Das Weiterleben der anderen

Abschiedsraum
A place to say goodbye: the quiet room on the palliative ward in Universitätsklinikum Erlangen. (Image: FAU/David Hartfiel)

FAU-Psychologin untersucht, wie wir Verluste bewältigen

Immer wieder müssen Menschen Abschied nehmen. Einigen gelingt die Trauerbewältigung besser als anderen.

von Matthias Münch

So weit die medizinische Versorgung auch fortgeschritten ist – irgendwann stirbt jeder Mensch. Und so bleibt es nicht aus, dass wir im Laufe unseres Lebens mit dem Tod naher Verwandter oder Freunde konfrontiert werden und diesen Verlust bewältigen müssen. Dass wir auf verschiedene Weise trauern, ist bekannt. Weniger bekannt ist hingegen, dass die Fähigkeit zur Verlustbewältigung und die Kompetenz zum souveränen Umgang mit Emotionen auf Erfahrungen beruhen, die wir in der frühen Kindheit gemacht haben.

Den Zusammenhang von frühkindlichen Bindungserlebnissen und Strategien der Verlustbewältigung erforscht Dr. Johanna Behringer vom Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie der FAU von Prof. Dr. Gottfried Spangler. „Zur Bindung gehört Trennung“, sagt sie. „Bei aller Trauer sind die meisten Menschen zu dieser rationalen Reflexion in der Lage.“ Es gibt aber auch Menschen, die nicht über die dafür notwendigen emotionalen und kognitiven Ressourcen verfügen. Und dieses Handicap wird gewissermaßen von einer Generation zur nächsten weitergegeben: Eltern, die Probleme bei der Verlustbewältigung hatten oder von traumatischen Erlebnissen in der Kindheit betroffen waren – hierzu zählen beispielsweise Bedrohungen oder sexueller Missbrauch – haben häufig einen sogenannten „unverarbeiteten Bindungsstatus“. Vor allem Mütter geben diesen Status häufig an die Kinder weiter, die dann ihrerseits Einschränkungen und Auffälligkeiten im Umgang mit Gefühlen zeigen – prinzipiell, aber insbesondere bei schwierigen Erlebnissen. Ob solche psychischen, emotionalen Einschränkungen wiederum die mangelnde Verarbeitung eines Trauerfalls im Erwachsenenalter bedingen, untersucht Behringer derzeit im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Längsschnittprojektes.

Der logische Zusammenhang zählt

Seit 2014 befragt sie mit ihrem Team insgesamt 120 Männer und Frauen aus dem Raum Erlangen, die einen zu diesem Zeitpunkt mindestens zwei, maximal vier Jahre zurückliegenden Trauerfall erlebt haben. Mit den Probanden im Alter von 22 bis 50 Jahren werden sogenannte Adult Attachment Interviews geführt, um frühere Bindungserfahrungen und aktuelle Bindungseinstellungen zu ermitteln. Behringer: „Wir fragen beispielsweise nach der Beziehung zu den Eltern früher und heute, bei wem Zuwendung in Belastungssituationen während der Kindheit gesucht wurde, ob es Zurückweisungen oder gar Bedrohungen gab. Und natürlich lassen wir uns über den Trauerfall und die Beziehung zum Verstorbenen berichten.“ Das Besondere an diesem Interview: Nicht der genaue Inhalt wird ausgewertet, sondern Kohärenzen der Aussagen, etwa ob vergangene Erfahrungen mit heutigen Einstellungen im logischen Zusammenhang stehen. Auch für eine nicht gelungene Verlustbewältigung gibt es indirekte, aber klare Signale: „Menschen mit unverarbeitetem Bindungsstatus sind im Gespräch häufig desorientiert“, erzählt Johanna Behringer. „Das äußert sich zum Beispiel darin, dass die Befragten plötzlich in einen anderen Bewusstseinszustand wechseln, dass sie sich in Details verlieren oder dass Zeitpunkte und Orte widersprüchlich berichtet werden. Manche können sich nicht mehr zuverlässig daran erinnern, ob sie bei dem Ereignis anwesend waren oder nicht.“

Etwa 20 Prozent der Befragten, so ein vorläufiges Ergebnis der Erlanger Forschungsgruppe, haben auch nach mehreren Jahren Schwierigkeiten damit, den Verlust eines Angehörigen oder engen Freundes zu verarbeiten. Und sehr wohl steht dies – nach Betrachtung der Auswertung eines Großteils der Daten – mit Schwierigkeiten im Zusammenhang, die eigenen Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse wahrzunehmen und mit ihnen umzugehen. Eine ausweglose Situation? „Betroffene, die feststellen, dass sie über lange Zeit nach einem Verlust nicht zu früherem Wohlbefinden zurückkehren können, oder die negativen Veränderungen im Umgang mit Gefühlen bei sich bemerken, sollten versuchen, möglichst offen über ihr Problem zu sprechen, und Unterstützung in der Familie oder bei Freunden suchen“, sagt Behringer. Für Menschen, die nicht in solche sozialen Netze eingebunden sind oder diese nicht gut nutzen können, gibt es professionelle Hilfe: Psychotherapien – insbesondere solche, die den eigenen biografischen Hintergrund der betroffenen Person berücksichtigen – können dazu beitragen, effektiver mit schwierigen Gefühlen und Gedanken umzugehen, diese zu regulieren und die Person durch neue emotionale Erfahrungen gewissermaßen „nachreifen“ zu lassen. Auch das Aufsuchen von Beratungsstellen und der Austausch mit Menschen, die ähnliche Probleme haben oder hatten, können hilfreich sein. Trauercafés beispielsweise bieten die Möglichkeit zu solchen Begegnungen.

 


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Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Ende in all seinen Formen: Welche davon sind unausweichlich? Wie setzen sich Menschen damit auseinander? Und was bedeuten sie für den einzelnen? Und ist das, was Menschen als Ende definieren wirklich der Schlusspunkt? Manchmal verändern sich Dinge nur, entwickeln sich weiter, es entsteht etwas Neues. Mitunter ist das Ende aber auch gar kein Thema: Der Mensch strebt nach Unendlichkeit. Können wir diesen Begriff überhaupt verstehen? Ist Innovation unendlich? Und leben wir unendlich weiter – im Internet?

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