Wissenschaftler forschen an künstlichem Gewebe

Prof. Dr. Aldo R. Boccaccini (Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften – Biomaterialien. (Bild: FAU)
Prof. Dr. Aldo R. Boccaccini (Lehrstuhl für Werkstoffwissenschaften – Biomaterialien. (Bild: FAU)

Fleisch und Knochen bauen

Von einfachen biologisches Strukturen bis zu künstlichen Organen aus dem 3D-Drucker: Was sich lange Zeit wie Science-Fiction anhörte, ist in der Forschung längst Realität. Auch Wissenschaftler der FAU arbeiten daran, solche Biomaterialien weiter zu entwickeln, um sie im medizinischen Alltag einsetzen zu können. Wir haben bei Prof. Dr. Aldo Boccaccini, Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien der FAU, nachgefragt.

Herr Prof. Boccaccini, wofür werden Biomaterialien in der Medizintechnik eingesetzt?

Biomaterialien werden in der Medizintechnik vielfältig als permanent oder temporär eingesetzte Prothesen, Implantate oder Gerüststrukturen für künstlichen Gewebeersatz im Bereich der regenerativen Medizin eingesetzt. Als Biomaterial werden allgemein synthetische oder natürliche Werkstoffe verwendet, die in der Medizin für therapeutische oder diagnostische Zwecke eingesetzt werden und dabei im direkten Kontakt mit biologischem Gewebe des Körpers kommen.

Was sind die aktuellen Herausforderungen in diesem Forschungsbereich?

Es gibt verschiedene Bereiche, die uns Wissenschaftler zurzeit beschäftigen. Das fängt bei Bioaktivität an, also hohen Oberflächenaktivitäten der Biomaterialien. Die biologische Umgebung ist für Materialien mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. So müssen zum Beispiel Biomaterialien für die Orthopädie und Traumatologie das Einwachsen von Zellen beschleunigen, so dass das Implantat schnell integriert wird. Die Herausforderung besteht dabei darin, die Bioaktivität der Implantat-Oberfläche durch gezielte Modifikationen, wie beispielsweise Beschichtung, zu erhöhen.

Eine weitere Herausforderung besteht in der Gewebezüchtung, dem Tissue Engineering. Hierbei wird versucht, biologisches Gewebe durch die zielgerichtete Kultivierung von Zellen künstlich herzustellen, um damit krankes Gewebe eines Patienten zu ersetzen oder wiederherzustellen. Das Material, auf dem die Zellen anwachsen sollen, muss sowohl biokompatibel, porös und abbaubar sein als auch die Gewebeneubildung anregen.

Problematisch bei allen Implantaten und Prothesen ist, dass selbst in klinischer Umgebung bakterielle Verunreinigungen nicht zu vermeiden sind. Können sich die Bakterien in hohem Ausmaß auf dem Implantat festsetzen und ausbreiten, kommt es zur einer Infektion, was eine Abstoßung des Implantats und seine operative Entfernung zur Folge haben kann – oder zu der Bildung eines bakteriellen Biofilms. Antibiotika sind in diesem Fall kaum wirksam, da zur Entfernung derartiger Biofilme Dosen bis zum 200-fachen der normalen Antibiotikakonzentration nötig wären. Auch in diesem Bereich ist noch viel Forschung nötig, um das Infektionsrisiko zu senken. Und bei Gelenkprothesen spielt nicht zuletzt auch der Verschleiß eine große Rolle, so dass es eine große Herausforderung ist, länger haltbare Prothesen zu entwickeln.

Weitere Herausforderungen sind die Entwicklung maßgeschneiderter Biomaterialien für den Medikamententransport, die Abbaubarkeit von Implantaten und komplexe Gerüststrukturen mit Blutgefäßneubildung sowie der hierarchische Aufbau eines künstlich hergestellten Gewebes.

Woran forschen Sie gerade an der FAU?

Unsere forschungsschwerpunkte lassen sich unter anderem in folgende Punkte gliedern: Knochenersatzmaterialien mit einstellbaren biologischen Funktionen, Herzpatches, also künstliches Gewebe, um zum Beispiel Herzscheidewanddefekte zu schließen, elektrisch-leitfähige Materialien und Nanofasern, 3D- Druck struktureller Gerüsten zur Gewebezüchtung und Hydrogelen mit Gewebezellen, antiinfektiöse Beschichtungen.

Um die Knochenregeneration zu unterstützen, entwickeln wir Verbundwerkstoffe aus Biopolymeren und Bioglas und können diese mit einem 3D-Drucker in jede gewünschte Form drucken.

Mit sogenannter Bio-Tinte drucken wir Zellen und bioaktive Materialien dann in einem Schritt. Das nennt man Biofabrikation. Die Zellen werden vorher in wasserhaltige, aber wasserunlösliche Polymere, sogenannte Hydrogele, eingebettet. Das Bioglas wird dann den Zell-Hydrogel-Mischungen als Nanoteilchen zugegeben und liefert so Kalzium und Phosphor, woraus sich Mineralien wie Kalziumphosphat bilden können. Dies erhöht die mechanische Festigkeit.

Wir konzentrieren uns hierbei zwar auf die Knochenregeneration, aber was wir über das Drucken von Weichgewebe und Blutgefäßen lernen, wird man dann in der Forschung auch anderweitig nutzen können. Allerdings sind wir noch von einer klinischen Anwendung  weit entfernt und arbeiten bislang lediglich -im Labormaßstab.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Gebiet der Entwicklung von Biomaterialien sowie Vertreter aus der Industrie treffen sich am 27. bis 28. September an der FAU auf dem internationalen Workshop „Biomaterials: Key Technologies for Better Healthcare” um die neuesten Forschungsergebnisse zu diskutieren.

Informationen:

Prof. Dr. Aldo R. Boccaccini
Tel.: 09131/85-28601
aldo.boccaccini@fau.de