Christoph Safferling hat die NS-Geschichte des Bundesjustizministeriums erforscht. Jetzt widmet er sich einem Projekt vor der Haustür: der Umgestaltung der „Hupfla“ zum Gedenkort.
Als Kind, auf dem Weg zur Schule, lief Christoph Safferling jeden Tag an dem Gebäude hinter der hohen Mauer am Maximiliansplatz vorbei. „Was passiert dahinter?“, fragte er sich damals. Das alte Haus mit dem komischen Treppenaufgang und dem vielen Efeu strahlte für ihn etwas Unheimliches aus. Heute, mehrere Jahrzehnte später, lehrt Safferling am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht, nur wenige hundert Meter von demselben Gebäude entfernt. Die ehemalige Heil und Pflegeanstalt Erlangen, im Volksmund „Hupfla“ genannt, beschäftigt ihn immer noch. Dieses Mal aber als Leiter der Steuerungsgruppe, die aus dem Ort nationalsozialistischer „Euthanasie“-Verbrechen bis Anfang 2030 einen Gedenk und Lernort schaffen will.
„Abriss hin oder her, die Chance, etwas Bedeutendes zu gestalten, war da und musste ergriffen werden.“
Prof. Dr. Christoph Safferling
Kindheitsfrage wird Lebensaufgabe
Der Strafrechtsprofessor beschäftigt sich schon lange mit Erinnerungskultur. Erste Berührungspunkte hatte er 2005 mit einem Gutachten zu den Nürnberger Prozessen. 2012 beauftragte ihn das Bundesjustizministerium, die NS Vergangenheit der Behörde zu erforschen. Daraus entstand die „Akte Rosenburg“, eine Studie über die Weiterbeschäftigung ehemaliger Nazi-Juristen im Nachkriegsministerium. „Für mich war es die Reaktion auf die Tatsache, dass ich Deutscher bin und Deutsche die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen haben“, erklärt Safferling seine Motivation. „Das ist mein persönlicher Versuch, damit umzugehen.“ Die Diskussion um die „Hupfla“ in der Erlanger Stadtgesellschaft kam kurz vor dem Abriss des Seitenflügels auf. Aber erst danach entschied er sich, aktiv zu werden. „Der Wille aller Beteiligten ist da, dort etwas zu gestalten. Abriss hin oder her, die Chance, etwas Bedeutendes zu gestalten, war da und musste ergriffen werden.“
Gedenken, Lernen, Leben

Im Januar 2025 stellte die Steuerungsgruppe die Machbarkeitsstudie mit dem Titel „Gedenken, Lernen, Leben“ vor. Gedenken bedeutet für Safferling „das stille Erinnern oder das Trauern angesichts der Monstrosität der Verbrechen“. Diesem Erinnern müsse sowohl im Innen als auch im Außenbereich des Areals der nötige Raum gegeben werden. Beim Lernen schwebt ihm etwas Modernes vor: „Ich kann mir ein elektronisches Archiv vorstellen, damit sich Besucher in die Biografien einlesen können.“ Das soll nicht frontal passieren, sondern die Besucherinnen und Besucher sollen durch Fortbildungen und Gesprächsrunden gemeinsam reflektieren können.
„Es ist wichtig, dass das Haus offen und lebendig wird und die Besucherinnen und Besucher die Verantwortung spüren, die letztlich jeder Einzelne in seinem Leben trägt, nämlich Respekt vor der Würde des menschlichen Lebens, in all seiner wunderbaren Vielfalt“, sagt er.
Zwischen Verhandlungsgeschick und Vertrauen
Die Arbeit in der Steuerungsgruppe erfordert diplomatisches Geschick. Viele Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichen Interessen müssen an einen Tisch. „Wichtig ist, dass man alle mitnimmt und einen möglichst offenen und transparenten Prozess hat“, betont Safferling. Dass das Thema emotional belaste, sei nicht von der Hand zu weisen. „Je mehr man über die Einzelschicksale weiß, desto intensiver wird das“, sagt er. Seine Strategie: darüber reden. Das historische Gebäude liegt heute inmitten moderner Bauten, in denen Wissenschaftler medizinische Spitzenforschung betreiben. Für Safferling ist es „wie ein Nadelstich“: „Es erinnert daran, dass auch Gefahren mit diesem Forschungsfeld verbunden sind.“ Dank der Finanzierung des Freistaats Bayern in Höhe von 600.000 Euro können die Beteiligten das Projekt nun konkret umsetzen. Noch im Herbst 2025 wird die Steuerungsgruppe ein Gründungsbüro einrichten, um zielstrebig an der Vision eines Ortes zu arbeiten, der Betroffenheit auslöst, aber vor allem die Verantwortung jedes Einzelnen verdeutlicht. So können wir dafür sorgen, dass nie wieder vergessen wird, was hinter der Mauer geschah.

Gedenkparcours: Stationen des Erinnerns
Nicht nur die historischen Gebäude der ehemaligen Heil und Pflegeanstalt sollen zum Gedenk und Lernort werden. Zentraler Bestandteil der Erinnerungsstätte ist auch der parkähnliche Außenbereich, der zu einem Gedenkparcours umgestaltet wird. Damit sollen die mit der „Hupfla“ verbundenen Verbrechen en passant beim fußläufigen Durchqueren des Campusgeländes bewusst gemacht und nicht allein durch das aktive Aufsuchen der Ausstellung vermittelt werden. Zu den geplanten Elementen des Parcours gehören ein Inklusionscafé und verschiedene Pavillons, die zum Diskutieren, Hören und Verweilen einladen. Sie greifen zugleich die Geschichte des Geländes auf, das seinerzeit mit vielen überdachten, offenen Pavillons ausgestattet war. Auf der gesamten Strecke sollen Stolpersteine an konkrete Schicksale von Menschen erinnern, die den NS -„Euthanasie“-Verbrechen zum Opfer gefallen sind. Auch die verbliebenen Elemente der Mauer, die das Gelände umschließt, werden als Zeugen der Vergangenheit in das Konzept einbezogen. Und schließlich soll der „Pfad der Behindertenrechte“ in den Gedenkparcours integriert werden: Er macht die UN-Konvention der Behindertenrechte zugänglich und setzt ein deutliches Zeichen, dass es sich nicht nur um einen Gedenkort, sondern auch um einen Gegenwartsort handelt.
Die gesamte Machbarkeitsstudie ist einsehbar unter:
Lea Maria Kiehlmeier

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