Magisch und verborgen

Historikerin Dr. Petra Schmidl präsentiert das Replikat eines Astrolabiums, gefertigt nach Vorbildern aus dem 16. Jahrhundert. Eines dieser Originale befindet sich heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

Längst vergessene Texte, Instrumente und Praktiken sind für Petra Schmidl ein wahrer Schatz. Dabei liegen okkultes Wissen und moderne Wissenschaften oft näher zusammen als gedacht.

Petra Schmidl öffnet eine dunkelrote Schachtel und holt eine runde, messingfarbene Platte heraus, die an einen Kompass erinnert. Drehbare Scheiben, feine Skalen und Gitternetzlinien zieren das schwere Stück. „Mit einem Astrolabium hat man früher die Position von Himmelskörpern und die Zeit bestimmt“, erklärt Schmidl und legt es mit einem dumpfen, metallischen Ton vor sich auf den Tisch. Historische Instrumente wie dieses erlauben es der Wissenschaftshistorikerin, in vergangene Zeiten einzutauchen, und geben Aufschluss darüber, wie sich unser heutiges Wissen entwickelt hat. In ihrem Projekt „MOSAIC“, kurz für „Mapping Occult Sciences Across Islamicate Cultures”, untersucht Schmidl deshalb gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Belgien, Italien und den USA historische Quellen zu den Geheimwissenschaften in vom Islam geprägten Kulturen, darunter Alchemie, Astrologie, Magie und Prognostik. Dafür hat das Team vom Europäischen Forschungsrat einen mit knapp zehn Millionen Euro dotierten ERC Synergy Grant erhalten, wovon fast 2,3 Millionen an die FAU gehen. Schmidls Fokus: Vorhersagepraktiken. Sie untersucht dafür nicht nur Instrumente, sondern auch historische Texte vom achten bis zum 15. Jahrhundert, die diese Praktiken beschreiben. „Meist sind sie in arabischer Schrift verfasst und erinnern in ihrer Struktur an Gebrauchsanweisungen“, erklärt sie.

Zurück an der FAU

Seit 2012 ist Schmidl immer wieder an der FAU beschäftigt, meist projektgebunden für kurze Zeiträume. Die neue Förderung hätte ihr erlaubt, auch an andere Universitäten zu gehen. Doch sie entschied sich erneut für Erlangen. „Ich habe hier tolle Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, die mich immer wieder unterstützt haben“, erzählt sie. Die Leidenschaft für ihr Forschungsfeld entdeckte Schmidl während des Studiums der mittleren und neueren Geschichte in Frankfurt am Main. „In Seminaren haben wir noch komplett unbearbeitete Schriften untersucht. Diese Schätze zu finden und zu entschlüsseln, hat mich fasziniert“, sagt sie.

Verblüffende Funde

Aktuell sucht Schmidl in Bibliotheken und Museen nach islamischen und ostchristlichen Quellen, die sich mit okkultem Wissen beschäftigen. „In zahlreichen Ländern gibt es wunderbare Bibliotheken, doch aus politischen Gründen können wir viele nicht besuchen. Das ist schade, aber meist finden wir durch unsere Kontakte eine Alternative.“ Gestartet hat sie deshalb mit den Handschriftenbeständen in Berlin, auf die sie teilweise digital zugreifen kann. Diese übersetzt, kommentiert und untersucht sie mit Fragen wie: Wie haben prognostische Praktiken funktioniert? Wer hat sie angewendet und warum? Wie relevant waren sie damals? Und: Inwiefern haben sie die moderne Wissenschaft beeinflusst? Dabei gelingen dem Team auch staunenswerte Ergebnisse. „Neulich haben meine Kollegen mithilfe eines alten alchemistischen Rezepts ein Fünf-Cent-Stück versilbert“, erzählt Schmidl. Auch sie selbst ist schon auf außergewöhnliche Funde gestoßen: In zwei Museen entdeckte Schmidl zwei beinahe identische Astrolabien, eines europäischen, eines arabischen Ursprungs. „Das arabische Stück war allerdings deutlich älter – es muss als Vorlage gedient haben, trotz der räumlichen und zeitlichen Distanz“, erzählt Schmidl begeistert.

Papiermodell eines Astrolabiums, das für die Ortsbreite von Erlangen berechnet ist. Es wurde anlässlich des Humanities Festivals „Blicke in die Zukunft“ 2021 hergestellt. (Bild: FAU/Giulia Iannicelli)

Mit ihrer Grundlagenforschung möchte Schmidl das Verständnis der modernen Wissenschaft um Aspekte der Geheimwissenschaften und deren Einfluss erweitern. „Diese Praktiken und Teildisziplinen wurden damals als Wissenschaft wahrgenommen. Und sie haben unseren heutigen Wissenschaftskatalog stark beeinflusst. Wie genau, das möchte ich herausfinden, indem ich bisher wenig beachtete Quellengenauer untersuche“, sagt sie. „Ich hoffe, so die Fronten zwischen okkulten und modernen Wissenschaften etwas auflösen zu können.“ Ein weiteres Ziel: das Ungleichgewicht zwischen europäischen und islamisch geprägten Quellen auszubalancieren, denn Letztere sind bisher kaum untersucht. Die Forscherin will deshalb dazu beitragen, diese stärker einzubeziehen. Petra Schmidl wünscht sich vor allem eines: mehr Offenheit und mehr kritische Auseinandersetzung mit Quellen. „Ich hoffe, dass meine Forschung ein Bewusstsein dafür schafft, woher unser Wissen kommt. Und dass wir lernen, dieses Wissen zu hinterfragen und einzuordnen. Das ist gerade heute sehr wichtig.“

Laura Grazia Indelicato


Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins

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Ein Highlight ist sicherlich der neue Forschungscluster „Transforming Human Rights“. Oder folgen Sie unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Labore und Werkstätten, wo sie Kartoffeln klimaresistent machen, Robotern soziales Verhalten beibringen oder antike Schiffe und Geschütze nachbauen. Studierende entwickeln an der FAU senkrecht startende Flugzeuge oder überzeugen mit überragenden Leistungen bei den Paralympics. Und nicht zu vergessen die Menschen, die an unserer Uni arbeiten oder als Ehemalige der FAU stark verbunden sind. Besuchen Sie mit ihnen die KinderUni oder schauen Sie sich mit einer FAU-Alumna und Grimme-Preis-Trägerin eine Fernsehserie an.

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