetle large scale RNAi screen reveals novel gene functions for insect development and physiology. Nature Communications 2015. doi: 10.1038/ncomms8822

Weitere Informationen:

PD Dr. Michael Schoppmeier
Tel.: 09131/85-28097
michael.schoppmeier@fau.de