Althistoriker Boris Dreyer beschränkt sich nicht auf das Studium antiker Schriftquellen. Er testet römische Handwerksprodukte, die mit antiken Fertigungsmethoden nachgebaut wurden, auf ihre Praxistauglichkeit und steigert so das öffentliche Interesse an der Antike.
Cäsar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“, fragt Bertolt Brecht in einem seiner Gedichte. Was er damit meint: Wird unser Geschichtsbild nicht zu sehr von Herrschenden und geistigen Eliten bestimmt? Und wird die Leistung des einfachen Volks, insbesondere der Handwerker, übersehen? Denn die meisten Zeitgenossen der Antike gehörten nicht zu den privilegierten Gruppen, ihr Leben wurde durch harter Hände Arbeit bestimmt.
Ob Legionäre oder Händler, Römer oder Kelten – Handel und Wandel in der Antike waren abhängig von der Funktionsfähigkeit handwerklich gefertigter Geräte, Fahrzeuge oder Waffen. „Wenn wir die Funktions- und Leistungsfähigkeit antiker Handwerksprodukte genau überprüfen wollen, geht Probieren über Studieren“, sagt Boris Dreyer. Seit 2017 hat der Professor für Alte Geschichte drei römische Boote nachgebaut: die „Fridericiana Alexandrina Navis“, ein römisches Patrouillenboot aus dem ersten Jahrhundert nach Christus, die „Danuvina Alacris“, ein Boot aus dem vierten Jahrhundert, sowie ein römisches Transportboot, die „Alchmona rediviva“. Zudem haben er und sein Team bisher zwei Geschütze aus unterschiedlichen Zeitstellungen und ein Katapult aus dem vierten Jahrhundert, einen Ofen, 22 Schilde sowie einen keltischen Streitwagen und einen römischen Reisewagen rekonstruiert.
„90 bis 95 Prozent der materiellen und schriftlichen Überlieferungen aus der Antike sind verloren.“
Prof. Dr. Boris Dreyer
Mit Smartphone und Hobel
„Für Waffen und Fahrzeuge dieser Art gibt es natürlich keine Hersteller, die von der Universität nach einem bürokratischen Vergabeverfahren beauftragt und bezahlt werden könnten“, erzählt Boris Dreyer. Obwohl er inzwischen ganz gut mit Säge, Hobel, Malerpinsel und Schmiedehammer umgehen kann, ist sein wichtigstes Werkzeug für den Nachbau antiker Geräte das Smartphone. Damit ruft Dreyer Studierende, freiwillige Helferinnen, Professoren kollegen, Bootsbauer, Segelmacher, Kunstschmiede, Darstellerinnen, Pädagogen, Behördenvertreter, Politikerinnen und Tourismusexpertinnen, Sponsoren, Journalistinnen und Dokumentarfilmer in atemberaubendem Tempo zusammen und begeistert sie für die Experimentelle Archäologie.

Experimentelle Archäologie konzentriert sich nicht – wie „Living History“ oder „Reenactment“ – auf das subjektive Erleben von Geschichte, sondern verfolgt einen streng wissenschaftlichenAnsatz. Grundlage für die Rekonstruktionen sind archäologische Funde, zeitgenössische bildliche Darstellungen wie Reliefs oder Wandmalereien und, soweit vorhanden, schriftliche Quellen. Dennoch stellt die Quellenlage Dreyer vor ein Problem: „Etwa 90 bis 95 Prozent der materiellen und schriftlichen Überlieferungen aus der Antike sind verloren“, sagt der Althistoriker. Deshalb könne neues Wissen nur über Rekonstruktionen und Funktionstests generiert werden. „Aufzeichnungen antiker Schiffsbauer gibt es nicht, vermutlich haben diese ihr Wissen nur mündlich weitergegeben. Römische Schriftsteller und Künstler hingegen hatten in der Regel weder praktische Erfahrung noch interessierten sie sich für handwerkliche Details“, erklärt Dreyer weiter.
Practability Turn und Öffentlichkeitsarbeit
Zwar habe auch die Altertumswissenschaft seit den 1970erJahren verstärkt das einfache Volk in den Blick genommen, dessen Handwerksprodukte jedoch keinem historisch plausiblen Leistungstest unterzogen. Genau das will Dreyer mit dem Konzept des Machbarkeitstests, auch „Practicability Turn“ genannt, ändern. So fanden er und seine Leute heraus, dass eine geübte Mannschaft mit einem Feldgeschütz in einer Minute bis zu zwölf Bolzen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 280 Kilometern pro Stunde verschießen kann. Oder dass das OnagerGeschütz einen 4,3 Kilogramm schweren Stein 130 Meter weit schleudert. Testfahrten mit der „Fridericiana Alexandrina Navis“, kurz: „F. A. N.“, zeigten, dass sich das Boot mit Spriet oder Lateinersegel leichter manövrieren lässt als mit einem Rahsegel, die in den Quellen ausschließlich dargestellte Segelform. Und Tests mit Modellen im Strömungskanal ergaben, dass eine bestimmte Form des Bugs die Boote stabiler durch das Wasser gleiten lässt.

„Mittlerweile füllen die bei Bau und Tests gewonnenen Erkenntnisse etliche Qualifikations- und Masterarbeiten sowie eine Vielzahl weiterer Publikationen“, sagt der Althistoriker. Für dieZukunft wünscht er sich einen dualen Studiengang, bei dem Studierende nicht nur der Alten Geschichte gleichzeitig einen handwerklichen Abschluss machen. Boris Dreyer scheut zudem nicht die öffentliche und mediale Präsenz. Wettfahrten der Boote, Messeauftritte sowie Römer und Mitruderevents erregen öffentliches Interesse, seine Projekte werden in bekannten populärwissenschaftlichen Magazinen und internationalen Dokumentationen gezeigt, und er selbst ist ein gefragter Experte für römische Technologie. „Für meine Lehrer waren Öffentlichkeitsarbeit und seriöse Wissenschaft noch unvereinbar“, sagt er. Das hat sich geändert: Dreyer selbst sieht Öffentlichkeitsarbeit als integrative Aufgabe, die letztlich auch Verständnis und Unterstützung für diese Art der Forschung fördert.
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Mathias Orgeldinger

Dieser Artikel ist Teil des FAU Magazins
Die dritte Ausgabe des FAU Magazins #Menschen steht auch wieder ganz im Zeichen der Menschen, die unsere FAU zu einer der besten Universitäten der Welt machen. Wie lebendig und vielfältig unsere Forschung, das Engagement der Studierenden und die Arbeit in den wissenschaftsstützenden Bereichen sind, zeigen die Beispiele dieser Ausgabe.
Ein Highlight ist sicherlich der neue Forschungscluster „Transforming Human Rights“. Oder folgen Sie unseren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Labore und Werkstätten, wo sie Kartoffeln klimaresistent machen, Robotern soziales Verhalten beibringen oder antike Schiffe und Geschütze nachbauen. Studierende entwickeln an der FAU senkrecht startende Flugzeuge oder überzeugen mit überragenden Leistungen bei den Paralympics. Und nicht zu vergessen die Menschen, die an unserer Uni arbeiten oder als Ehemalige der FAU stark verbunden sind. Besuchen Sie mit ihnen die KinderUni oder schauen Sie sich mit einer FAU-Alumna und Grimme-Preis-Trägerin eine Fernsehserie an.
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