Prof. Dr. Bellingradt erforscht Amsterdam als wichtigsten europäischen Papiermarkt

Kupferstich zeigt Begutachtung von Papier
Kupferstich von Cornelis van Noorden (Bild: Het overvloeijend herte, 1767)

Von der Bütte in die Welt – der frühneuzeitliche Papierhandel

In Amsterdam stand bis ins 19. Jahrhundert keine einzige Papiermühle. Warum es dort trotzdem den wichtigsten europäischen Papiermarkt des 17. und 18. Jahrhunderts gab, erforscht Prof. Dr. Daniel Bellingradt vom Institut für Buchwissenschaft der FAU. So wichtig, dass der europäische Informationsaustausch sich verlangsamen konnte, wenn die niederländische Papierproduktion haperte. Wie Amsterdam zu dieser Bedeutung kam, untersucht er mit Förderung der Hans-Böckler-Stiftung in seinem Projekt.

Papier ist bei uns so selbstverständlich, dass sich selbst die Forschung kaum Gedanken darüber macht. Anders Prof. Dr. Daniel Bellingradt: Er erforscht das Amsterdam des 18. Jahrhunderts als wichtigsten Handelsort für Papier in Europa.

Frühneuzeitlicher Papierhandel und moderne Kommunikation

Bellingradt befasst sich unter anderem mit dem Einfluss des Papierhandels auf die Gesellschaft. Die Kommunikation in Europa war maßgeblich vom Handel mit papiernen Waren abhängig: War das Papier in Amsterdam knapp oder teuer, weil die Nachfrage zu schnell anstieg oder das Papier aufgrund von Regenwetter nicht richtig trocknen konnte, so bekamen das sowohl Zeitungsherausgeber und Buchdrucker als auch die fürstlichen Verwaltungen in Europa schnell zu spüren. Zwar wurde auch an anderen Orten in Europa Papier hergestellt, aber das „holländische“ Papier galt als die beste und oftmals preiswerteste Ware. „Für mich ist es faszinierend, dass die historischen Papiermärkte uns an die materiellen und wirtschaftlichen Bedingungen von Kommunikation damals erinnern und wir so auch die heutige Situation genauer betrachten. Wovon – wenn nicht mehr vom Papier – ist die heutige Verständigung immer noch abhängig?“, sagt Buchwissenschaftler Bellingradt.

Lage ist alles – Amsterdam und der Papiermarkt

Doch warum hat sich Bellingradt gerade Amsterdam, das bis ins 19. Jahrhundert ohne eine einzige Papiermühle auskam, als Forschungsgegenstand ausgesucht?

Das frühneuzeitliche Amsterdam galt als eine der berühmtesten Handelsstädte und war die bedeutendste Stadt der Niederlande. Es war als Hafenstadt Umschlagort für Waren, Organisationsleistungen und Informationen, was auch den Papierhandel begünstigte. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts exportierten die Amsterdamer Händler Papier in beeindruckender Menge über den Wasserweg: Allein nach Hamburg schickten sie in den 1770ern und 1780er Jahren jährlich im Durchschnitt 100 Millionen Bogen Papier.

Zudem florierte die Papierproduktion in der Nähe Amsterdams. Südlich in der Veluwe, östlich in Oortmarsum und nordwestlich in der Zaanstreek wurde Papier in sehr großen Mengen und von sehr guter Qualität hergestellt, sodass das niederländische Produkt zum Bestseller in Europa wurde. Die niederländische Technik, die die Rohstoffe besser zerkleinerte und so feineres Papier hervorbrachte, lockte sogar Wirtschaftsspione ins Land, die die Produktionsgeheimnisse erbeuten wollten.

Netzwerke und Papiersorten

Im Rahmen seines Projekts untersucht Bellingradt zum einen die Netzwerke, die beim Handel eine Rolle spielen, unter dem Motto: Wer macht was mit wem und für wie lange? Hierfür betrachtet er beispielsweise Rechnungsbücher, Versicherungsakten, Briefe und Besitzurkunden als Quellen. Zum anderen will er herausfinden, was alles gehandelt wurde. Neben rund hundert Sorten Druck- und Schreibpapier vertrieben die Händler außerdem Verpackungspapier und Pappe. Auch gebrauchtes Papier stand hoch im Kurs: Als Rohstoffquelle, um neues Papier herzustellen, war es heiß begehrt. Recycling gab es also schon in der Frühen Neuzeit! Um nachvollziehen zu können, wie viel Papier wohin gehandelt wurde, werden einzelne Händler als Beispiele herangezogen: Ein einziger Großhändler etwa verschickte pro Jahr bis zu 70 Millionen Papierbögen allein von Amsterdam nach Hamburg.

Prof. Dr. Daniel Bellingradt ist seit 2014 Juniorprofessor für Buchwissenschaft, insbesondere Historische Kommunikationsforschung an der FAU. Nach seiner Promotion 2010 in Berlin war er zudem an der Universität Erfurt und an der Universität Mainz tätig. Für seine Forschung hat er nun den Maria-Weber-Grant für herausragende Nachwuchswissenschaftler der Hans-Böckler-Stiftung erhalten. Die Preisträger können für bis zu zwölf Monate eine Vertretung beantragen, die die Lehrtätigkeit teilweise übernimmt, um sich so eingehend mit ihrer Forschung zu beschäftigen.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Daniel Bellingradt
Tel.: 09131/85-24708
daniel.bellingradt@fau.de