CRISPR/Cas9: „Restrisiko nicht pauschal als Diskurs- und Handlungsstopp sehen“

Prof. Dr. Peter Dabrock (Bild: Dominik Gigler)
Prof. Dr. Peter Dabrock (Bild: Dominik Gigler)

FAU-Professor Dr. Peter Dabrock über Gene-Editing / Streitgespräch am 13. Februar

Die neue Generation der Gene-Editing-Technologien wie CRISPR/Cas9 eröffnen Wissenschaftlern neue Möglichkeiten, z. B. genetisch bedingte, schwerwiegende Krankheiten zu lindern, heilen oder gar ganz zu verhindern oder präziserer Züchtungsmethoden in der Landwirtschaft. Andererseits birgt sie auch unvorhersehbare Risiken, die sich bei einem Eingriff in die menschliche Keimbahn auf zukünftige Nachkommen oder beim genetischen Eingriff in einzelne Arten auf ganze Ökosysteme auswirken würden. Die Chancen und Risiken der neuen Technologie sind Thema eines Streitgesprächs am 13. Februar an der FAU. FAU aktuell hat sich vorab mit Prof. Dr. Peter Dabrock, Lehrstuhl für Systematische Theologie II (Ethik) an der FAU und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, darüber unterhalten.

Herr Prof. Dabrock, was sind die Chancen von CRISPR/Cas9, was die Risiken?

Bei CRISPR/Cas9 handelt es sich um eine Technologie, mit der es möglich ist, gentechnische Eingriffe in das Erbgut eines Organismus viel präziser und kontrollierter durchzuführen, als das bisher möglich war. Im Vergleich zu den bisherigen Möglichkeiten der Gentechnik deutet sich da ein echter Quantensprung an. Zugleich rückt dabei die Frage in den Mittelpunkt, was wir als Gesellschaft im Allgemeinen und die Forscherinnen und Forscher im Besonderen mit dieser Technologie in welchen Anwendungsfeldern machen sollten und was nicht. Anwendungsfelder sind beim Menschen Gentherapie und auch theoretisch Eingriffe in die Keimbahn – um beispielsweise eine Impfung gegen Malaria oder HIV schon im Genom zu etablieren –, in der Landwirtschaft neue Züchtungsmethoden oder in der Tier- und Pflanzenwelt gezielte genetische Eingriffe, um Veränderungen am Erbgut nahezu zu 100 Prozent vererbbar zu machen.

Was gibt es aus ethischer Sicht abzuwägen?

Das Spannende an CRISPR/Cas9 ist, dass sich durch die größere Präzision Anwendungsfelder ergeben, an die vorher nicht oder nur sehr begrenzt zu denken war. Wenn Forscherinnen und Forscher mittels CRISPR/Cas9 dafür sorgen könnten, dass sich solche Mücken einer Art, die bestimmte Viruserkrankungen übertragen – wie beispielsweise die Zika oder Malaria übertragenden Mückenspezies –, nicht mehr ausbreiten könnten, dann böte das zunächst einmal eine Lösungsoption, die wir so bisher nicht hatten. Dies könnte helfen, Hunderttausende von Menschenleben zu retten. Ob das aber wirklich funktioniert und welche Konsequenzen sich daraus nicht zuletzt für das Ökosystem ergeben würden, kann man natürlich nur schwer vorhersagen.

Damit sind wir auch schon bei den Kernproblemen der ethischen Abwägung. Neben den bleibend wichtigen Fragen nach der Biosicherheit sowie dem möglichen Missbrauch der Technologie ist die Frage, woran man solche Entscheidungen primär festmachen soll. Soll prinzipiell das Vorsorgeprinzip gelten? Oder gibt es Konstellationen, in denen man vielleicht mehr ins Risiko gehen muss und in denen man dem sogenannten Innovationsprinzip einen höheren Stellenwert einräumt? Und mindestens ebenso wichtig: Wie kann diese Entscheidung so getroffen werden, dass sowohl eine möglichst große Beteiligung vieler Mitglieder unserer Gesellschaft möglich ist und zugleich belastbare rechtliche sowie ethische Standards Handlungssicherheit für Wissenschaft und Gesellschaft gewährleisten?

Wenn jemand die Möglichkeit hat zu helfen, beispielsweise indem er mit der Genschere Krankheiten heilt, – sollte er es dann nicht auch tun?

Zu helfen klingt zunächst einmal gut und entsprechend der eigenen Möglichkeiten ethisch geboten. Eine Ethik des Helfens kann und darf sich aber nur im Rahmen grundlegender anderer ethischer Kriterien entfalten. Dazu zählen primär Schutz und Achtung der Würde eines jeden Menschen, aber auch Gerechtigkeit, Risikoeinschätzung, Nachhaltigkeit, Biodiversität und kulturelles Selbstverständnis. Die ethische Herausforderung besteht darin: Alle ethischen Kriterien sind in sich hochgradig deutungsoffen. Der Streit ist also vorprogrammiert.

Im Gegensatz zu früheren Technologien lässt sich mit CRISPR/Cas9 das Genom gezielt verändern. Ungewollte Mutationen sind daher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Wie bewerten Sie das aus ethischer Sicht?

Im Leben ist sehr vieles nicht ausgeschlossen. Ethisch stellt sich die Frage, was man mit dieser Aussage anfangen soll. Wenn mit ihr zum Ausdruck gebracht werden soll, dass man wegen eines Restrisikos bestimmte Dinge nicht mehr tun darf, dann muss man über den Stellenwert des Argumentes „Restrisiko“ reden. Es gibt Technologien, beispielsweise die Atomenergie, bei denen wir uns in Deutschland entschieden haben, dass noch das geringste Restrisiko eines GAUs ihren Einsatz nicht mehr rechtfertigt. Bei der Nutzung von CRISPR/Cas9 wäre diese Konsequenz nach derzeitigem Wissensstand absurd. Denn das Instrument lässt sich in unterschiedlichsten Bereichen der Lebenswissenschaften anwenden. Man muss also sehr genau die Chancen und Risiken der jeweiligen Anwendungen bewerten, statt pauschal ein Restrisiko als Diskurs- und Handlungsstopp für alles anzusehen.

Wenn die Folgen von CRISPR/Cas9 noch nicht abzuschätzen sind, wäre ein Moratorium sinnvoll?

Erhoben wird die Forderung meistens nur für Keimbahnintervention im Humanbereich, weil eben derzeit das Risiko von Fehlentwicklungen abzusehen ist – und dieses würde ja für immer in das menschliche Erbgut eingeschleust. Aber auch hier muss man präzisieren. Will man wirklich schon die Eingriffe in sämtliche Keimbahnzellen – also auch die, die in vitro manipuliert werden, aber nicht implantiert werden sollen – unter ein Moratorium stellen? Das wäre das Ende zahlreicher Grundlagenforschungen. Zumindest in all den Ländern, die dem in-vitro-Embryo nicht die Schutzwürdigkeit zuerkennen wie einem in-vivo-Embryo, wäre dies inkonsequent gegenüber der dort rechtlich möglichen Forschung an in-vitro-Embryonen, die nicht implantiert werden. Für Deutschland ändert sich am grundsätzlichen Verbot der Forschung an in-vitro-Embryonen sowieso nichts. Aber der Fortschritt durch CRISPR wird die Debatten um den moralischen Status des in-vitro-Embryos sicher wieder neu entflammen.

Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Gene-Editing wird in den nächsten Jahren immer wieder diskutiert werden. Gleichzeitig werden solche Diskussionen immer emotionaler geführt, Fakten werden zur Nebensache. Haben Sie Angst, dass diese Diskussionskultur auf die öffentliche Debatte Auswirkungen haben wird?

Ja, die Sorge habe ich angesichts des Umstandes, dass „alternative Fakten“ von höchster Stelle salonfähig gemacht werden sollen. Der Diskurs „Wissenschaft – Gesellschaft“ ist eingebettet in die Gesamtgesellschaft. Vielleicht kann entgegen dem allgemein beobachtbaren Verrohungsdiskurs auf diesem Felde aber auch ein Kontrapunkt gesetzt werden aus der guten bioethischen Debattenkultur der letzten Jahre heraus. Im Deutschen Ethikrat versuchen wir genau in diese Richtung hinzuarbeiten.

Veranstaltung:

VERbot oder GEbot der neuen Genschere?

Öffentliches Streitgespräch am Montag, 13. Februar, 19.30 Uhr, Wassersaal der Orangerie, Schlossplatz 1, Erlangen

Über die Risiken und Chancen der Genschere CRISPR/Cas9 diskutieren Prof. Dr. Peter Dabrock, evangelischer Theologe, Inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie II (Ethik) der FAU und Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, und Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Birnbacher, analytischer Philosoph, Emeritus der Heinrich-Heine-Universität-Düsseldorf und Vorsitzender der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer am 13. Februar ab 19.30 Uhr im Wassersaal der Orangerie in Erlangen.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Peter Dabrock
Tel.: 09131/85-22724
peter.dabrock@fau.de