Empfangsbereit auf vielen Kanälen: Sinnestäuschungen

Zwar haben wir keine Adleraugen, können dafür jedoch Objekte dreidimensional sehen. (Bild: David Hartfiel)
Zwar haben wir keine Adleraugen, können dafür jedoch Objekte dreidimensional sehen. (Bild: David Hartfiel)

Der Mensch hat genau die Sinnesorgane, die er für sein Leben braucht – das galt zumindest in der Steinzeit. Mit dieser fantastischen Ausrüstung aber meistert er normalerweise auch den Dschungel der Stadt.

von Roland Knauer

Im zweiten teil der Reihe „Empfangsbereit auf vielen Kanälen“ hat unser Autor bereits erläutert, wie es sich mit dem Schmecken, Fühlen und Sehen verhält. So sehen Menschenaugen am Himmel einen Kaiseradler oft nur noch als schwarzen Punkt, weil der Greifvogel mit seinen mehr als zwei Metern Spannweite so hoch oben fliegt. Von dort aber erspähen die messerscharfen Augen des Vogels problemlos ein Erdhörnchen, das allenfalls ein paar Hundert Gramm wiegt und damit viel kleiner als der Adler ist.

So scharf sind Menschenaugen bei Weitem nicht. Schließlich könnten wir mit einem solchen Adlerblick kaum etwas anfangen, weil wir selten aus derartigen Höhen nach unten spähen und vor allem das erspähte Erdhörnchen in der Tiefe mangels Sturzflug-Qualitäten gar nicht erwischen könnten.

Der Sinn einer Sinnestäuschung

Stattdessen erkennen Menschen Formen ganz hervorragend, sehen auch in drei Dimensionen und können so leicht unterscheiden, ob ein paar Meter weiter eine leckere Beute oder ein gefährlicher Feind durchs hohe Gras pirscht. Dieses Erkennen von Formen funktioniert so gut, dass wir sogar ein Dreieck erkennen, wenn auf einem Blatt Papier drei Scheiben mit ausgeschnittenen Segmenten und drei abgeknickte Linien nur geschickt angeordnet sind, tatsächlich aber weit und breit kein Dreieck zu sehen ist.

Dieses Kanizsa-Dreieck ist zwar nur eine Sinnestäuschung, bei der das Gehirn vorhandene Formen so miteinander verbindet, dass sie zu einer uns bekannten Struktur ergänzt werden. Eine solche Sinnestäuschung bewährt sich aber spätestens dann, wenn wir eine aus dem trüben Wasser ausgestreckte Hand ergreifen, weil unser Gehirn sie zu einem Menschen ergänzt hat, der zu ertrinken droht. Beim Menschen sind daher auch die Bereiche im Gehirn, in denen die Informationen aus den Augen verarbeitet werden, auffallend groß. Die für das Hören zuständigen Areale sind dagegen ein wenig kleiner, obwohl die Ohren ebenfalls sehr wichtig sind.

Bei den Delfinen sind die Verhältnisse genau umgekehrt. Schließlich sehen die Meeressäuger selbst in klarem Wasser nicht allzu weit. Deshalb haben sie ähnlich wie Fledermäuse, die sich bei ihrer nächtlichen Jagd ebenfalls kaum auf ihre Augen verlassen können, eine Art „Sehen mit den Ohren“ entwickelt: Sie stoßen hohe und damit sehr weit tragende Laute aus, deren Echos sie, ähnlich wie wir einzelne Lichtreize, dann zu kompletten Bildern zusammensetzen. Weil Delfine sich mit solchen Lauten auch noch untereinander verständigen, beansprucht das Hören im Gehirn der Tiere einen viel größeren Bereich als beim Menschen.

Sprache und Vibrationen

Hunde wiederum hören im Ultraschallbereich selbst noch Töne mit 50.000 Hertz, während für uns Menschen spätestens bei 20.000 Hertz Schluss ist. Deshalb bemerken sie auch die Ultraschallpfeife, die ihr Herrchen zwar bedient, aber eben nicht selbst wahrnimmt. Wir Menschen trumpfen dagegen mit einem fantastischen Hörvermögen bei 2000 bis 4000 Hertz auf. „Genau in diesem Bereich ist auch unsere Sprache angesiedelt“, erklärt Hermann Handwerker.

Wir haben eben genau die Sinnesleistungen, die wir auch brauchen. Genau deshalb „hören“ wir zusätzlich auch noch mit der Haut. Dort befinden sich nämlich Sinneszellen, die Vibrationen im Bereich von einigen Hundert Hertz messen. „Damit spüren wir zum Beispiel das Trampeln einer Tierherde in großer Entfernung“, fasst Hermann Handwerker zusammen. Beim Einkaufsbummel in der Innenstadt mag dieser Sinn vielleicht nicht so wichtig sein. Den Jägern der Steinzeit aber lieferte er wichtige Informationen über die grobe Richtung, in der die Suche nach Beute Erfolg versprechend war.

Ein Filter passt sich an

Einige Sinne arbeiten sogar auf Hochtouren, ohne dass wir davon bewusst viel mitbekommen. So messen Sinneszellen, wie stark sich die Halsschlagader bei jedem Herzschlag dehnt. Diese Information hilft, den Blutdruck relativ konstant zu halten, ohne dass wir willentlich etwas dazu beitragen. Im Magen registrieren andere Sinneszellen eine mögliche Überfüllung und schaffen im Falle eines Falles Abhilfe, indem sie die Richtung umkehren, in der normalerweise Speisen in den Magen gelangen. Dieser Sinn reagiert aber auch auf bestimmte Moleküle, die bei einer Vergiftung auftreten, und verhütet dann durch Erbrechen das Schlimmste.

Der Gleichgewichtssinn kontrolliert kontinuierlich unsere Bewegungen. (Bild: David Hartfiel)
Der Gleichgewichtssinn kontrolliert kontinuierlich unsere Bewegungen. (Bild: David Hartfiel)

Allerdings kann dieser Effekt auch eintreten, wenn die Gleichgewichtsorgane stark erregt werden. Deshalb müssen sich viele Menschen bei starkem Seegang oder auch bei einer Autofahrt über kurvige Bergstraßen übergeben. Pausenlos fluten so die Informationen aus unseren Sinnesorganen das Gehirn und würden wohl ein Chaos auslösen, wenn nicht vollautomatisch wichtige von unwichtigen Signalen getrennt würden. Diese Filter aber passen sich an die aktuelle Situation an und sorgen so dafür, dass eine stillende Mutter vom kleinsten Geräusch ihres Babys geweckt wird, während sie vor der Geburt selbst bei stärkeren Geräuschen weiterschlief.

Auch umgekehrt gewöhnt sich der Mensch an übliche Geräusche wie das Schnarchen des Partners, das ein altgedientes Ehepaar kaum aus der Nachtruhe bringt. Es sei denn, das Schnarchen setzt plötzlich aus. Dann wacht der Partner sofort auf und kann so unter Umständen sogar ein Leben retten, weil der Atem des Schnarchers gerade stockt. Wieder einmal hat sich das perfekt an unser Leben angepasste Sinnessystem bewährt.

 

Dieser Text erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich zum Thema Sinne. Lesen Sie außerdem im friedrich Nr. 115, warum man sich vielleicht gar nicht so sehr auf seine Sinne verlassen sollte, wie Düfte helfen, psychische Krankheiten zu heilen und wie Maschinen hören lernen.

Weitere Beiträge aus dem Magazin finden Sie unter dem Stichwort „friedrich“.