Wenn der Frieden im Darm gestört ist

Prof. Dr. Christoph Becker
Prof. Dr. Christoph Becker untersucht die Signalwege bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. (Foto: Uni-Klinikum Erlangen/Rabenstein)

Der Darm ist ein wichtiger Teil des Immunsystems. So bildet die Deckschicht des Darms, das Darmepithel, eine Barriere, die darüber entscheidet, welche Stoffe Zugang zum Körper erhalten und welche abgewiesen werden. Einerseits bietet das Darmepithel einen Schutz vor den im Darm lebenden Trillionen von Bakterien und sorgt dafür, dass sie nicht in den Körper eindringen. Andererseits ist mittlerweile klar, dass die Darmflora mit dem Immunsystem kommuniziert – unterhalb des Epithels sind in der Darmwand etwa 70 Prozent aller Immunzellen des menschlichen Körpers beheimatet – und sich Darmflora und Immunsystem gegenseitig beeinflussen.

Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Christoph Becker, Professor für Molekulare Gastroenterologie an der FAU sowie Leiter Forschung an der Medizinischen Klinik 1 am Universitätsklinikum Erlangen und des Sonderforschungsbereichs TRR241 „Immun-Epitheliale Signalwege bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen“, hat sich zur Aufgabe gemacht, zugrunde liegende Prozesse für eine fehlgeleitete Kommunikation zwischen der Darmflora, dem Darmepithel und den Immunzellen zu ergründen. Diese fehlgesteuerten Signalwege, davon gehen Becker und sein Team aus, können etwa dazu beitragen, dass chronisch- entzündliche Darmerkrankungen (CED) wie Morbus Crohn oder Colitis Ulcerosa entstehen.

Der Dolmetscher im Darm

Die Epithelzellen des Darms dienen dabei als Dolmetscher: Sie übersetzen die Signale der Darmflora in Signale, die das Immunsystem versteht – und umgekehrt. Das Immunsystem sendet über die Epithelzellen Signale, die direkt oder indirekt die Darmflora beeinflussen. Als Folge werden zum Beispiel Bakterien abgetötet oder körpereigene Stoffe ausgeschüttet, die die Zusammensetzung der Darmflora ändern. Auch der Zustand der Schleimschicht, die den Darm auskleidet, kann sich ändern. „Die Signale des Immunsystems regulieren nicht nur die Anzahl der im Darm lebenden Bakterien, sondern auch, welche Bakterien in welcher Darmumgebung leben dürfen“, sagt Becker. Die Bakterien wiederum haben einen wesentlichen Anteil an der Reifung des Immunsystems – ohne bakterielle Besiedelung des Darms kann sich das Immunsystem nicht richtig entwickeln. Die Signalwege, die das Epithel vermittelt, um all diese Prozesse im Gleichgewicht zu halten, sind bislang noch nicht vollständig bekannt. „Wir glauben jedoch, dass die Funktion des Epithels als Dolmetscher der Signale von Darmflora und Immunsystem immens wichtig ist, um in einer für den Körper an sich fremden und potenziell feindseligen Atmosphäre Frieden und damit die Gesundheit zu erhalten“, erklärt Becker.

Gestörtes Gleichgewicht

Gerät das durch das Epithel vermittelte Gleichgewicht aus dem Lot, können Bakterien in die Darmbarriere eindringen. Das Epithel ruft daraufhin durch Botenstoffe das Immunsystem zu Hilfe. Das Immunsystem erkennt die Eindringlinge und stellt nun Moleküle her, die eine Entzündung auslösen. Das ist zwar ein normaler Vorgang, um Mikroorganismen abzutöten, doch schädigt eine Entzündung wiederum die Epithelzellen und schafft weitere  Einfallstore für Bakterien. Erneut produziert das Epithel Botenstoffe, um das Immunsystem auf den Plan zu rufen. Wird das immunologische Gleichgewicht im Darm nicht wiederhergestellt, etwa weil die Produktion der entzündungsfördernden Stoffe durch Störungen in den Signalwegen zu langsam abgeschaltet wird, entsteht ein sich verselbstständigender Kreislauf, der, so Becker, zu chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen führen kann.

Steuerung des Zelltods

Auch eine fehlgesteuerte Zelltodregulation kann, davon gehen die FAU-Forschenden aus, zu CED führen. So ist bekannt, dass die Apoptose, eine Form des programmierten Zelltods, bei Darmepithelzellen durch eine hohe Aktivität des Enzyms Caspase-8 hervorgerufen wird. Sind viele Zellen von Apoptose betroffen, kann das die Darmbarriere schädigen und zur Entstehung von CED beitragen. Beckers Team ging davon aus, dass dies mit der Hemmung von Caspase-8 vermieden werden könnte. Doch das Gegenteil war der Fall: Fehlte Caspase-8 in den Zellen, begingen sie ebenfalls Selbstmord – und zwar durch eine erst seit wenigen Jahren bekannte Form des programmierten Zelltods, die Nekroptose. Jetzt untersuchen die Forschenden, welchen Einfluss die Nekroptose auf CED und andere Darmerkrankungen hat.

Über die Autorin

Simone Harland ist seit 25 Jahren freiberufliche Journalistin und Texterin. Ihr Handwerk gelernt hat die Diplom-Sozialwirtin und Autorin von etwa 50 Sachbüchern im Harenberg Verlag. Sie schreibt für Zeitschriften, Unternehmen und Verlage und lebt am Meer.


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