Plädoyer für die Verteidigung der Menschenrechte: Neues Buch von Prof. Dr. Dr. hc. Heiner Bielefeldt
Wie lassen sich die internationalen Menschenrechte in einer Zeit verteidigen, in der ihre Relevanz immer offener auch prinzipiell in Frage gestellt wird? Im neuen Buch „Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein“ plädiert Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, Senior Professor für Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), gemeinsam mit Professor Dr. Daniel Bogner (Universität Fribourg) für mehr menschenrechtliches Selbstbewusstsein. Allen Herausforderungen zum Trotz.
Die Menschenrechte werden nicht nur tagtäglich verletzt, sondern immer offener auch prinzipiell in Frage gestellt. Erleben wir derzeit das Ende der Menschenrechtsära?
Die Krise der Menschenrechte ist sehr, sehr ernst. Und ja, in verschiedenen Kommentaren wird tatsächlich über das Ende der Menschenrechtsära spekuliert. Dem möchte ich jedoch vehement widersprechen. Es gibt nach wie vor gute Gründe für menschenrechtliches Selbstvertrauen.
Woher nehmen Sie diesen Optimismus? In Ihrem neuen Buch verteidigen Sie die Menschenrechte sogar als Lebenselixier der angefochtenen Demokratie.
Na ja, ich würde lieber von Zuversicht sprechen. Optimismus zu verbreiten, wäre leichtfertig. Optimistische Prognosen kann man derzeit nicht liefern, weil die Krise der Menschenrechte schon verdammt ernst ist. Von der Sinnhaftigkeit der Menschenrechte bin ich allerdings zutiefst überzeugt, und deshalb bleibe ich im Grunde meines Herzens zuversichtlich. Die Menschenrechte sind ein starkes Konzept, übrigens historisch und systematisch eng verwoben mit der Demokratie. Es lohnt sich, für die Zukunft der Menschenrechte – für Menschenwürde, Freiheit, Gleichberechtigung und Solidarität – politisch zu kämpfen. Dafür lassen sich glücklicherweise Menschen quer durch die Kulturregionen der Welt gewinnen.
Hat das Konzept der Menschenrechte überhaupt jemals wirklich funktioniert, da es letztlich keine echten Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen gibt?
Niemand würde sich zu der Behauptung aufschwingen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte gut funktioniere. In der derzeitigen Krise ist sogar schwierig deutlich zu machen, dass in diesem Bereich überhaupt jemals irgendetwas funktioniert hat. Doch dieser Eindruck täuscht. Die Anreize, die durch Menschenrechte gesetzt werden, wirken langfristig und oft eher indirekt – aber sie zeigen durchaus Wirkung. Im internationalen Recht sind letztlich alle Staaten dafür mitverantwortlich, dass elementare Regeln – und dazu zählen auch die Menschenrechte – respektiert werden. Es gibt in diesem Feld ja keine zentralen Durchsetzungsmechanismen, wie wir sie auf einzelstaatlicher Ebene kennen. Deshalb braucht es Staaten, die vorangehen und andere mitnehmen, damit eine Art „peer pressure“ – also Gruppenerwartung – entsteht.
Die Idee ist, dass Staaten, die notorisch die Regeln missachten, sich auf diese Weise selbst isolieren oder sich zumindest schwerer tun, Vertragspartner im internationalen Bereich zu finden – egal ob für Handel, Gesundheitspolitik oder Wissenschaftsaustauch. Problematisch ist es natürlich, wenn die Zahl derer, die die elementaren Regeln des Miteinanders ignorieren oder offen aufkündigen, immer weiter steigt, wie wir dies derzeit beobachten. Von Trump, Putin und anderen werden ja ganze Regelwerke als angeblich belanglos beiseitegeschoben: die Unverletzlichkeit staatlicher Grenzen, die humanitären Mindestregeln für Konfliktsituationen und eben auch die Menschenrechte. Umso wichtiger ist es, politisch dagegen zu halten – in der Kooperation zwischen Staaten und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Jenseits von Zuversicht und Sinnhaftigkeit: Inwiefern sind aus Ihrer Sicht die in der UN-Charta formulierten Menschenrechte noch zeitgemäß?
Der Blick auf die Menschenrechtserklärung von 1948 ist nach wie vor beeindruckend. Aber aus heutiger Perspektive fallen natürlich auch manche Defizite auf. Das Thema Behinderung kommt mit keinem Wort vor. An Rechte für Schwule und Lesben oder Transpersonen hat damals niemand gedacht. Auch indigene Völker, die über die Jahrhunderte hinweg von mörderischer Gewalt betroffen waren bzw. sind, bleiben außen vor. Aber die Menschenrechte sind ja nicht festgefroren. In all den gerade genannten kritischen Punkten hat sich in den letzten Jahrzehnten enorm viel getan und es wird auch weiterhin Veränderungen geben – stets in Antwort auf öffentlich vorgebrachte Unrechtserfahrungen.
Immer wieder gibt es den Vorwurf, dass westliche Menschenrechtsnarrative oft eurozentrische Interessen verfolgen und bestehende Ungleichheiten verstärken, anstatt sie zu überwinden. Ist die Kritik, Menschenrechte als weißes, koloniales Herrschaftsinstrument zu sehen, gerechtfertigt?
Nun ja, man kann diese Kritik nicht einfach vom Tisch wischen. Es fällt ja zum Beispiel auf, dass bei der Ausformulierung der Menschenrechte bestimmte europäische Sprachen im Vordergrund stehen – bis heute vor allem das Englische. Sprache ist kein triviales Thema. Insofern wird man immer einräumen müssen, dass Menschenrechte stets bestimmte kulturelle Prägungen aufweisen und europäische Einflüsse lange Zeit dominant waren – was bis heute nachwirkt.
Zwei Dinge würde ich dennoch zu bedenken geben: Auch innerhalb Europas oder des Westens waren die Menschenrechte nie eine gleichsam selbstverständliche Frucht der herrschenden Kultur. Sie mussten und müssen gegen vielfältige Widerstände erkämpft werden. Hinzu kommt, dass die Menschenrechte im Gefolge der UN-Erklärung von 1948 weitreichende Veränderungen erfahren haben – teils auch auf Druck von Staaten aus dem Süden.
Ich nenne als Beispiel die UN-Antirassismuskonvention von 1965. Sie wurde vor allem von Vertreterinnen und Vertretern aus Jamaika, Ghana oder Liberia gegen die Interessen Großbritanniens und Frankreichs in der Antikolonialbewegung durchgesetzt. Ein jüngeres Beispiel bietet die UN-Erklärung über die Rechte indigener Völker von 2007. Im Text dieser Erklärung europäische Hegemonie-Ansprüche zu sehen, wäre ziemlich absurd.
Die Europäische Union beharrt einerseits gegenüber anderen Staaten immer wieder darauf, dass Menschenrechte weltweit eingehalten werden. Anderseits steht der europäische Umgang mit Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und im Kontext von Deals mit Libyen, Marokko und Co. Wie lassen sich solche doppelten Standards rechtfertigen?
Kurz und knapp: gar nicht. Mit Doppelstandards macht sich die Europäische Union leider unglaubwürdig. Das ist vor allem deshalb schlimm, weil Europa für die internationale Menschenrechtspolitik eine unverzichtbare Rolle spielt. Wichtig ist ein Europa, das über sich selbst hinausschaut und die Menschenrechte als universale Leitidee ernst nimmt. Kurz: Wir brauchen mehr Europa, aber keinen Eurozentrismus. Der Umgang mit Geflüchteten ist dafür die entscheidende Testfrage, und diesbezüglich gibt Europa kein gutes Bild ab.
Wovon hängen die Zukunftschancen der Menschenrechte ab?
Ob der internationale Menschenrechtsschutz eine Zukunft hat, hängt von unser aller Engagement ab. Wenn Menschen zu Hunderttausenden bei uns im ganzen Land auf die Straße gehen, um gegen menschenverachtende Deportationsfantasien zu protestieren, sich zu Mahnwachen zusammenfinden oder sich für Amnesty International an einen Stand stellen, dann zeigt dies immerhin: Wer sich für die Menschenrechte einsetzt, steht nicht allein da.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Dr. hc. Heiner Bielefeldt
FAU Senior Professor für Menschenrechte
FAU CHREN, Institut für Politische Wissenschaft
Tel. 09131 85-23273
heiner.bielefeldt@fau.de
Menschenrechte nach der Zeitenwende. Gründe für mehr Selbstbewusstsein; Autoren: Prof. Dr. Dr. hc. Heiner Bielefeldt & Prof. Dr. Daniel Bogner; Verlag: Herder, 2025
