EU-Rat konzentriert sich auf Schutz der Grenzen

Prof. Dr. Petra Bendel (Bild: privat)
Prof. Dr. Petra Bendel (Bild: privat)

Am 17. und 18. Dezember trafen sich in Brüssel die 28 EU-Staats- und Regierungschefs, um über die Gestaltung der Flüchtlingspolitik in Europa zu verhandeln. Wir haben mit Prof. Dr. Petra Bendel, Leiterin des Zentralinstituts für Regionenforschung der FAU,  über die wichtigsten Punkte der EU-Ratssitzung gesprochen:

Worum ging es bei dem Gipfel des Europäischen Rates zur Flüchtlingspolitik?

Auch am Jahresende standen die Flüchtlinge wieder im Mittelpunkt der EU-Politik. Auf ihrem letzten Gipfel zum Jahresabschluss diskutierten die Staats- und Regierungschefs vor allem über die Kontrolle der Außengrenzen und die Arbeitsweise der sogenannten Hotspots in Italien und Griechenland. Während sich die Mitgliedstaaten im Prinzip auf einen stärkeren Schutz der Außengrenzen einigen konnten, hinken Maßnahmen, die das Wohl der Schutzsuchenden in den Mittelpunkt stellen, hinterher.

Kurz zuvor hatte die Europäische Kommission einen Vorschlag zum Aufbau eines Europäischen Grenz- und Küstenschutzes vorgelegt, der aus nationalen Grenzschützern und der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex bestehen soll. Dies sei nötig, weil die Kontrolle der Außengrenzen an den Küsten Italiens und Griechenlands große Lücken aufweise und gerade Griechenland sich längere Zeit gegen eine Unterstützung von Frontex gewehrt habe. Die Agentur kann bislang nur auf Anforderung eines Mitgliedstaats tätig werden. Daher sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass dieser Grenzschutz mit 1000 festen Mitarbeitern und einer Reserve von 1500 Grenzschützern in dringenden Fällen auch ohne die Einwilligung der Mitgliedstaaten aktiv werden könnte, wenn etwa die Funktionsfähigkeit des Schengenraums gefährdet ist.

Dieser Vorschlag ist bereits rechtlich problematisch, weil die Verträge den Mitgliedstaaten die Souveränität über die Grenzsicherung vorbehalten. Vor allem aber stößt er politisch auf den Widerstand einiger Mitgliedstaaten, insbesondere Ungarns, der Tschechischen Republik und Polens. Sie sind aufgrund ihrer historischen Erfahrung unwillig, Souveränitätsrechte an „Brüssel“ abzutreten. Auch die öffentliche Meinung in diesen Staaten ist stark durch Euroskepsis und Furcht vor mehr Einwanderung gekennzeichnet.

Welche Themen fehlten bei der Debatte?

Während Frontex erheblich ausgebaut werden soll, hegen die Staats- und Regierungschefs keine entsprechenden Ausbaupläne für das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO). Dieses unterstützt die Mitgliedstaaten bei der Registrierung der Flüchtlinge in den Hotspots, aber auch beim Auf- und Ausbau funktionierender Aufnahmesysteme und Asylverfahren für die Schutzsuchenden. Das wäre aber eine wichtige Maßnahme, denn die Flüchtlinge benötigen eine strukturiertere und effizientere Aufnahme und Verteilung.

Nach wie vor krankt das System der EU-Asyl- und Flüchtlingspolitik und ihres Grenzschutzes daran, dass es keine sicheren und legalen Möglichkeiten für Schutzsuchende bietet, die EU-Mitgliedstaaten zu erreichen. Dies trägt dazu bei, dass die Fluchtbewegungen so unkontrolliert ablaufen und die Flüchtlinge und Migranten so gefährliche Fluchtrouten wählen. Hier liegt das grundlegende humanitäre und menschenrechtliche Problem des EU-Flüchtlingsschutzes, das auf dem Gipfel gar nicht diskutiert wurde.

Wie steht es um das Dublin-System und welche Alternativen der Verteilung werden diskutiert?

Auf ihrem Jahresabschlussgipfel riefen die EU-Staats- und Regierungschefs die Kommission auf, möglichst schnell Vorschläge für eine Reform des praktisch kollabierten Dublin-Systems vorzulegen. Dessen mangelnde Einhaltung löst eine Kettenreaktion aus, die auch mit temporären Personenkontrollen an der Grenze nicht zu lösen ist. Diese sind dem Schengener Grenzkodex zufolge zwar erlaubt und vermögen das Tempo der Einreisen zu drosseln, ziehen aber Dominoeffekte in anderen Mitgliedstaaten nach sich.

Die für 2016 angekündigte Revision des Dublin-Systems muss in ein neues Verteilungssystem unter den Mitgliedstaaten münden. Der aufgestockte Asyl- und Migrationsfonds (AMIF) könnte genutzt werden, um einen Pauschalbetrag pro Aufnahme zu zahlen und so diejenigen Mitgliedstaaten entlasten, die regelmäßig mehr Asylbewerber aufnehmen als sie nach der festgelegten Verteilungsquote müssen. Das neue System müsste finanzielle Anreize bieten, um nach und nach weitere Mitgliedstaaten zum Mitmachen zu bewegen. Deutschland hat vergangene Woche in der Tat auf eine solche Allianz von freiwilligen Mitgliedstaaten gesetzt, deren Zahl sich bei einem Vortreffen zum Gipfel auf zehn belief. Zu prüfen ist, wie die Interessen der Flüchtlinge dabei berücksichtigt werden können.

Was wäre zu tun?

Um die komplexe Aufgabe einer EU-Flüchtlingspolitik zu stemmen, ist es unabdingbar, das komplette System kohärenter aufeinander abzustimmen: Die chronisch unterfinanzierten internationalen Fonds und Programme in den Herkunfts- und Transitstaaten müssen aufgestockt werden. Menschenrechtliche Garantien auch außerhalb Europas müssen gewährleistet sein: bei Verhandlungen mit Transitstaaten wie der Türkei, bei der Errichtung von regionalen Entwicklungs- und Schutzprogrammen außerhalb Europas, beim Abschluss von Rückübernahmeabkommen, bei der Errichtung einer zivilen Seenotrettung auf EU-Ebene, bei der Militäroperation EUNAVOR-MED im Mittelmeer zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität. Der Zugang zum Territorium der Mitgliedstaaten muss sicherer werden und das international verbriefte Recht auf Nicht-Zurückweisung von Schutzsuchenden in Staaten garantiert werden, in denen ihnen Gefahren für ihr Leben und/oder ihre Freiheit drohen. Die Flüchtlingsrechte müssen auch durch eine engmaschigere Überprüfung der selbstgesetzten Standards des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) in den Mitgliedstaaten stärker beobachtet werden. Die Kommission hat nun damit begonnen und Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet.

Will die Europäische Union in dieser entscheidenden Frage integriert bleiben, dann muss sich die europäische Grenz-, Asyl- und Flüchtlingspolitik in vielen kleinen Schritten neu erfinden und sie muss dabei die menschenrechtlichen Belange als Kompass fest im Blick halten.

Professor Bendel hat im Dezember eine Auftragsstudie zum selben Thema vorgelegt, die unter dem Titel „Flüchtlingspolitik der Europäischen Union: Menschenrechte wahren!“ erhältlich ist: http://library.fes.de/pdf-files/wiso/12108.pdf. Prof. Dr. Petra Bendel ist ab Januar 2016 mit der Erstellung einer Studie für den Ausschuss für die Rechte der Frau und Gleichstellung der Geschlechter des Europäischen Parlaments (FEMM) zur Situation weiblicher Asylsuchender in Deutschland und Belgien betraut und spricht am 27. Januar 2016 vor dem britischen Unterhaus gemeinsam mit Prof. Ibrahim Sirkeci in der Westminster-Debatte zu den Folgen der Syrienkrise für die Flucht nach Europa.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Petra Bendel
Tel.: 09131/ 85-22368
petra.bendel@fau.de