Dr. Victoria Guglielmotti über Fußabdrücke von wandernden Zellen, ihre Wechselwirkungen und Gedächtniseffekte in der Zelldynamik
Wenn man wissen will, was Hänsel und Gretel mit dem Gedächtnis von Zellen zu tun haben, muss man Dr. Victoria Guglielmotti fragen. Die promovierte Chemikerin forscht als Postdoc bei Prof. Benoit Ladoux am Lehrstuhl für Biophysik des Instituts für Physik der Kondensierten Materie der FAU. Ende letzten Jahres hat die Forscherin eines der begehrten European Postdoctoral Fellowships erhalten, das exzellente Forscher/-innen in der EU und in Horizon Europe-assoziierten Staaten fördert. Wenn sie ihre Forschung Interessierten erklären muss, bedient sie sich gerne in der Märchenwelt:
„Im Märchen haben Hänsel und Gretel auf ihrem Weg durch den Wald Brotkrumen hinterlassen, die ihnen als Wegweiser dienen sollten, um den Weg zurückzufinden. In meiner Forschung möchte ich herausfinden, was die Brotkrumen der Zellen sind. Denn wenn Zellen wandern, hinterlassen sie Spuren, auf die andere Zellen oder sie selbst reagieren können. Mein Ziel ist es, herauszufinden, wie diese Spuren aussehen und wie sie die zellulären Reaktionen beeinflussen.“
Dr. Guglielmotti ist in Argentinien geboren und aufgewachsen, dort studierte sie an der Nationalen Universität Mar del Plata Materialwissenschaft und Werkstofftechnik, bevor sie am Institut für chemische Nanosysteme der Nationalen Universität San Martin promovierte. Ihr war damals bewusst, dass es Entwicklung von Analyseinstrumenten braucht, die ein tieferes Verständnis dafür ermöglichen, wie die zelluläre Umgebung das Verhalten von Zellen beeinflusst.
Promotion: Wie Zellen mit ihrer Umgebung kommunizieren
In ihrer Doktorarbeit untersuchte sie, wie Zellen auf verschiedene Reize reagieren. Zellen sind keineswegs einfache Bausteine des Lebens, sie sind hochsensible, interaktive Systeme, die ständig mit ihrer Umgebung kommunizieren. Ein wichtiger Teil dieser Umgebung ist die sogenannte extrazelluläre Matrix (ECM) – eine Art Gerüst aus Molekülen, das die Zellen umgibt, ihnen Halt gibt und viele Signale vermittelt, die ihr Verhalten beeinflussen.
Für ihre Doktorarbeit bildete sie Eigenschaften der extrazellulären Matrix künstlich nach und untersuchte die Reaktionen der Zellen in Echtzeit und wie diese auf unterschiedliche Anordnungen reagieren. Heraus kam, dass Zellen ihre Umgebung sehr genau wahrnehmen. Guglielmotti zeigte, wie man diese Umgebung künstlich gestalten kann, um das Verhalten der Zellen besser zu verstehen. Die Ergebnisse ihrer Forschung können direkt in die Entwicklung neuer biomedizinischer Technologien einfließen, etwa in Sensoren, die Krankheiten früher erkennen.
European Postdoctoral Fellowship

Die Arbeit von Prof. Ladoux verfolgte Victoria Guglielmotti bereits einige Zeit, bevor sie ihn nach ihrer Promotion kontaktierte, um nach einer Zusammenarbeit zu fragen, und danach ob er eine Stelle als Postdoc frei hätte. Nach einigen Gesprächen war klar, dass beide zusammen weiterforschen möchten. Es war ihre Idee, sich beim European Postdoctoral Fellowship zu bewerben, gemeinsam trafen sie die Entscheidung, es zu versuchen.
Die Postdoktorandenstipendien der Europäischen Union sind Teil der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA), einem zentralen Förderprogramm, das Nachwuchs-wissenschaftler/-innen die Möglichkeit bietet, ihre Fähigkeiten zu verbessern, internationale Erfahrungen zu sammeln und Kontakte zu anderen Wissenschaftler/-innen und Institutionen zu knüpfen. Das Ziel der Postdoktorandenstipendien ist es, die Laufbahn von Forschenden zu unterstützen und Spitzenleistungen in der Forschung zu fördern. Das Programm der Postdoktorandenstipendien richtet sich an promovierte Forschende, die ihre Forschungstätigkeiten im Ausland durchführen, neue Fähigkeiten erwerben und ihre Laufbahn weiterentwickeln möchten. Dieses Förderprogramm ist äußerst wettbewerbsorientiert und gilt als eine der renommiertesten Fördermöglichkeiten für junge Forschende in Europa.
„Für jungen Forschende wie mich ist es eine großartige Gelegenheit, Unabhängigkeit bei einem Forschungsprojekt zu erlangen. Für Forschende, die eine akademische Karriere anstreben, ist es sehr wichtig, Erfahrung in der Leitung von Projekten zu bekommen, und dieses Stipendium ist eine großartige Gelegenheit, damit zu beginnen. Darüber hinaus ist es natürlich eine große persönliche Anerkennung, da es zu den renommiertesten in Europa gehört, und es hilft, Türen und Möglichkeiten für die Zukunft zu öffnen. Zudem ermöglicht es, sich auf internationaler Ebene zu vernetzen.“
Für Dr. Victoria Guglielmotti steht fest, dass Stipendien wie das European Postdoctoral Fellowship dabei helfen, die nächste Generation von Führungskräften in Wissenschaft und Industrie auszubilden. Sie vermittelten wichtige Fähigkeiten und Erfahrungen, um globale Herausforderungen anzugehen. Durch die Förderung von Forschenden investierten diese Programme in die Zukunft von Innovation, Erkenntnisgewinn und gesellschaftlichem Fortschritt.
„Das Stipendium bietet mir die Möglichkeit, an Spitzenforschung zu arbeiten, mit Institutionen von Weltrang zusammenzuarbeiten und Fähigkeiten zu entwickeln, die für meine Karriere wichtig sind. Neben den finanziellen Mitteln fördert das Stipendium die internationale Mobilität, die es mir ermöglicht, in einem neuen Umfeld zu forschen, Ideen mit führenden Expert/innen auszutauschen und ein internationales Netzwerk aufzubauen. Außerdem werden interdisziplinäre Ansätze gefördert, die für die Bewältigung der komplexen wissenschaftlichen Herausforderungen von heute entscheidend sind“, fasst die Forscherin die Bedeutung ihres Stipendiums zusammen.
Mein Forschungsprojekt
Zu Prof. Ladoux kam sie in der Übergangsphase, während dieser gerade dabei war, seine Arbeitsgruppe an der Friedrich-Alexander-Universität aufzustellen. Die Idee für ihr aktuelles Forschungsprojekt beruht auf einer kürzlich von seiner Arbeitsgruppe am Institut Jacques Monod in Paris veröffentlichten Arbeit. Darin geht es um die Auswirkungen, die zelluläre „Fußabdrücke“, von wandernden Zellen hinterlassene Spuren, auf die Zellmigration haben. Zellmigration ist ein grundlegender Prozess bei der Entwicklung, Gewebereparatur und dem Fortschreiten von Krankheiten.
Zellen bauen ihre extrazelluläre Matrix um, indem sie Komponenten abbauen und ablagern, und sie können verschiedene chemische und mechanische Umweltreize wahrnehmen und darauf reagieren. Trotz der anerkannten Wechselwirkung zwischen diesen Prozessen wurden diese in früheren Studien jedoch hauptsächlich isoliert untersucht. Der Einfluss des Umbaus der extrazellulären Matrix auf die großräumige Migrationsdynamik von Zellen ist bislang noch weitgehend unerforscht. Das Forschungsprojekt zielt darauf ab, diese Wissenslücke zu schließen. Es untersucht, wie zelluläre Fußabdrücke zu Gedächtniseffekten in der Zelldynamik und deren Auswirkungen auf das Verhalten innerhalb der ECM beitragen.
„Unsere Forschung kombiniert dabei physikalisch-chemische Prinzipien mit fortschrittlichen zellbiologischen Techniken, um zu beobachten, wie lange die zellulären Fußabdrücke bestehen bleiben. Zudem untersuchen wir die biochemischen und mechanischen Eigenschaften der zellulären Fußabdrücke sowie ihre Rolle bei der Regulierung der Zellorganisation“, erklärt Dr. Victoria Guglielmotti.
Der Forscherin wird es so schnell nicht langweilig werden, es gibt noch Vieles, dem sie auf den Grund gehen muss. Hänsel und Gretel begleiten sie dabei.
Mehr zum Projekt: https://mpzpm.mpg.de/research/benoit-ladoux
