Medienethiker Prof. Schicha zum neuen Rezo-Video

Prof. Dr. Christian Schicha
Medienethiker Prof. Dr. Christian Schicha. (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

Medienkompetenz-Grundkurs auf Youtube

In einem neuen Video erklärt Youtuber Rezo, wie guter Journalismus funktioniert, warum Quellen wichtig sind und was eine gute Quelle überhaupt ist. „Die Zerstörung der Presse“ wurde bereits über 2 Millionen Mal gesehen (Stand: 5. Juni 2020), viele Medien haben darüber berichtet. Wir haben mit Medienethiker Prof. Dr. Christian Schicha über das Video gesprochen.

Sehen sie das Video als “Zerstörung der Presse” oder gar als “Liebeserklärung an guten Journalismus” wie netzpolitik.org oder der Spiegel?

Wenn ich mich entscheiden muss, dann ist es eher die Liebeserklärung. Weil deutlich differenziert wird zwischen Qualitätsmedien, die ihrem guten Ruf entsprechen, und unseriösen Medien. Rezo hat ja eine kleine Untersuchung vorgenommen und beobachtet, wie Medien über ihn selbst berichten. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass beispielsweise der Spiegel relativ fehlerfrei gearbeitet hat, während andere Medien wie die Welt nicht so professionell vorgegangen sind.

Rezo vertritt zu Recht die Auffassung, dass es wichtig ist, Vertrauen in den professionellen Journalismus zu haben. Im Grunde ist das Video ein Plädoyer für eine seriöse, qualitativ hochwertige Berichterstattung. Den Medien, die diesem Anspruch nachkommen, gibt er ja auch gute Noten. Er betreibt kein allgemeines Medien-Bashing. Rezo differenziert argumentativ und arbeitet mit zahlreichen Beispielen und Belegen.

Irgendwelche Überraschungen?

Die Länge! Das Video hat 59:58 Minuten – das ist natürlich nach wie vor ungewöhnlich. Youtube besticht ja normalerweise mit relativ kurzen Beiträgen, die maximal einige Minuten lang sind. Rezo folgt hier dem Muster seines ersten besonders populären Videos „Die Zerstörung der CDU“, das inzwischen über 17 Millionen Zugriffe hat. Das ist auch fast eine Stunde lang. Es trifft also nicht zu, dass Menschen heute nicht mehr in der Lage sind, über einen längeren Zeitraum komplexen Inhalten zu folgen. Das hat er mit seinem neuen Video entkräftet, indem er sukzessiv verschiedene Themen relativ stichhaltig nacheinander argumentativ abarbeitet.

Angenommen es wäre Ihr Video – was würden Sie anders machen?

Inhaltlich kann ich dem Video nahezu in allen Bereichen folgen. Die Themen, die er aufgreift, sind die, mit denen ich mich auch schon seit Jahren beschäftige – egal ob das der Boulevard-Journalismus ist, Verschwörungstheorien, Recherche oder Fake-News. Ich mache das nur in einer anderen Form, in Vorträgen, Interviews und Publikationen. Und ich habe natürlich eine etwas andere Sprache – aber ich habe als Wissenschaftler und Dozent auch eine andere Rolle und eine andere Funktion.

Der Innenpolitik-Ressortleiter der FAZ, Jasper von Altenbockum, wird ordentlich vorgeführt. Zu Recht?

Rezo zeigt einen Ausschnitt aus einer Phoenix-Runde mit Jasper von Altenbockum und setzt anschließend im Grunde genommen einen Gegenpunkt. Ob da jetzt alle Fakten hundertprozentig stimmen, kann ich ohne eigene Recherche nicht beurteilen. Aber ich war schon ein bisschen erschüttert, wie unprofessionell da ein Journalist einer führenden Qualitätszeitung angeblich agiert hat. Von einer Boulevardzeitung hätte ich nichts anderes erwartet. Aber wenn eine Zeitung wie die Frankfurter Allgemeine einen Menschen beschäftigt, der so viel Unsinn erzählt, – sofern die Vorwürfe berechtigt sind – dann ist das schon sehr problematisch. Qualitätszeitungen prägen letztendlich massiv den Ruf des Journalismus generell. Wenn die FAZ in diesem Fall da tatsächlich so negativ dasteht, ist das sehr bedauerlich und auch bedenklich.

Rezo erwartet, dass sich gute Journalisten von Bild und Co. distanzieren. Ist das realistisch?

Die wirtschaftliche Situation des Journalismus insgesamt ist hochgradig problematisch. Besonders stark natürlich im Print-Journalismus, aber auch in anderen Formen, weil er sich durch diese Umsonst-Mentalität, durch die kostenlosen Inhalte, die im Netz bereitgestellt werden, in einer massiven Krise befindet. Das hat natürlich zur Folge, dass die Solidarität zwischen den Journalisten groß ist. Gerade viele freie Journalisten arbeiten eben nicht nur für die eine Zeitung oder den einen Sender, sondern bieten ihre Beiträge bei unterschiedlichen Plattformen und Medien an. Ich würde mir aber trotzdem wünschen, dass tatsächlich auch aus journalistischer Perspektive eine Distanzierung von der Berichterstattung erfolgt, die nicht den Qualitätsstandards entspricht.

Ein weiteres Defizit: Das Medienmagazin Zapp das einzige medienkritische Format im deutschsprachigen Fernsehen, sowohl im öffentlich-rechtlichen, als auch im privat-kommerziellen Bereich. Bis auf die Kanäle, die Rezo ja auch in seinem Video genannt hat wie zum Beispiel Bildblog oder Übermedien, gibt es relativ wenig fundierte Medienkritik auch  im Internet. Das ist sehr bedauerlich, weil Medien das eigene Handeln und das Handeln der Kolleginnen und Kollegen kritisch reflektieren sollten.

Rezo nimmt aber nicht nur Journalisten in die Pflicht, sondern auch die User. Ist das ein neuer Ansatz?

Das ist die klassische Publikums-Ethik. Auch die Medienrezipienten sollten kritisch reflektieren, welche Inhalte Sie nutzen und bezahlen. Dennoch gilt häufig: „Only bad news are good news“, weil natürlich all das was an Katastrophen, an Skandalen, an privaten Verfehlungen und der Verletzung des Persönlichkeitsschutzes auch durch die Medien stattfindet, beim Publikum ein hohes Interesse bekommt und positive und sachliche Beiträge häufig  keine hohe Medienresonanz haben.

Wir haben in der Medienethik insgesamt unterschiedliche Reichweiten von Zuständigkeiten: Jeder Journalist, jede Journalistin muss sich selber überlegen, was er oder sie im Rahmen der eigenen ethisch korrekten Berichterstattung verantworten kann. Das ist die Individual-Ethik.

Bei der Professionsethik liegt die Verantwortung bei den Berufsverbänden. Hier spielen Kodizes und Standesethiken eine wichtige Rolle. Und dann gibt es die Institutionsethik, wo die Verantwortung bei den Verlegern und Gesetzgebern liegt.

Was ist ihr Tipp: Wie unterscheide ich seriöse von unseriösen Medien?

Man sollte die Vielfalt von Medien nutzen. Rezo hat ja Medien genannt, die einem seriösen Anspruch folgen – spontan würde ich den Spiegel nennen, die Zeit, die Süddeutsche und grundsätzlich auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Aber auch viele dieser Printmedien haben ihre Skandale und Skandälchen gehabt – ob das die Hitler-Tagebücher beim Stern waren oder der Fall Relotius beim Spiegel. Auch da gibt es Fehler, Manipulation oder Fake-News, aber das muss eben aufgearbeitet werden. Ich finde, das wurde im Fall Relotius sehr gut und transparent gemacht. Man kann sich irren, man kann Fehler machen, aber die kann man korrigieren. Und umso offener und transparenter ein Medium zugibt, dass es einen Fehler gemacht hat, umso glaubwürdiger ist es. Da geht es, das greift Rezo ja auch auf, um Vertrauen. Fehlerfreiheit ist glaube ich kein Kriterium, das man seriös an Medien stellen kann.

Ist das Video ein Journalismus-Grundkurs auf Youtube?

Ich war tatsächlich positiv beeindruckt. Wir sagen ja alle, wir brauchen mehr Medienkompetenz und ich glaube, dass dieses Video, wenn es ähnlich erfolgreich ist wie sein CDU-Zerstören-Video, durchaus auch eine Zielgruppe erreicht, die sich sonst mit solchen Themen weniger auseinandersetzt.

Ich rechne auch damit, dass sich in Form von wissenschaftlichen und journalistischen Analysen, Hausarbeiten und Studien durchaus Resonanz auf diesen Beitrag von Rezo ergibt. Im Grunde sind die Themen des Videos ja auch Gegenstand meiner Lehrveranstaltungen, Vorträge und Publikationen. Es wäre sicher spannend, sich die Reaktionen der Medien anzusehen, die von ihm attackiert worden sind. Ich bin mir relativ sicher, dass da die eine oder andere Bachelor- oder Masterarbeit in die Richtung einer Videoanalyse gehen wird – das würde ich auch sehr begrüßen.


Prof. Dr. Christian Schicha ist Professor für Medienethik an der FAU und lehrt in der Theater- und Medienwissenschaft sowie im Master Medien-Ethik-Religion.