Kulturerbe-Preis für Forschung zur Geruchsgeschichte

Internationales Großprojekt mit FAU-Beteiligung erhält renommierten European Heritage Award
Wie roch die Vergangenheit? Mit dieser Frage haben sich Forschende der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in einem Forschungsprojekt „Odeuropa“ beschäftigt – gemeinsam mit Wissenschaftler/-innen aus fünf anderen europäischen Ländern. Nun erhält das Konsortium für sein ungewöhnliches Projekt den European Heritage Award / Europa Nostra Award der Europäischen Kommission – die renommierteste Auszeichnung Europas im Bereich des Kulturerbes.
Odeuropa ist das erste umfassende europäische Forschungsprojekt, das die Bedeutung von Gerüchen und olfaktorischen Praktiken für die Entstehung kultureller Identität, für kollektives Gedächtnis sowie für die Vermittlung materiellen und immateriellen Kulturerbes untersucht. Ziel des Projekts war es, Gerüche und Geruchserfahrungen als wesentlichen Bestandteil des kulturellen Erbes zu verankern – als Mittel, um Emotionen zu wecken, Geschichte lebendig werden zu lassen und multisensorische Verbindungen zur Vergangenheit zu schaffen.
Wie roch es in einem Café auf dem Montmartre im ausgehenden 19. Jahrhundert? Und wie auf dem Schlachtfeld von Waterloo? Welche Düfte gehörten im Holland des 17. Jahrhunderts zum Alltag? Aufschluss darüber geben Gemälde und Zeichnungen, aber auch Romane oder Berichte in Zeitungen und Zeitschriften.
Gerüche versteckt in Farben und Worten
Zeitgenossen haben dort Gerüche festgehalten. Für die Wissenschaftler/-innen galt es also, diese offenen und versteckten Hinweise zu finden – zum Beispiel in abgebildeten Objekten, die Gerüche verströmen – Tiere, Obst oder Blumen –, in Gesten oder Handlungen, die auf Gerüche oder Riechen hinweisen, wie zum Beispiel das Heranwedeln eines Wohlgeruchs. Nicht zuletzt geben bestimmte Szenerien Hinweise auf Gerüche. Ein Schiff auf hoher See lässt dem Betrachtenden unweigerlich den Geruch der See in die Nase steigen.
Das Team trainierte künstliche Intelligenz (KI), um geruchsbezogene Verweise in mehr als 43.000 historischen Bildern und 167.000 Büchern über einen Zeitraum von vier Jahrhunderten (1600–1920) und in sechs europäischen Sprachen zu erkennen und zu analysieren. Der bildbasierte Teil des Projekts wurde maßgeblich vom Team der FAU am Lehrstuhl für Mustererkennung, am Department Digital Humanities und am Lehrstuhl für Aroma- und Geruchsforschung bearbeitet.
Datenbank des riechenden Erbes Europas

Aus all diesen Daten entstand der „Odeuropa Smell Explorer“, mit dessen Hilfe sich die erste Datenbank zum geruchlichen Erbe Europas, bestehend aus 2,5 Millionen Einträgen, durchsuchen lässt. Dieser unterstützt heute Forschungen in Literatur, Ernährungsgeschichte, Gesundheitswesen sowie in der kulturellen Teilhabe.
Koordiniert vom Cluster Geisteswissenschaften der Königlich Niederländischen Akademie der Künste und Wissenschaften (KNAW) und getragen von 35 Forschenden aus sechs Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Niederlande, Slowenien und Vereinigtes Königreich) vereinte Odeuropa Fachwissen aus den Bereichen Geschichte, Denkmalpflege, Computer Vision, Semantic Web, Computerlinguistik, Museologie, Sensorikforschung und digitale Geisteswissenschaften. Das Projekt wurde zwischen 2021 und 2023 mit 2,8 Millionen Euro durch das Horizon 2020 Programm der Europäischen Union gefördert und entwickelte Standards, Ressourcen und praxisnahe Methoden für Museen und Forschende, um Gerüche im Kontext des Kulturerbes zu identifizieren, zu dokumentieren und zu vermitteln.
Zu den wichtigsten digitalen Ergebnissen zählen der Odeuropa Smell Explorer, die Encyclopedia of Smell History and Heritage sowie ein Olfactory Storytelling Toolkit für Museumsmitarbeitende, das gemeinsam mit Parfümeur/-innen und Expert/-innen der Denkmalpflege entwickelt wurde, um historische Düfte in Ausstellungen zu vermitteln. Best Practice-Modelle, Empfehlungen und mehrsprachige Materialien unterstützen die Umsetzung der Projektergebnisse in jeder Phase – von der Forschung bis zur Ausbildung und öffentlichen Programmgestaltung.
Die Wirkung von Odeuropa war weitreichend: Museen und Kulturerbestätten in ganz Europa und darüber hinaus griffen die entwickelten Konzepte auf. Im Jahr 2023 veranstalteten die Projektpartner die Smell Culture Fair in Amsterdam – ein internationales Treffen von Museen, Parfümeur/-innen, Künstler/-innen, Wissenschaftler/-innen und der Öffentlichkeit zur Erkundung multisensorischen Erzählens. Das auf Gerüchen basierende Geschichtenerzählen inspirierte neue Ausstellungen und Lernmaterialien sowie politische Leitlinien und wurde im EU-Pavillon auf der Expo 2025 in Osaka, Japan, vorgestellt. Darüber hinaus entfaltet sich die pädagogische Wirkung des Projektes in der Schulung von über 760 Studierenden und der Zusammenarbeit mit diversen Gemeinschaften – um „Nasenwissen“ und lokale Perspektiven zu sammeln.
KI und digitale Ressourcen, die im Rahmen des Projekts entwickelt wurden, stehen Forscher/-innen, Museen und politischen Entscheidungsträger/-innen weiterhin zur Verfügung und fördern neue Kooperationen und praktische Anwendungen.
Weitere Informationen
Dr. Vincent Christlein
Lehrstuhl für Mustererkennung
vincent.christlein@fau.de