„Kein Luxus, sondern Lebenselixier“

Eckart Liebau
Experte für kulturelle Bildung: Professor Dr. Eckart Liebau. (Bild: FAU/David Hartfiel)

Kunst und Kultur sind wichtig für ein gutes Leben. Doch gerade der Schule gelingt es nicht, Kinder dafür zu begeistern, beklagt Prof. Dr. Eckart Liebau. Er hatte bis Mitte 2014 den Lehrstuhl für Pädagogik II inne und ist ein Experte, wenn es um kulturelle Bildung geht. Er hat unter anderem an der FAU das Interdisziplinäre Zentrum Ästhetische Bildung mitgegründet und war bis 2014 dessen Sprecher.

Im Jahr 2013 ist Liebau in den Rat für Kulturelle Bildung berufen worden. Mittlerweile ist er Vorsitzender des Gremiums, das den Stellenwert und die Qualität von kultureller Bildung in Deutschland erhöhen und diese stärker in den Bildungsstrukturen verankern soll. Außerdem ist er in der Leitung der Akademie für Schultheater und Theaterpädagogik der FAU und als Inhaber des UNESCO-Lehrstuhls für Kulturelle Bildung tätig.

Interview: Ilona Hörath

Ein Tweet einer Schülerin rüttelte Deutschland auf und löste eine Diskussion über den Sinn und Zweck von Schule aus:

Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtanalyse schreiben. In 4 Sprachen.

Macht Sie das sprachlos?

Nein. Denn die Alternative ist falsch. Bei Liebeskummer hilft das Wissen über die Steuererklärung nicht. Da braucht man Gedichte, Lieder, Filme, Dramen. Schule ist nicht dazu da, kurzfristig verwertbare Infos zu vermitteln, sondern eine grundlegende Allgemeinbildung für alle Lebensbereiche. Das scheint nicht zu gelingen, wie die Allensbach-Studie „Jugend/Kunst/Erfahrung. Horizont 2015“ zeigt.

Sie wurde vom unabhängigen Expertengremium „Rat für Kulturelle Bildung“ vorgelegt, dessen Vorsitzender Sie sind. Das Kernergebnis der Studie lautet: Jugendliche aus bildungsfernen Elternhäusern haben deutlich weniger Zugang zu kultureller Bildung und ein deutlich niedrigeres Kulturinteresse als Akademikerkinder.

Und wir haben es außerdem mit besorgniserregenden Unterschieden zwischen den Schulformen zu tun, mit kulturellen Bildungsverläufen, die kaum durchbrochen werden können, mit Schulen, die ein Drittel der Kinder gar nicht für Kultur gewinnen. Die Schule zeigt und präsentiert sehr vieles, aber es gelingt ihr nicht hinreichend, das Interesse der Kinder zu wecken. Es ist ein doppeltes Problem: Die Chancen, die die Schule bietet, werden nicht hinreichend genutzt; häufig fehlen aber auch Angebote, oder sie sind nicht gut genug.

Warum ist kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche so wichtig?

Kulturelle Bildung ist elementar. Es geht erstens um die Sinnesbildung, die Entwicklung der Wahrnehmungs- und Gestaltungsfähigkeiten. Wie und was man differenziert hört und sieht, muss man lernen und einüben. Man lernt es, wenn man Musik hört und spielt, wenn man Bilder ansieht und selbst produziert, wenn man Rollen spielt oder wenn man tanzt. Kunst und Kultur bieten also ganz besondere Bildungs- und Entwicklungschancen. Zweitens stellen Kunst und Kultur einen wesentlichen und großen Bereich der Gesellschaft dar, der auch politisch, sozial und ökonomisch hochbedeutsam ist. Es ist der Bereich, in dem sich die Identität einer Gesellschaft bildet.

Nicht immer besitzen in Gesellschaft und Wirtschaft Kunst und Kultur den Stellenwert, den Sie einfordern.

Das stimmt. Schon das Pflichtangebot in den Schulen lässt zu wünschen übrig. An den Sekundarschulen haben in den neunten und zehnten Klassen 54 Prozent keinen regelmäßigen Kunstunterricht, an den Gymnasien „nur“ 43 Prozent.

Was also fordern Sie konkret?

Wir fordern die systematische Aufwertung der künstlerischen Fächer, zu denen auch der Deutschunterricht gehört. Literatur und Theater müssen im Schulunterricht fest verankert sein. Auch die Lehreraus- und -fortbildung für die ästhetischen Fächer und Bereiche, für Kunst, Musik, Literatur, Theater, Tanz, Film und Fotografie, Architektur und die neuen Medienkünste muss entsprechend ausgebaut werden!

Des Weiteren bedarf es einer verbesserten Aus- und Fortbildung aller Lehrer, die ja immer auch Darsteller sind, also die performativen Kompetenzen brauchen. Wir fordern den systematischen Ausbau und die Qualitätssicherung von kultureller Bildung in der offenen Ganztagsschule. Und wir fordern die Entwicklung kultureller Bildungslandschaften, in denen die Bildungs- und die Kulturinstitutionen auf regionaler Ebene systematisch kooperieren.

Herr Liebau, warum ist kulturelle Bildung auch für Sie persönlich so wichtig?

Weil ich ohne sie nicht leben könnte! Die Künste stellen keinen überflüssigen Luxus dar, sondern ein absolut notwendiges Lebenselixier. Es sollte allen Menschen zugänglich gemacht werden, weil man es zu einem guten Leben braucht.

Neugierig auf mehr?

Dieser Text erschien in unserem Forschungsmagazin friedrich zum Thema Sinne. Lesen Sie außerdem im friedrich Nr. 115, warum man sich vielleicht gar nicht so sehr auf seine Sinne verlassen sollte, wie Düfte helfen, psychische Krankheiten zu heilen und wie Maschinen hören lernen.

Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie unter dem Stichwort „friedrich“.