Dr. Jeremy Thompson

Dr. Jeremy Thompson, Humboldt-Stipendiat an der FAU. (Bild: Wen-Jun Huang)
Dr. Jeremy Thompson, Humboldt-Stipendiat an der FAU. (Bild: Wen-Jun Huang)

Alexander von Humboldt Postdoctoral Fellow am Institut für Alte Sprachen, Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit

Dr. Jeremy Thompson schloss 2004 am College of the Holy Cross, Worcester, Massachusetts, USA, einen Bachelor mit summa cum laude in Altphilologie sowie 2008 einen Master im selben Fach an der State University of News Jersey, USA, ab. Im Dezember 2014 promovierte er an der University of Chicago zum Thema „The Role of Lupus of Ferrières in the Ninth-Century Predestination Controversy“. Seit Abschluss seiner Promotion hat Dr. Thompson unter anderem auch im Ausland unterrichtet, nämlich an der Fu-Jen Catholic University in Taiwan, und zwar von 2015 bis 2017. Neben seinen Lehr- und Forschungsaktivitäten war er 2013 beispielsweise Ko-Organisator des internationalen Kolloquiums „La controverse carolingienne sur la prédestination. Histoire, textes, manuscrits“ an der Sorbonne in Paris, Frankreich.

Seit April 2018 forscht Dr. Thompson als Alexander von Humboldt Postdoctoral Fellow am Institut für Alte Sprachen, Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit der FAU. Sein Forschungsgebiet umfasst die intellektuelle und kulturelle Geschichte des lateinischen Mittelalters von 800 bis 1200. Jedoch ist dies nicht der erste Aufenthalt von Dr. Thompson in Deutschland. Im Rahmen mehrerer Forschungsstipendien verbrachte er einige Zeit an der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel.

Es ist ein großes Privileg an der FAU zu arbeiten.

Dr. Thompson, was genau hat Ihr Interesse an Ihrem Forschungsgebiet geweckt?

Die Entwicklung meiner aktuellen Forschung geht auf meine Tage als Student zurück. Während meines letzten Jahres an der Universität, während ich einen Kurs zu mittelalterlicher Kunstgeschichte besuchte, habe ich ein verblüffendes Bild in einem Manuskript aus dem elften Jahrhundert entdeckt. Das Bild stelle die Kreuzigung Jesu zusammen mit aufwendigen Musikdiagrammen sowie mathematischen Terminologien dar. Der Zusammenhang zwischen dem religiösen Thema und den wissenschaftlichen Darstellungen war nicht klar. Wie das Leben so ist, habe ich zunächst andere Dinge gemacht – ich absolvierte einen Master in Altphilologie, schrieb eine Dissertation zu einem anderen Thema – aber alles scheint miteinander verbunden zu sein, wenn man lange genug wartet, und in meiner Bewerbung bei der Alexander von Humboldt-Stiftung schlug ich vor zu diesen ungeklärten Fragen von vor 15 Jahren zurückzukehren.

Wenn Sie Ihre Heimatuniversität mit der FAU vergleichen: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede?

Es ist ein großes Privileg an der FAU zu arbeiten. In meinem Heimatland wird mittelalterliches Latein selten als eigenständiges Forschungsgebiet anerkannt, während hier an der FAU ein ganzes Department sich diesem Gebiet verpflichtet hat. Mit den Büchereien des Departments – erneut ein auffallender Unterschied zu Universitäten in meinem Heimatland – habe ich unmittelbaren Zugriff auf eine enorme Anzahl von grundlegenden Büchern. Vorlesungen von verschiedenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zeigen mir interessante Themen auf, die mir bislang nicht bekannt waren. Ich freue mich besonders auf eine Konferenz zu Bibliotheken im Mittelalter und der frühen Neuzeit, die vom 5. bis 7. Dezember stattfinden wird. In meinem Heimatland diskutieren Forscherinnen und Forscher sowie Mediävisten materielle Kulturen, aber diese Art von Thema zeigt eindeutig die Vorteile eines Stipendiums in Deutschland. Es ist aufregend mit einer neuen Gemeinschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, deren Methoden und theoretische Grundhaltung so frisch und anders sind.

Könnten Sie kurz zusammenfassen, an was Ihre Forschungsgruppe momentan arbeitet? Was ist Ihre Hauptaufgabe innerhalb der Gruppe?

Ich untersuche die Schnittpunkte zwischen mathematischem und musikalischem Wissen und theologischer Bedeutung sowie religiösem Symbolismus zwischen 850 und 1200. Warum, zum Beispiel, sollte Christus das „erste Quadrat“ genannt werden, wie ein Denker im zwölften Jahrhundert behauptete? Oder ist er vielmehr ein Würfel, wie uns ein anderer Text glauben machen möchte? Das Projekt besteht aus vielen eigenständigen Teilen und mehreren allgemeine Zielsetzungen. Ich arbeitete normalerweise mit mittelalterlichen Manuskripten und häufig auch mit anonymen, schwer zu lesenden, niemals veröffentlichten Kommentaren die an den Rändern oder zwischen den Zeilen auftauchen. Ich habe beispielsweise untersucht, wie Individuen des frühen Mittelalters Informationen mit Nummern unter Zuhilfenahme des griechischen Alphabets verschlüsselten. Laut einem mittelalterlichem Kommentator, der an den Rändern eines wissenschaftlichen Standartwerks schrieb, erlernten Griechen Zahlen einfacher als Menschen, die mit der lateinischen Sprache und römischen Zahlen arbeiteten. Warum sollte das so sein?

Meine nächste Aufgabe wird eine Geschichte über die Rolle der Zahl im mittelalterlichen numerischen Symbolismus sein. Die übliche Art und Weise, mit der ein mittelalterlicher Denker die Bedeutung einer Zahl erklärt hat, war diese auf ihre Zusätze oder Faktoren herunter zu brechen. Die Zahl 40 zum Beispiel könnte wegen ihrer Faktoren bedeutend sein – 10 und 4. Sie spiegeln die Anzahl an Geboten und die Anzahl an Evangelisten wieder. Aber immer mal wieder findet man eine Nummer, die in ihre einzelnen Zahlen unterteilt ist. 1218 könnte dann als eine Reihenfolge der Zahlen 1, 2, 1 und 8 verstanden werden. Ich möchte den Grund hierfür untersuchen und weitere Probleme der numerischen Alphabetisierung im Mittelalter eröffnen.

Was sind bislang die wichtigsten Ergebnisse Ihrer Forschung an der FAU?

Momentan beende ich eine Studie zweier Manuskripte aus dem neunten Jahrhundert, die den ältesten kontinuierlichen Kommentar zu einer mathematischen Standartabhandlung des Mittelalters, nämlich zu On Arithmetic des späten römischen Schreibers Boethius, enthalten. Eines der Manuskripte wurde komplett übersehen oder falsch bestimmt. Zusammen geben sie einen Eindruck davon, wie die mathematische Bildung in den Jahrhunderten nach 850 in Frankreich und Deutschland ausgesehen haben könnte. Wir sehen dort neben mathematischen Proportionen Reflektionen über die Kategorien von Aristoteles, über die Vision Gottes, über das Bild Gottes in der menschlichen Seele und über musikalische Harmonien.

Es ist aufregend mit einer neuen Gemeinschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten, deren Methoden und theoretische Grundhaltung so frisch und anders sind.

Wie beeinflusst Ihre Forschung die Gesellschaft? Welchen Vorteil hat die Gesellschaft von Ihrer Forschung?

Ein Gebiet des Projekts, welches ich gerade herausarbeite, hat zum Ziel die Struktur mittelalterlicher Disziplinen und Interdisziplinarität beim Studium der Arithmetik, der Geometrie, der Musik und der Astronomie zu beschreiben, also den vier fortgeschrittenen Wissenschaften, die aus dem sogenannten Quadrivium oder dem „vierfachen Pfad“ des Wissens bestehen. Mich interessiert vor allem, wer Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen hat, wo diese Erkenntnisse herkamen – Offenbarungen? Forschung? – wie sie benutzt wurden und wie die verschiedenen Zweige des Lernens miteinander verbunden waren. Hatte in der Tat jemand anderes außer Gott Zugang zu Wissen? Der wahre Kern des Projekts liegt in der Nutzung solchen Wissens, um Theorien über den Kosmos und den Platz der Menschheit im Kosmos zu untermauern. Diese Erkenntnisse sind zeitlos relevant. Wie bei vielen historischen Disziplinen fordert uns diese Forschung dazu auf, eine gegebene Wissenskonstruktion – wie sie hier und jetzt erscheint – nicht als eine definitive zu sehen. Außerdem fordert sie uns dazu auf, die vielfältigen unerwarteten Implikationen und Konsequenzen von Wissen für eine Kultur nicht zu limitieren. Menschen haben bemerkenswerte Verbindungen zwischen grundverschiedenen Erkenntnisgebieten geformt und diese Verbindungen möchte ich hervorheben. Ich möchte zeigen, wie solche Verbindungen eine echte kulturelle Kraft begründen und führen können. Schließlich lehrt uns diese Forschung bescheiden zu sein, weil wir den Vorteil unserer Position als Erben der allmählichen Anhäufung von Wissen über Tausende von Jahren besser verstehen können.

Was waren Ihre ersten und nachfolgenden Eindrücke von der Region um Erlangen und Nürnberg?

Dies ist mein erster längerer Aufenthalt in Bayern beziehungsweise in Franken. Eine Verkäuferin am täglichen Markt sagte mir, ich solle nicht enttäuscht sein, wenn ich nicht alles verstehe was die Leute sagen: Der lokale Dialekt sei sehr schwer, sagte sie. Ich musste sie bitten, das Gesagte zu wiederholen.

Gibt es schon ein bestimmtes Highlight, eine Erfahrung oder einen besonderen Moment während Ihres Aufenthalts, an den Sie sich erinnern werden?

Um ehrlich zu sein hat meine denkwürdigste Erfahrung nichts mit meiner Forschung zu tun. Mein erstes Kind, eine Tochter, wurde hier vor etwa einem Monat geboren. Daran werde ich mich immer erinnern und ich werde diese Erinnerung immer schätzen. Es ist schön, dass die Geburt in einem Land stattfinden konnte, dessen Politik werdende Eltern aktiv unterstützt. Seit ich Zahlen studiere, bin ich außerdem daran interessiert, von meiner Tochter etwas über den Erwerb von Zahlenkompetenz zu lernen. Es gibt viele interessante Studien, die ich an ihr ausprobieren möchte!

Was sind Ihre Lieblingsorte an der FAU und in Erlangen oder Nürnberg?

Ich war von Erlangen als Universitätsstadt sofort beeindruckt. Es gibt viele Läden in den Seitenstraßen zu entdecken. Man muss nur herumlaufen, um sie zu entdecken. Ich mag es an der Schwabach entlang und durch den Botanischen und den Aromagarten zu laufen. Für einen guten Kaffee auf italienische Art gehe ich zu Stefanias Café in der Schiffstr. 12. Es gibt einige historisch interessante Städte hier in der Region, die sich für unkomplizierte und schöne Tagestouren anbieten.

Vielen Dank für das Interview, Dr. Thompson.