Erzwungene Ruhe im digitalen Raum ist nur eine Scheinlösung

Vier Jugendliche, 2 Jungs, 2 Mädchen, sitzen beisammen und schauen auf ihre Smartphones.
(Bild: BearFotos/shutterstock)

FAU-Experten sprechen sich gegen Social-Media-Verbot für Minderjährige aus

Keine Reels mehr, keine Selfies mit lustigen Filtern, keine hitzigen Kommentarspalten. Ruhe im digitalen Raum. Die Debatte um ein Social-Media-Verbot für Minderjährige nimmt auch in Deutschland zunehmend Fahrt auf. Entsprechende Forderungen werden lauter. Doch für Expert/-innen am Institut für Erziehungswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) wirft diese radikale Forderung mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Statt Facebook, TikTok, Instagram, Snapchat und Co den Stecker zu ziehen, plädieren sie für die konsequentere Durchsetzung bereits bestehender Regeln, eine bessere pädagogische Begleitung und Medienkompetenzförderung.

Die Überlegungen, ein Social-Media-Verbot für Minderjährige, etwa bis sie 16 Jahre alt sind, einzuführen, sind aus Sicht von Professor Dr. Franco Rau alles andere als sinnvoll. „Ein solcher Schritt würde zu weit führen, weil er gleich mehrere Grundrechte tangiert, die Meinungsfreiheit, Informationsfreiheit und das Recht auf digitale Teilhabe“, gibt der Inhaber des FAU-Lehrstuhls für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Digitalisierung im Unterricht zu bedenken. Hinzu kämen aus seiner Sicht folgenschwere Kollateralschäden für die Jugendlichen, wenn diese allein gelassen würden mit einer Auseinandersetzung, an der früher oder später ohnehin kein Weg vorbeiführe: „Ich halte wenig davon, junge Menschen dann mit 16 unvorbereitet in die Social-Media-Welt zu entlassen. Damit wären neue Probleme vorprogrammiert.“

Denn die Schattenseiten der Nutzung sozialer Medien diskutieren auch die Expert/-innen am Institut für Erziehungswissenschaft intensiv. „Unrealistische Schönheitsideale und idealisierte Lebensentwürfe, die über Social Media transportiert werden, können die Lebenszufriedenheit von Jugendlichen genauso wie ihre psychische Gesundheit negativ beeinflussen“, betont Professor Dr. Rudolf Kammerl. „Hinzu kommt, dass Anbieter sozialer Medien intransparente Algorithmen und manipulative, teilweise sogar verbotene Designelemente einsetzen, um User an die Plattformen zu binden, damit diese dort immer mehr Zeit verbringen und andere Inhalte konsumieren als ursprünglich beabsichtigt.“

Plädoyer für eine kompetente Nutzung sozialer Medien

Diese so genannten „Dark Pattern“ würden dazu beitragen, dass rund ein Viertel der Jugendlichen ein suchtähnliches oder riskantes Nutzungsverhalten entwickle. Nicht zu vergessen die politischen und gesellschaftlichen Risiken: Social-Media-Plattformen bieten nicht nur Raum für Austausch, sondern auch für gezielte Einflussnahme insbesondere von Rechtsaußen. Parallel dazu verbreiten sich Szenen, die mit vermeintlich attraktiven Männlichkeits- und Erfolgsidealen locken, aber oft frauenfeindliche, antidemokratische und toxische Weltbilder transportieren.

Für Rudolf Kammerl, Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik, wäre ein harter Schnitt, wie ihn auch die Bundesjustiz- und Bundesfamilienministerin befürworten, aber gerade deshalb kontraproduktiv. Sinnvoller wäre es aus seiner Sicht beispielsweise stärker als bislang gegen den untersagten Einsatz von „Dark Pattern“, vorzugehen und die Jugendlichen besser über all jene Praktiken, Versuche der Einflussnahme und Folgen aufzuklären. Hinzu kommt, dass es bereits jetzt Altersgrenzen gibt.

Verbot als demokratiepolitisches Eigentor

„Ich sehe vor allem auch die Politik in der Pflicht, die Anbieter deutlich stärker zu kontrollieren und zu sanktionieren, wenn sie bestehende Altersbeschränkungen nicht wirksam durchsetzen“, unterstreicht Dr. Jane Müller, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik und Leiterin der Nachwuchsforschungsgruppe „Digitale Souveränität Jugendlicher“. Ohnehin werben Franco Rau, Rudolf Kammerl und Jane Müller für einen differenzierteren Blick. Social Media als bloßes toxisches Gift zu sehen, greift für sie zu kurz. Sie plädieren dafür, pädagogisch entgegenzuwirken, um Risiken zu minimieren und Jugendliche zu einem kompetenten und verantwortungsvollen Umgang zu befähigen.

Denn aus Sicht der FAU-Wissenschaftler/-innen wird bei der Debatte oft vergessen, dass eine effektive und kompetente Nutzung sozialer Medien auch positive Seiten hat. „Ein Großteil der Jugendlichen entwickelt überhaupt kein riskantes oder pathologisches Nutzungsverhalten“, unterstreicht Professor Dr. Rudolf Kammerl. „Ein generelles Verbot würde deren Rechte auf Teilhabe, Meinungs- und Informationsfreiheit beschränken“, ergänzt Dr. Jane Müller.

Sinnvolle Alternativen zum Verbot

Und weiter: „Auch politische Bildung findet mittlerweile in den sozialen Medien statt. Wenn wir Jugendlichen diese Informationsquelle entziehen würden, wäre das ein demokratiepolitisches Eigentor.“ Zudem könne Social Media auch anderweitig im Alltag sinnvoll genutzt werden, etwa um Freundschaften zu pflegen, den Kontakt mit der Familie zu halten, sich zu Fragen auszutauschen.

Anstatt ein Social-Media-Verbot für Minderjährige voranzutreiben, sollte aus Sicht des FAU-Teams deshalb die gezielte Förderung der Medienkompetenz an Schulen nachhaltig gestärkt und die Qualitätssicherung im Kontext Digitalisierung an Schulen ausgebaut werden. „Wir brauchen mehr medienkompetente Lehrkräfte, damit die zukünftige Generation fit gemacht werden kann, die digitale Transformation unserer Gesellschaft mitzugestalten“, betont Professor Dr. Franco Rau.

Social Media soll Jugendlichen dienen, nicht umgekehrt

Für ihn, zugleich Vorstandsmitglied der Sektion Medienpädagogik der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), ist die Schule zudem immens wichtig, wenn es um Chancengleichheit in Sachen eines kompetenten Umgangs mit Social Media geht. Denn sie ist der einzige Ort, an dem wirklich alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können. Aus all diesen Gründen setzen sich die Expert/-innen am Institut für Erziehungswissenschaft der FAU für eine bessere pädagogische Begleitung und Medienkompetenzförderung ein.

Auch im Rahmen der zweitätigen Herbsttagung der Sektion Medienpädagogik der DGfE, die am 18. und 19. September an der FAU in Nürnberg stattfindet. In knapp 60 Vorträgen und Inputs werden neue Forschungsergebnisse diskutiert und Fortbildungsangebote für Lehrkräfte und Multiplikatoren vorgestellt. Denn für Franco Rau, Rudolf Kammerl und Jane Müller lautet die zentrale Frage nicht: „Soll Deutschland Social Media für Minderjährige verbieten?“, sondern: „Wie schaffen wir es, dass Social Media den jungen Menschen dient – und nicht umgekehrt?“

 

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Franco Rau
Inhaber des Lehrstuhls für Schulpädagogik mit dem Schwerpunkt Digitalisierung im Unterricht
franco.rau@fau.de

Prof. Dr. Rudolf Kammerl
Inhaber des Lehrstuhls für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik
0911530295520
rudolf.kammerl@fau.de

Dr. Jane Müller
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Medienpädagogik
0911530295149
jane.mueller@fau.de