Wasserstoff im Tender

Wassertropfen in der Teilung.
Bild: Shutterstock/

Forschende der FAU und des HI ERN entwickeln eine Technologie weiter, um Wasserstoffantriebe auf Straße und Schiene zu bringen.

Anfang Juli 2022 ist auf dem Siemens-Campus im Süden Erlangens eine Wasserstofftankstelle in Betrieb gegangen. Inzwischen kann deutschlandweit an knapp 100 Stationen Wasserstoff getankt werden, dennoch ist die Erlanger Tankstelle eine Weltpremiere: Dort wird der Wasserstoff nicht wie bisher üblich in Druckbehältern gelagert, sondern ist in einer dieselähnlichen Trägerflüssigkeit gebunden und erst vor Ort für das Befüllen der Fahrzeuge freigesetzt. Die zugrundeliegende LOHC-Technologie – das Kürzel steht für Liquid Organic Hydrogen Carrier – wurde in Erlangen entwickelt. Die Hydrogenious LOHC Technologies GmbH, eine FAU-Ausgründung, liefert den mit eigenem Elektrolyseur und Photovoltaik-Strom erzeugten grünen Wasserstoff in die Henri-Dunant-Straße. „LOHC kann die flächendeckende Versorgung mit Wasserstoff sichern, ohne dass eine aufwendige neue Infrastruktur benötigt wird“, sagt Dr. Patrick Preuster, Abteilungsleiter am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI ERN). Weil Wasserstoff hoch explosiv ist, wird er für die Speicherung und den Transport bislang entweder extrem gekühlt oder stark komprimiert. Beim LOHC ist das anders: Hier wird H2 an Benzyltoluol, ein Wärmeträgeröl, gebunden und bei Bedarf wieder abgegeben. LOHC ist nicht brennbar – es kann genauso transportiert werden wie herkömmliche Kraftstoffe auch: mit Tanklastern, -zügen und -schiffen oder via Pipelines. In der neuen Wasserstofftankstelle etwa wird es wie Diesel in unterirdischen Tanks gelagert.

Tender erlebt Renaissance: Lok zieht LOHC-Container

Für die Herstellung von LOHC ist eine komplexe Anlage notwendig. Am HI ERN suchen Forschende intensiv nach Möglichkeiten, die Technologie
noch leichter einsetzbar zu machen. (Bild: L. Reinhardt/HI ERN)

Preuster ist Teil eines Teams, das intensiv daran forscht, den Wasserstoffantrieb nicht nur auf die Straße, sondern auch auf die Schiene zu bringen. Am HI ERN ist ein Demonstrator in Entwicklung, bei dem der Zug – genauer gesagt ein an die Lok gekoppelter Tender – direkt mit LOHC beladen wird. Der Wasserstoff wird erst im Fahrbetrieb freigesetzt und in Brennstoffzellen verstromt. „Genau diese H2-Freisetzung steht im Fokus unserer Forschung, denn aktuell sind dabei noch Temperaturen zwischen 250 und 300 Grad erforderlich“, erzählt Preuster. „Dafür muss ein Teil des Wasserstoffs verbrannt werden, was natürlich ungünstig für die Energiebilanz ist.“ Mit verschiedenen Lösungsansätzen arbeiten die Forschenden daran, dies zu ändern. Die Konzepte reichen von neu geformten Katalysatorkörpern über Bimetall-Katalysatoren auf der Basis von Platin und Aluminium bis hin zur sogenannten Transferhydrierung, bei der das H2 zunächst auf ein Akzeptormolekül, zum Beispiel Aceton, übertragen wird und anschließend sehr viel energieschonender dehydriert werden kann. Auch eine Modifikation des LOHC als Trägersubstanz, die den Wasserstoff leichter freigibt, wird untersucht.

Nächstes Ziel: LOHC direkt in der Brennstoffzelle verstromen

Ein besonders ehrgeiziges Ziel verfolgen die Erlanger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam mit dem Automobilzulieferer SCHAEFFLER: die Direktverstromung von LOHC. „Das wäre der Königsweg – eine ungefährliche Substanz, beladen mit grünem Wasserstoff, wird direkt in der Brennstoffzelle in elektrische Energie umgewandelt“, erklärt Patrick Preuster. Bisherige Experimente zeigen allerdings, dass auch hier der Umweg über eine Transferhydrierung genommen werden muss, bei der Wasserstoff zunächst auf Aceton übertragen und dabei Isopropanol gebildet wird, das sich mit guter Effizienz verstromen lässt. Aceton und Isopropanol fungieren dabei als Betriebsmittel, die nicht verbraucht, sondern in der Direkt-Brennstoffzelle im Kreis geführt werden – ähnlich dem Motoröl in einem Verbrennungsmotor.
Die aktuelle Krise bei der Versorgung mit Erdgas und -öl könnte dazu führen, dass Wasserstoff-Technologien auch ökonomisch attraktiver werden, weil sich Grenzkosten in erheblichem Maße verschieben. Zugleich, so Preuster, müssten aber auch die Gesetze vereinfacht werden, um die H2-Wirtschaft voranzubringen. So wird das LOHC an der Erlanger Wasserstofftankstelle rechtlich nicht als Kraftstoff, sondern als Chemikalie behandelt – mit allen bürokratischen und technischen Hürden, die eine solche Klassifizierung mit sich bringt.

von Mathias Münch


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Alexander 119

In der aktuellen Ausgabe finden Sie Beiträge zu folgenden Themen: Wie Wissenschaft und Diplomatie zusammenspielen können, welche Wege mit der Wasserstofftechnologie LOHC gegangen werden sollen, einen Einblick in die abenteuerliche Donaufahrt der FAU-Römerboote, ein Interview mit dem Paralympicsathleten und Jura-Studenten Josia Topf sowie ein Porträt mit dem neuen Humboldt-Professoren Vincent C. Müller.

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