Siebenbeinige Käfer simulieren Staubwolken

Mithilfe von Vibrots, kleinen käferähnlichen Plastikelementen mit sieben schrägen Beinen, haben FAU-Wissenschaftler die Theorie für granulare Gase bestätigt. (Bild: Thorsten Pöschel/Christian Scholz)
Mithilfe von Vibrots, kleinen käferähnlichen Plastikelementen mit sieben schrägen Beinen, haben FAU-Wissenschaftler die Theorie für granulare Gase bestätigt. (Bild: Thorsten Pöschel/Christian Scholz)

FAU-Physiker bestätigen Theorie der Partikelbewegung in granularen Gasen

Physikern der FAU ist ein wichtiger Schritt bei der weiteren Erforschung von Schneelawinen, Sandstürmen und kosmischen Staubwolken gelungen: In einem neuartigen Experiment mit selbstdrehenden Partikeln, sogenannten Vibrots, konnten sie die Theorie der Teilchendynamik in granularen Systemen bestätigen. Die Ergebnisse wurden jetzt im renommierten Journal Physical Review Letters veröffentlicht.*

Wolken feinster Partikel, etwa Schneelawinen oder Sandstürme, verhalten sich ähnlich wie molekulare Gase: Die Teilchen sind in ständiger Bewegung, stoßen zufällig aneinander und tauschen dabei Energie aus. Im Unterschied zu Gasmolekülen erfolgen diese Kollisionen jedoch nicht elastisch – die festen Partikel verlieren bei jedem Zusammenstoß kinetische Energie, bis die Bewegung schließlich zum Stillstand kommt.

Zugleich gibt es Teilchen, die sich in der granularen Wolke mit hoher Geschwindigkeit weiterbewegen, weil sie noch nicht kollidiert sind. „Diese Verschiebung der Geschwindigkeiten zwischen einem großen Bereich von Partikeln mit niedriger Bewegungsenergie und einem kleinen Bereich hochenergetischer Teilchen lässt sich mit der klassischen kinetischen Gastheorie nur unzureichend beschreiben“, sagt Prof. Dr. Thorsten Pöschel vom Lehrstuhl für Multiscale Simulation of Particulate Systems der FAU.

Bisherige Experimente zeigen Schwächen

Aus diesem Grund haben Forscher vor zwei Jahrzehnten ein Modell entwickelt, das auf der kinetischen Gastheorie basiert und die spezielle Geschwindigkeitsverteilung in granularen Gasen beschreibt. Dieses Modell ist durch zahlreiche mathematische Simulationen bestätigt worden – ein experimenteller Nachweis gestaltete sich bislang jedoch schwierig: „Die vielversprechendste Idee bisher war, granulare Partikel, etwa Metall- oder Plastikkügelchen, durch einen Vibrationstisch mit rauer Oberfläche in Bewegung zu versetzen“, erklärt Thorsten Pöschel. „Das grundlegende Problem hierbei ist jedoch, dass die impulsgebenden Stöße nicht so zufällig erfolgen, wie das in einem molekularen Gas der Fall wäre.“

Die Lösung: drehende Partikel

Die Erlanger Physiker haben nun eine Lösung für dieses Problem gefunden: Auch sie verwenden einen Vibrationstisch, aber die Energie wird zunächst in Rotationsbewegung umgesetzt. Dafür stellten die Forscher in einem 3D-Drucker sogenannte Vibrots her, kleine käferähnliche Plastikelemente mit sieben schrägen Beinen. Die Neigung der Beine sorgt dafür, dass sich die Rotationsgeschwindigkeit der Teilchen bei jedem Sprung zufällig ändert.

Alle Vibrots drehen sich im Uhrzeigersinn, aber mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten – im Mittel mit etwa sechs Umdrehungen pro Sekunde. Kollidieren zwei Vibrots miteinander, wird die Rotationsenergie in lineare Bewegung umgewandelt. Mehrere hundert Vibrots haben Thorsten Pöschel und sein FAU-Kollege Dr. Christian Scholz auf einem Vibrationstisch platziert und festgestellt, dass die Translationsbewegungen zufällig erfolgten – es kam zu keinen nennenswerten Korrelationen.

Theorie für granulare Gase bestätigt

Mit ihrem Experiment konnten die Forscher die Theorie für die Dynamik granularer Gase bestätigen: Im überwiegenden Bereich niedriger Geschwindigkeit von durchschnittlich 20 Millimetern pro Sekunde verhalten sich die Vibrots ähnlich wie Gasmoleküle. Allerdings gab es signifikant mehr Teilchen mit hoher Geschwindigkeit von über 60 Millimetern pro Sekunde, als das für ein Molekülgas zu erwarten gewesen wäre. Die Form der Geschwindigkeitsverteilung der Vibrots stimmte mit der Vorhersage aus der kinetischen Gastheorie überein.

Die Bestätigung des kinetischen Modells granularer Gase ist ein wichtiger Beitrag sowohl für die anwendungsorientierte Forschung – etwa die Lawinenforschung oder die Erforschung von Staubwolken in industriellen Prozessen – als auch für die Grundlagenforschung, beispielsweise die Untersuchung von kosmischem Staub.

*Die Ergebnisse des Experiments wurden unter dem Titel „Velocity Distribution of a Homogeneously Driven Two-Dimensional Granular Gas“ im renommierten Physical Review Letters veröffentlicht. doi: 10.1103/PhysRevLett.118.198003

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Thorsten Pöschel
Tel.: 09131/85-20865