Wie Nervenzellen überlebenswichtige Bewegungen bei Neugeborenen steuern

Ein neugeborenes wird gewickelt
Bild: Colourbox

Schnelle Babys

Babys sind in der Lage, äußerst schnelle Bewegungen durchzuführen. Dies ist ein wesentlicher Baustein in der Entwicklung des menschlichen Nervensystems. Ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung der FAU hat nun eine Methode entwickelt, mit der sich diese Bewegungen auf der Ebene einzelner Nervenzellen quantitativ auswerten lassen. Später könnte diese Methode einmal verwendet werden, um Entwicklungsstörungen in der Steuerung des Bewegungsapparats frühzeitig zu erkennen.

Wer schon einmal ein Baby gewickelt weiß: Auch wenn sie noch winzig sind, die Neugeborenen können ihre Gliedmaßen sehr schnell bewegen. Die schnellen Bewegungen sind wichtig, um in dieser sehr frühen Phase robuste Verknüpfungen im Nervensystem zu ermöglichen und eine einwandfreie Funktion des Bewegungsapparats zu gewährleisten. Ein internationales Team um Prof. Dr. Alessandro Del Vecchio, Juniorprofessor für Neuromuscular Physiology and Neural Interfacing an der FAU, untersuchte, wie diese Bewegungen entstehen. Hierzu haben sie eine nicht-invasive Methode entwickelt, die zeigt, wie die menschlichen Nervenzellen die Bewegungen von Gliedmaßen steuern.

Schnelle Bewegungen sind wichtig für die Entwicklung des Nervensystems

Für die Steuerung der Muskelbewegungen sind besondere Zellen verantwortlich, die sogenannten Motoneuronen. Sie verknüpfen das Gehirn mit den Muskeln. Bei Neugeborenen sind viele dieser Motoneuronen extrem synchronisiert, im Bereich von Millisekunden. Sie geben gleichzeitig dieselben Signale ab und tragen damit zu einer erfolgreichen Verknüpfung des Nervensystems in dieser sehr frühen Phase bei. Denn Nervenzellen, die gleichzeitig Signale abgeben, verknüpfen sich bevorzugt. Mit ihrer neuen Methode sind Del Vecchio und sein Team in der Lage, die Aktivität einzelner Motoneuronen in den Bewegungen von Babys zu identifizieren.

Synchronisierte Bewegungen ersetzen mangelnde Muskelkraft

Die Wissenschaftler fanden nun heraus, dass die starke Synchronisierung der Nervenzellen bei Babys noch einen anderen Zweck hat. Durch die schwach ausgeprägte Muskulatur mangelt es Babys an Kraft. Dies gleichen sie durch sehr hohe Synchronisierung, sprich die gleichzeitige Kontraktion der einzelnen Muskelfasern, teilweise aus. Somit sind Babys schon sehr früh – wenige Stunden nach der Geburt – zu überlebenswichtigen Bewegungen, wie beispielsweise Reflexen, in der Lage.

Früherkennung von Bewegungsstörungen

Das bessere Verständnis des Zusammenspiels zwischen Motoneuronen und Bewegungen bei Babys kann möglicherweise dazu beitragen, Entwicklungsstörungen im Bewegungsapparat zukünftig besser zu erkennen und zu therapieren. Die von Del Vecchio entwickelte, nicht-invasive Methode lässt sich bei Neugeborenen einfach und schmerzfrei anwenden.
Prof. Dr. Alessandro Del Vecchio forscht als Juniorprofessor für Neuromuscular Physiology and Neural Interfacing am neu eingerichteten Department Artificial Intelligence in Biomedical Engineering. Die Professur von Alessandro del Vechhio ist eine von insgesamt vier Juniorprofessuren im Rahmen des Nachwuchsförderungsprogramms d.hip Campus-bavarian.aim der FAU und der Siemens Healthcare GmbH.

Ihre Erkenntnisse haben Del Vecchio und sein Team in der renommierten Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht, der englischsprachige Artikel ist im Internet frei zugänglich.

Weitere Informationen

Del Vecchio A, Sylos-Labini F, Mondì V, Paolillo P, Ivanenko Y, Lacquaniti F, Farina D (2020) Spinal motoneurons of the human newborn are highly synchronized during leg movements. Science Advances, 20 Nov 2020: Vol. 6, no. 47, eabc3916, DOI: 10.1126/sciadv.abc3916

Prof. Dr. Alessandro Del Vecchio
alessandro.del.vecchio@fau.de