Wissenschaftliche Leistung – zählen nur die Zahlen?

Forscherin in Labor
Bild: Uwe Niklas

DFG lanciert Maßnahmen für eine gerechtere Bewertung. Wie FAU-Forschende die Erfolgsaussichten der Initiative sehen

Wie lässt sich wissenschaftliche Leistung bewerten? Forschende aller Disziplinen sind darauf angewiesen, dass ihre Arbeit korrekt und gerecht beurteilt wird – hängt doch nicht nur ihre wissenschaftliche Reputation, sondern oft eine hohe Fördersumme davon ab. Und nicht zuletzt ihre Zukunft in der Wissenschaft. Deshalb treibt auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Frage nach einer gerechten Beurteilung wissenschaftlicher Arbeit seit Langem um.

Zählen die schieren Zahlen – etwa von Publikationen? Welche Rolle spielen qualitative Aspekte? Und sind im Einzelfall nicht auch besondere Lebensumstände zu berücksichtigen – etwa weil eine Forscherin oder ein Forscher neben ihrer oder seiner wissenschaftlichen Arbeit noch ein Kind erziehen oder einem Broterwerb nachgehen musste und deshalb die Zahl der Publikationen zwangsläufig geringer ausfiel?

Nach der Veröffentlichung eines Positionspapiers im Frühsommer hat die DFG nun ein Maßnahmenpaket folgen lassen. Dazu gehört etwa in Anträgen eine verpflichtende Vorlage für den Lebenslauf, in der Lebensumstände kenntlich gemacht werden können. Außerdem soll bei der Begutachtung und Bewertung eines Antrags ein stärkerer Fokus auf die inhaltlichen Aspekte der bisher geleisteten Arbeit gelegt werden, weniger auf die Zahl von Publikationen oder den h-Index.

Aber werden diese Maßnahmen wirklich eine Veränderung bewirken – oder laufen sie ins Leere? Wir haben Forscherinnen und Forscher an der FAU nach ihrer Meinung gefragt.

Andreas Hirsch, Vizepräsident People der FAU und Inhaber des Lehrstuhls für Organische Chemie II

Prof. Dr. Andreas Hirsch
Prof. Dr. Andreas Hirsch, Lehrstuhl für Organische Chemie II und Vizepräsident People. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

„Die Initiative der DFG ist sehr zu begrüßen. Publikationsdaten wie Anzahl von Publikationen, Impactfaktoren der Publikationsorgane oder h-Faktoren als einziges Kriterium für den Nachweis einer guten wissenschaftlichen Qualifikation heranzuziehen, führt zu keiner objektiven Einschätzung einer Person. Es gibt eine ganze Reihe von weiteren Qualitätsmerkmalen, die die Bedeutung von Wissenschaftler*innen beschreiben. Dazu gehören wissenschaftliche Preise, eingeworbene Drittmittel, Mitgliedschaften in wissenschaftlichen Akademien, die Nachhaltigkeit der Forschung, eingeladene Vorträge auf führenden Konferenzen, besondere beratende Expertenfunktionen, besonderes Engagement in Fachgremien, Mitgliedschaften in Fachpanels – zum Beispiel der DFG oder dem ERC – oder das nachhaltige Mentoring von Nachwuchswissenschaftler*innen auf nationaler und internationaler Ebene.

Die individuelle Wichtigkeit der einzelnen Qualitätsmerkmale ist von Fach zu Fach sicherlich unterschiedlich. Die eigene Erfahrung hat allerdings gezeigt, dass besonders herausragende Wissenschaftler*innen in mehreren, wenn nicht gar in den meisten dieser Kriterien gleichermaßen gut ausgewiesen sind. Diese Initiative wird aber sicherlich dazu beitragen, dass Entscheidungen zum Beispiel von Berufungskommissionen oder Förderorganisationen weiter objektiviert werden.“

Kathrin Castiglione, Inhaberin des Lehrstuhls für Bioverfahrenstechnik

Portrait Prof. Castiglione
Prof. Dr. Kathrin Castiglione (Bild: FAU/Georg Pöhlein)

„Aus meiner Sicht ist eine Verbesserung der Chancengleichheit durch standardisierte Darstellung auf jeden Fall begrüßenswert. Eine Abkehr von der starken Orientierung an meist kontextlosen Zahlen, wie dem h-Index, hin zu einer umfassenderen Betrachtung der wissenschaftlichen Laufbahn ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.In meiner Fachgruppe bei der DFG, der Bioverfahrenstechnik, ist es beispielsweise immer noch so, dass Frauen im Schnitt geringere Bewilligungsquoten haben als männliche Antragsteller, obwohl Frauen nicht weniger gute Forschungsideen haben oder generell schlechtere Anträge schreiben. Auch in diesem Zusammenhang kann eine standardisierte Darstellung von Lebensläufen unter besserer Berücksichtigung von Lebensumständen und Gremienarbeit, in die Wissenschaftlerinnen zumeist auch überproportional stark involviert sind, nur förderlich sein.“

Johannes Fürst, Nachwuchsgruppenleiter und ERC-Preisträger, Forschungsthema: Die Zukunftsstrategie für weltweite Gebirgsgletscherprognosen

Johannes Fürst
Johannes Fürst (Bild: Katleen Van Hoof)

„Sicherlich erleichtert die Möglichkeit zu narrativen Abschnitten im Lebenslauf sowie die Erweiterung der zugelassenen Publikationsformen eine schnellere Beurteilung des Werdeganges der Bewerberinnen und Bewerber. Falls solche Angaben bislang entscheidend waren, wurden diese oft prominent im Antrag selbst herausgestellt. Deshalb sehe ich in diesem Schritt der DFG nur sehr begrenzte Vorteile, eventuell für die Hervorhebung von sensiblen oder ergänzenden Lebenslaufdaten.Meines Erachtens wird dieser Schritt nur geringe Auswirkungen haben auf eine inhaltlich überzeugende Antragstellung. Der Lebenslauf war und bleibt eine ergänzende Information.“

Matthias Braun, Leiter der Nachwuchsforschergruppe „Ethik und Governance“

Mann mit kurzen brauen Haaren, Brille und Anzug.
Dr. Matthias Braun vom FAU-Lehrstuhl für Systematische Theologie II (Ethik). (Bild: Braun)

„Die Initiative zur Verbesserung der Chancengerechtigkeit in der wissenschaftlichen Bewertung ist an sich sehr zu begrüßen. Sie greift ein gerade für Nachwuchswissenschaftler*innen sehr zentrales Thema auf: Welche Leistungen in der Wissenschaft zählen und können in die Begutachtung eingebracht werden? Hier auch stärker Arbeiten sichtbar und bewertbar zu machen, die essentiell für den Wissenschaftsbetrieb sind, aber oft wenig Anerkennung erfahren, scheint mir ein guter Ansatzpunkt.Es ist schwer abzuschätzen, welchen Effekt diese „Maßnahme“ haben wird. Es handelt sich in erster Linie ja zunächst um eine Änderung der CV-Vorlage. Ich finde es gut, dass es da nun individuellere Darstellungsmöglichkeiten gibt. Ob diese „besser“ und „gerechter“ funktionieren, als Metriken wie der h-Faktor wird sich zeigen müssen. Ich bin offen gesagt skeptisch und sehe quantitative und qualitative Marker nicht als einen Gegensatz an. Auch bei einer stärker inhaltlichen Bewertung  benötigt man als Gutachtende*r ja Kriterien nach denen bewertet wird. Diese könnte man vielleicht noch stärker benennen.

Ein weiterer Schritt zu mehr Chancengerechtigkeit würde in meinen Augen bedeuten, dass neben den nun erfolgten Änderungen in den Darstellungsmöglichkeiten der Bewerber*innen auch der Prozess der Begutachtung selbst sowie die Kommunikation und Transparenz bei der Übermittlung der Ergebnisse der Begutachtung evaluiert und angepasst wird.“

Imke Leicht, Leiterin des Büros für Gender und Diversity

Dr. Imke Leicht, Leiterin des Büros für Gender und Diversity der FAU
Dr. Imke Leicht, Leiterin des Büros für Gender und Diversity der FAU. (Bild: FAU/Harald Sippel)

„Die Einführung des Lebenslauf-Templates mit freiwilligen begutachtungsrelevanten Angaben zum Werdegang ermöglicht eine stärker auf die individuellen Lebensumstände und persönlichen Rahmenbedingungen bezogene Bewertung. Hier können unterschiedliche Diversitätsdimensionen zum Tragen kommen, deren Berücksichtigung mit Blick auf Ausfallzeiten, Verzögerungen oder Besonderheiten im Werdegang, aber auch besondere Erfahrungen und Kompetenzen wichtig ist, wie zum Beispiel familiäre Betreuungszeiten, Beeinträchtigung oder chronische Erkrankungen, soziale Herkunft („Wissenschaftler*innen der ersten Generation“), Flucht- oder Asylerfahrungen etc. Die Angabe solcher diversitätsrelevanten Aspekte im Lebenslauf können, sofern gewünscht, entsprechend positiv berücksichtigt oder auch von der tatsächlichen wissenschaftlichen Leistung darauf angerechnet werden. Aber es gibt trotzdem noch die Möglichkeit, Ausfallzeiten oder ähnliches ohne Gründe anzugeben.

Mit dieser Initiative schafft die DFG Raum für die Diversität in der Wissenschaft und die unterschiedlichen Ausgangsbedingungen von Wissenschaftler*innen, die sich in der Vielfalt von Erfahrungshintergründen und Lebensverläufen der Forschenden niederschlägt. Wichtig ist hierbei, dass bestimmte Lebensumstände eben nicht zum Nachteil, sondern im Sinne der Chancengerechtigkeit zugunsten der Antragstellenden ausgelegt werden.

Damit dies entsprechend umgesetzt werden kann, sollten zum Beispiel die Gutachter*innen, Fachkollegiat*innen und Gremienmitglieder dringend für die unterschiedlichen Lebenslagen und Diversitätsdimensionen sensibilisiert und dafür geschult werden, wie diese angemessen berücksichtigt werden können; andernfalls sehe ich die Gefahr, dass sich aufgrund (unbewusster) Biases doch wieder diskriminierende Bewertungsmuster einschleichen. Die Umsetzung dieser DFG-Initiative ist also weiter zu beobachten.“