Ins Hirn Geschaut

Ein Pärchen im Kino
Als wäre nie etwas gewesen: Unterschwellige Werbung in Filmen soll wirken, ohne dass wir es mitbekommen - so die Theorie: Die Praxis sieht anders aus. (Bild: iStock/Geber86)

Stimmt es, dass Millisekunden-Einblendungen in Filmen uns beeinflussen können? Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Andreas Fürst hat es ausprobiert – mit Hirn-Scans.

von Ralf Grötker

Im Jahr 1957 lud der amerikanische Marktforscher James Vicary zu einer Pressekonferenz ein, um Journalistinnen und Journalisten einen kurzen Film über Fische zu zeigen. Für das Publikum unsichtbar, wurde dabei immer wieder für den Bruchteil einer Sekunde ein Schriftzug eingeblendet. Erst als die Schriftzeichen in dunkler Einfärbung projiziert wurden, erschienen diese wie eine Art Wasserzeichen, das sich über den Film legte.

Der Fischfilm war eine Demonstration für die Wirkung unterschwelliger Werbung. Der Schriftzug lautete: „Trink Coca-Cola!“ Vicary verwendete für die Vorführung einen Spezialprojektor, denn ein normales Filmvorführgerät hätte keine kürzeren Frequenzen als Bilder von einer Vierundzwanzigstelsekunde an die Wand werfen können – was in den Bereich der bewussten Wahrnehmung fällt. Ähnliche Einblendungen wie auf der Pressekonferenz hatte Vicary zuvor in einem Kino getestet. Während des sechs Wochen laufenden Versuches, so berichtete Vicary der Presse, waren über 45.000 Zuschauerinnen und Zuschauer ohne ihr Wissen den Befehlen „Iss Popcorn!“ und „Trink Coca-Cola!“ ausgesetzt worden. Das Resultat, mit dem Vicary vor seinen Gästen triumphierte: Der Verkauf von Coca-Cola an der Kinokasse war um 18,1 Prozent gestiegen, der Absatz von Popcorn sogar um 57,5 Prozent.

„Die Konsumentinnen und Konsumenten waren für die Werbe-Wirkungsforschung bisher eine Black Box. Man wusste nicht, was wirklich in ihnen vorgeht.“

Die durch die Presse informierte Werbebranche war begeistert. Die Öffentlichkeit hingegen war geschockt. Der Schriftsteller Aldous Huxley sah Horrorszenarien aus seinem Roman „Schöne neue Welt“ Realität werden: Manipulationen der Werbeindustrie ausgeliefert, waren die Menschen dabei, die Kontrolle über ihren Geist zu verlieren. Rechtliche Konsequenzen ließen nicht auf sich warten. Etliche Staaten, darunter auch Deutschland, stellten den Gebrauch unterschwelliger Werbung unter Strafe.

In Wiederholungen des Experiments konnten die behaupteten Effekte nicht verifiziert werden. Vicary selbst gab in einem 1962 veröffentlichten Interview zu, dass das Kino-Experiment bloß eine ausgedachte PR-Lüge gewesen sei, mit der er für seine Agentur „Subliminal Productions“ Aufträge habe an Land ziehen wollen. Trotz dieses Rückziehers und trotz des Mangels an Beweisen ist der Mythos der manipulativen Millisekunden-Einblendungen heute immer noch Bestandteil populären Halbwissens.

Jetzt erst, mehr als sechzig Jahre nach Vicarys aufsehenerregenden Behauptungen, ist es technisch erstmals möglich, tatsächlich zu überprüfen, ob und wie unterschwellige Werbung funktioniert: mit Hirn-Scans. Prof. Dr. Andreas Fürst, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der FAU, wollte es wissen und hat zusammen mit seinem Team das Experiment durchgeführt. Fürst hat 46 Versuchspersonen an einen Hirn-Scanner angeschlossen – ein fMRT-Gerät. Mittels fMRT lässt sich messen, in welchen Hirnregionen zu einem gegebenen Zeitpunkt das Blut mit Sauerstoff angereichert wird. Dies wiederum, so eine populäre wissenschaftliche Hypothese, lässt darauf schließen, ob eine Person gerade ärgerlich ist, ob sie nachdenkt oder eine bewusste Handlung plant.

Mörderisch

Unterschwellige Werbung regt (angeblich) nicht nur unser Verlangen an, sondern wohl auch unsere Fantasie: In einer Folge der amerikanischen Fernsehserie „Columbo“ aus dem Jahr 1973 nutzt der Mörder unterschwellige Werbung, um sein Opfer ungestört umzubringen: Motivationsforscher Dr. Bart Kepple schürt während einer Kinovorstellung bei seinem Opfer Victor Norris zunächst den Durst und blendet dann für Millisekunden Werbung für Getränke ein. Norris verlässt den Saal, um seinen Durst zu stillen – und Dr. Kepple nutzt die Gelegenheit für seine Tat.

„Die Konsumentinnen und Konsumenten waren für die Werbe-Wirkungsforschung bisher eine Black Box. Man wusste nicht, was wirklich in ihnen vorgeht. Mit den neuen Verfahren ist es uns nun möglich, diese Black Box zu öffnen“, sagt Fürst. Die 46 Testpersonen bekamen während des Hirn-Scans einen Kurzfilm gezeigt: eine Filmsequenz, in der Buchstaben und andere Zeichen gezeigt wurden. In dem Experiment wurde die Vorführung als Konzentrationsaufgabe dargestellt. Die Versuchspersonen sollten Knöpfe drücken, wenn sie eine vorher vereinbarte Zeichenfolge sahen. In dem Kurzfilm versteckt waren 0,023 Sekunden lange Einblendungen von Schokoriegel-Marken. Die in zwei Gruppen unterteilten Probanden und Probandinnen wurden Einblendungen von zwei verschiedenen Marken ausgesetzt sowie Test-Einblendungen, in denen nur Farben und Formen der Marken-Logos zu sehen waren. Neben den nur unterschwellig wahrnehmbaren Bildern wurden ihnen zu Kontrollzwecken auch bewusst wahrnehmbare Einspielungen gezeigt.

„Mit dem Versuch“, erzählt Andreas Fürst, „wollten wir herausfinden, ob das Hirn unterschwellige Reize überhaupt, und falls ja, anders verarbeitet als bewusst wahrnehmbare Reize. Außerdem haben wir getestet, ob die neuronale Verarbeitung von unterschwelligen Reizen dadurch beeinflusst wird, wenn eine Person den gleichen Reiz zuvor bewusst wahrgenommen hat.“

Der finale Sargnagel

Auf die Resultate gespannt zu sein, hatte Fürst allen Grund. Trotz der gescheiterten Bemühungen in den 1950er-Jahren, Vicarys Befunde zu reproduzieren, lässt sich bislang nämlich nicht wirklich beurteilen, inwiefern unterschwellige Werbung eine Wirkung hat. Spätere wissenschaftliche Untersuchungen führten zu keiner eindeutigen Ergebnislage. Einige Studien wiesen nach, dass unterschwellige Werbung neue Bedürfnisse wecken kann. Andere Studien zeigten das Gegenteil. Einige Studien zeigten, dass erfolgreich Kaufanreize für bestimmte Marken gesetzt werden konnten. Andere Studien widerlegten dies. Darüber hinaus, so Andreas Fürst, hatten die bisherigen Studien mit methodischen Mängeln zu kämpfen. „Immer dann, wenn man durch Interviews herausfinden will, ob Werbung einen Effekt erzielt, hat man das Problem, dass allein durch das reine Stellen von Fragen viele Probanden und Probandinnen bereits hierfür sensibilisiert werden. Hierdurch kann im Extremfall eine sich selbst erfüllende Prophezeiung entstehen.“ Könnte nicht das Einkaufsverhalten direkt gemessen werden? „Ja, aber das ginge entweder nur direkt nach der Einspielung, so wie bei einem Kino-Spot, oder wäre enorm aufwendig.“

Trotz Verboten wurde unterschwellige Werbung immer wieder eingesetzt. Eine lange Liste von Vorfällen findet sich in dem Wikipedia-Eintrag „Instances of subliminal messages“. Ein Beispiel: Die Republikanische Partei sendete im US-Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 2000 einen Fernsehspot, in dem die Demokraten als „Bureaucrats“ (Bürokraten) beschimpft wurden. Eine verborgene Millisekunden-Einblendung zeigte das Wort „Rats“ (Ratten). Ob so etwas eine Wirkung hat? Nach Fürsts komplexem Versuch herrscht darüber jetzt Klarheit. Völlige Fehlanzeige! „Bei der Einspielung von Frequenzen, die so kurz waren, dass unsere Testpersonen sie nicht mehr bewusst wahrnehmen konnten, tat sich im Gehirn einfach so gut wie gar nichts.“

Das Hirn-Scan-Experiment ist wohl der finale Sarg­nagel für die Idee unterschwellig wirksamer Werbung. Ob dies dazu führt, dass der von Vicary in die Welt gesetzte Mythos verschwindet?

Über den Autor

Ralf Grötker ist Mitglied des Journalistenbüros Schnittstelle und schreibt als Wissenschaftsautor vor allem zu Themen aus Sozialforschung, Ökonomik und Philosophie.


FAU-Forschungsmagazin friedrich

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