Endspiel? USA und China

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(Bild: FAU/David Hartfiel)

Die Ära der USA geht zu Ende, China steigt auf

Das „amerikanische Jahrhundert“ neigt sich anscheinend dem Ende entgegen, China hingegen arbeitet am globalen Aufstieg. Stehen wir vor dem Ende einer Ära?

von Michael Kniess

Wie ist es um die Weltmacht USA bestellt? Folgt eine Globalisierung chinesischer Prägung? Derlei Fragen gibt es viele in einer Welt, die unübersichtlich geworden ist. Vom Ende des „amerikanischen Jahrhunderts“ ist die Rede, in dem die USA als Garant der Demokratie und einer liberalen Weltordnung auftraten. Im Gegenzug plane China den globalen Aufstieg, heißt es. Wissenschaftler der FAU nähern sich diesen Fragen aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven.

Für Dr. Herbert Sirois ist eines entscheidend, wenn es darum geht, ob die USA auch im 21. Jahrhundert als globale Weltmacht gelten. „Je nachdem, ob man die Ökonomie als Kriterium heranzieht, auf die politische und militärische Ebene schaut oder eher das Kulturelle in den Blick nimmt, unterscheiden sich die zu ziehenden Schlüsse“, sagt der Historiker des Lehrstuhls für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte.Das Image des „American Empire“ sei angekratzt, lautet einer dieser Folgerungen. Für Prof. Dr. Heike Paul steht fest: „Wir erleben, dass sich in der amerikanischen Populärkultur eine große Melancholie ausbreitet und verstärkt auf antike Stoffe rekurriert wird. In Kinofilmen, im TV und in der Literatur wird der Niedergang von Weltreichen durchexerziert. Das Römische Reich hat seit 9/11 Hochkonjunktur in Hollywood. Damit verbunden ist indirekt auch die Frage, ob es womöglich auch mit dem eigenen Empire zu Ende geht. ‚Are We Rome?‘ fragt beispielsweise Cullen Murphy in einem gleichnamigen Buch.“

Nach Ansicht der Inhaberin des Lehrstuhls für Amerikanistik drücken sich hier kulturelle und politische Ängste aus, die sich mit den Folgen der Terroranschläge am 11. September 2001 in den Köpfen der Amerikaner verfestigt haben. Sie betont: „Im 20. Jahrhundert war man immer der Ansicht, auf der richtigen Seite zu stehen. Doch dieser moralische Kompass der Nachkriegsordnung ist abhandengekommen. Es ist in einer derart polarisierten Gesellschaft zunehmend schwierig, die Dichotomien von ‚gut‘ versus ‚böse‘ zu überwinden.“

Bleiben die USA doch Weltmacht?

Der Blick nach innen ist für die Kulturwissenschaftlerin von besonderer Bedeutung: „In Amerika stehen wir vor einer innergesellschaftlichen Zerreißprobe, nicht erst seit Donald Trump. Hubert Wetzel schreibt in der Süddeutschen Zeitung gar vom ‚Zweiten Bürgerkrieg‘, der zunehmend denkbar erscheine.“ Gleichwohl sieht auch Paul in der militärischen Stärke und in der ökonomischen Macht der USA Indizes, die für den Verbleib Amerikas als Weltmacht sprechen.

Ähnliches konstatiert Dr. Herbert Sirois: „Setzt man Weltmacht damit gleich, dass ein Land zumindest in der Lage ist, dank ausreichender Machtmittel seine Interessen unilateral durchzusetzen, wenn es das für nötig erachtet, werden die USA noch eine ganze Zeit als Weltmacht zu sehen sein.“ Seiner Ansicht nach sprechen dafür insbesondere die militärische Überlegenheit, die Bedeutung für die Weltwirtschaft und die Dominanz im Bereich der IT- und Hightech-Industrie.

Gleichwohl stellt sich für den Historiker die Frage, wie die USA ihre globale Geltungsmacht in Zukunft einsetzen wollen und werden. „Ausstieg“ und „Rückzug“ sind für ihn dabei zwei der entscheidenden Schlagworte: „Unter dem amtierenden US-Präsidenten befindet sich das Land in einer Selbstfindungsphase, deren Ausgang für die weltpolitische Lage noch ungewiss ist.“ Es sei nicht abzusehen, inwieweit die USA den eingeschlagenen Weg des Multilateralismus beibehalten oder künftig unilateral ihre Interessen durchsetzen werden.
Letzterer Weg könnte entscheidende Folgen haben: „Das Motto ‚America first‘ von Donald Trump steht für einen neuen Isolationismus und einen wirtschaftlichen Protektionismus“, betont Dr. Herbert Sirois. Er gibt weiter zu bedenken: „Und das in einer Zeit, in der gerade wir Europäer ein wohlwollendes Amerika so dringend benötigen wie lange nicht mehr, um den weltweiten Herausforderungen wenigstens im Ansatz begegnen zu können.“

Versage Amerika tatsächlich langfristig die Kooperation, könne das weitreichende Folgen nach sich ziehen: „Da Politik kein Vakuum duldet und gerade wir in Europa nach wie vor nicht in der Lage sind, sicherheitspolitisch oder wirtschaftlich ohne Amerika zu agieren, stärkt Donald Trumps Abkehr von der traditionellen Rolle der USA in der Welt andere Mächte.“

China strebt politischen Führungsanspruch an
Chinas Wirtschaft boomt: Wird das Land zur Weltmacht des 21. Jahrhunderts? Bild: shutterstock

Eine dieser Mächte könnte China sein. Das Land ist zurück auf der Weltbühne. „Mit der sich ändernden internationalen Situation ändert sich auch Chinas Rolle in der globalen Politik“, sagt Dr. Herbert Sirois. „War Chinas Aufstieg jahrzehntelang vor allem wirtschaftlich geprägt, so formulieren Chinas Politiker zuletzt immer deutlicher auch einen globalen politischen Führungsanspruch.“

Dafür spreche zum einen das Konzept der „Neuen Seidenstraße“: „Sie ist Kern der geopolitischen Strategie Chinas, mit der das Land vor allem seinen globalen Einfluss ausbauen will.“ Hinzu kommt aus Sicht von Dr. Herbert Sirois die Zusammenarbeit mit den Mittel- und Osteuropäern im Rahmen der sogenannten 16+1-Treffen in wichtigen Bereichen wie Infrastruktur, Technologie, Landwirtschaft und Tourismus: „Dieses Vorgehen verfolgt dasselbe Ziel.“

Daraus jedoch einen auf den Abstieg Amerikas folgenden eigenen Weltmachtanspruch abzuleiten, geht für Prof. Dr. Marc A. Matten zu weit. „Das Selbstverständnis der Chinesen ist ein anderes“, hebt der Sinologe des Instituts für Sprachen und Kulturen des Nahen Ostens und Ostasiens hervor. „Im ausgehenden 19. Jahrhundert entwarf der konfuzianische Gelehrte Kang Youwei in Reaktion auf das Vordringen der europäischen Kolonialmächte in den asiatischen Raum ein umfassendes Modernisierungsprogramm zur Stärkung des chinesischen Kaiserreichs. Er beschreibt eine utopisch anmutende Reformagenda, die unter anderem eine Abschaffung von nationalstaatlichen Grenzen und Rassen fordert.“

Hat der Nationalstaat ausgedient?

Eine globale Weltordnung, in der alle Nationen und Völker gleichberechtigt vertreten sind, als Gegenentwurf zum Weltmachtgedanken – eine Überlegung, die auch Prof. Dr. Heike Paul anstellt: „Wir müssen bei aller Diskussion um den Untergang von Imperien auch die grundsätzliche Frage stellen, ob der Nationalstaat als Idee noch Zukunft hat oder der Gedanke dahinter nicht bereits obsolet ist.“

Das aktuelle Streben Chinas nach ökonomischem Aufstieg und globaler Verantwortung ist für Prof. Dr. Marc A. Matten jedoch nicht gleichzusetzen mit der Ambition, sich als die postamerikanische globale Ordnungsmacht zu etablieren: „Politische Philosophen in China haben sich in den letzten zehn Jahren mit der Frage einer Weltordnung nach chinesischen Regeln zwar intensiv beschäftigt, ohne aber ihre Ideen im außenpolitischen Handeln durchsetzen zu können.“
Überhaupt: Der Aufbau von Infrastrukturen, die Förderung kulturellen Austauschs und neue Ansätze von Entwicklungshilfe, die mit dem Aufstieg Chinas eng verflochten sind, bringen nach Ansicht von Matten bislang nur regionale und transkontinentale Machtverschiebungen mit sich. Er betont: „Für eine zukünftige Weltordnung lassen sich die Auswirkungen noch nicht absehen.“

China habe aber eines aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt: „Beim Versuch, die Weltordnung zu verändern, sollte man tunlichst auf hegemoniale Bestrebungen verzichten. Die Chinesen haben gesehen, was die amerikanische Hegemonie nach 1945 verursacht hat, angefangen vom Vietnamkrieg bis hin zum Konflikt in Syrien. Was daher eine Weltordnung mit chinesischen Besonderheiten eigentlich ist, ist im Westen auch kaum bekannt.“

Was bleibt, sind die großen Fragen, in einer Welt, die unübersichtlich geworden ist: Welchen Weg schlagen die USA weiter ein? Wie entwickelt sich die Wiedergeburt der großen chinesischen Nation weiter? Was wird aus Russland, das ebenfalls nach globaler Anerkennung sucht? Schafft es Europa, sich substanziell zu einen, und welcher Anspruch erwächst daraus? An den Instituten der FAU bleiben die Wissenschaftler nicht nur dran an all jenen Fragen. Sie denken diese voraus, wägen ab und zeigen Optionen auf.


Der friedrich – das Forschungsmagazin der FAU

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Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Ende in all seinen Formen: Welche davon sind unausweichlich? Wie setzen sich Menschen damit auseinander? Und was bedeuten sie für den einzelnen? Und ist das, was Menschen als Ende definieren wirklich der Schlusspunkt? Manchmal verändern sich Dinge nur, entwickeln sich weiter, es entsteht etwas Neues. Mitunter ist das Ende aber auch gar kein Thema: Der Mensch strebt nach Unendlichkeit. Können wir diesen Begriff überhaupt verstehen? Ist Innovation unendlich? Und leben wir unendlich weiter – im Internet?

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