Paragraphen und Künstliche Intelligenz

Porträt Prof. Adrian
Prof. Adrians Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Legal Tech und KI im Rechtswesen. (Bild: Axel Adrian)

Legal Tech und KI im Rechtswesen

Dr. Axel Adrian ist Honorarprofessor am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie. Einer seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte ist Legal Tech und der Einsatz von KI im Rechtswesen. Im Interview erklärt er, welche Bedeutung diese Entwicklungen für den juristischen Alltag haben.

Herr Prof. Adrian, Sie beschäftigen sich intensiv mit Legal Tech. Wofür steht Legal Tech? Was genau ist das?

Das Wort ist zusammengesetzt aus Legal Services und Technology. Seit Beginn des Legal-Tech-Hypes 2015 in Deutschland versucht man mit Unterstützung von modernen Computertechnologien, Rechtsdienstleistungsprozesse zu vereinfachen und zu verbessern, aber auch das anwaltliche Geschäftsmodell zu verändern, insbesondere zu skalieren und neue Einnahmequellen zu erschließen.

Inwiefern kommt Legal Tech im Alltag zum Einsatz?

Plattformen wie Flightright.de oder wenigermiete.de, funktionieren wie eine “Einkaufsgenossenschaft”. Sie ermöglichen die Bündelung und automatische Bearbeitung tausender gleichartiger Fälle, zum Beispiel den Schadensfall Flugverspätung, und so gegenüber der Fluggesellschaft auch eine gewisse Marktmacht aufzubauen. Wenn die Fluggesellschaft nicht freiwillig zahlt, muss am Ende ein Anwalt einen Schriftsatz erstellen. Das ist Legal Tech, da Mandanten akquiriert und zahlreiche Prozessergebnisse maschinell ausgewertet werden können.

Gibt es noch andere Szenarien?

In den Rechtsabteilungen und Großkanzleien werden Tools wie “Kira” oder “Leverton” eingesetzt, um zum Beispiel große Aktenmengen oder mehrere hundert Seiten starke Verträge maschinell mit Musterformulierungen der Juristen zu vergleichen. Jede Kanzlei steckt ihr rechtliches Wissen in ein solches System und trainiert dies, damit jeder Anwalt dieser Kanzlei für seinen Fall darauf zurückgreifen kann.

Welche Rolle spielt dabei Künstliche Intelligenz?

Mit KI lassen sich nur Teile eines Rechtsdienstleistungsprozesses, wie zum Beispiel der Vergleich ähnlicher Klauseln nach semantischen Vorgaben, bearbeiten. Dabei handelt es sich um “schwache KI”, die konkrete Anwendungsprobleme in Einzelbereichen lösen kann. Die “starke KI”, die das Ziel hat, eine Intelligenz zu erschaffen, die das menschliche Denken mechanisieren soll, ist auch bei Legal Tech eine Fiktion.

In welchem Bereich betreiben Sie Grundlagenforschung?

Wir arbeiten in beiden Welten von KI. Man benötigt Daten aus den besten Präzedenzfällen, um durch Machine Learning eine KI auf Rechtsprobleme trainieren zu können. Doch nur weniger als zwei Prozent aller Urteile in Deutschland sind überhaupt veröffentlicht, weil diese dazu erst manuell anonymisiert werden müssen. Daher untersuchen Prof. Dr. Stefan Evert vom Lehrstuhl für Korpuslinguistik und ich zum Beispiel für das Bayerische Justizministerium, ob es möglich ist Urteile automatisch durch KI zu anonymisieren und ob eine Maschine dies so gut kann, wie ein Mensch. Wäre das der Fall, hätten wir die nötigen Trainingsurteile, um weitere KI-Systemen füttern zu können. Auch im Bereich von Expertensystemen erforschen Prof. Dr. Michael Kohlhase vom Lehrstuhl für Wissensrepräsentation und -verarbeitung und ich zum Beispiel, wie man juristisches Argumentieren formalisieren und mit einer Maschine verarbeiten und simulieren kann. Besonders spannend ist, ob man juristische Analogieschlüsse repräsentieren und berechnen kann.

Wird der Richterautomat, also die Maschine, die ein Urteil spricht, kommen?

Ein Richter muss komplizierte Rechtsnormen auf schwierige Sachverhalte in verschiedensten Rechtsgebieten anwenden können. Mit dem „Internet Court“ in Hangzhou/China urteilt für bestimmte Sachverhalte bereits eine Art Richterautomat. Mit Prof. Dr. Georg Gesk von der Universität Osnabrück versuchen wir die dort eingesetzte Technik zu verstehen. Rechtlich muss meines Erachtens aber am Ende ein Mensch die juristische Verantwortung für sein Urteil tragen und daher werden künftig Maschinen juristische Entscheidungen umfassend unterstützen, aber nicht ersetzen.


alexander – Aktuelles aus der FAU

FAU Magazin alex Titel Ausgabe 114

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FAU-Magazin alexander Nr. 114 (Oktober 2020)

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