„‚Tatort‘ ist das intelligentere ‚Das Traumschiff‘“

Dr. Sven Grampp
Dr. Sven Grampp vom Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der FAU freut sich auf den Jubiläumstatort. (Bild: FAU/Harald Sippel)

Interview mit Dr. Sven Grampp: 50 Jahre „Tatort“

50 Jahre Tatort – der Kultkrimi feiert Jubiläum! Zu diesem Anlass hat die ARD mit den Ermittler-Teams aus Dortmund und München eine Doppelfolge gedreht, deren erster Teil am 29. November ausgestrahlt wird. Auch Medienwissenschaftler und leidenschaftlicher „Tatort“-Gucker Dr. Sven Grampp, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Medienwissenschaft der FAU, freut sich auf die Jubiläumsfolge und verkürzt die Wartezeit mit einem Blick auf die Entwicklung der TV-Reihe. Im Interview erklärt er, warum die Krimi-Serie auch nach einem halben Jahrhundert noch äußerst erfolgreich ist und was sie mit „Das Traumschiff“ gemeinsam hat.

Die Krimi-Reihe „Tatort“ begeht Ende November ihr 50-jähriges Jubiläum. Werfen wir einen Blick zurück zu ihrem Anfang 1970 – in welcher Fernsehlandschaft ist „Tatort“ gestartet?

Tatsächlich ist der Anfang der „Tatort“-Reihe interessant. Zwar gab es von Beginn an ein klares Konzept und der Fernsehproduzent Gunter Witte setzte drei Regeln auf die Agenda: Der Kommissar sollte erstens im Fokus stehen. Zweitens mussten regionale Spezifika eine maßgebliche Rolle spielen. Und drittens sollten die Kriminalfälle zwar nicht nach wahren Fällen gestaltet sein, aber doch möglichst „realitätsnah“ wirken. Schaut man sich indes die ersten Folgen an, dann wurden diese Regeln zum einen nicht besonders konsequent umgesetzt und zum anderen existieren die ersten Episoden bereits vor dem Konzept.

Dazu muss man wissen: Auf dem ZDF lief von 1968 bis 1973 die Sendung „Der Kommissar“, die sehr erfolgreich war. Als Konkurrenz dazu hat die ARD „unter Hochdruck“ den „Tatort“ eingeführt, um nicht den Anschluss beim TV-Publikum zu verlieren. Das wurde einigermaßen hektisch und kurzfristig umgesetzt. Die erste Folge „Taxi nach Leipzig“ mit Kommissar Trimmel war schon abgedreht vor und unabhängig von „Tatort“, wurde dann aber kurzerhand als Auftakt genommen. Ein Kriminalfilm mit eben diesem Kommissar Trimmel lief bereits 1969 im Fernsehen und wurde dann als weiterer „Tatort“ nochmal ausgestrahlt. Und auch wenn Episoden direkt für den „Tatort“ produziert wurden, hatten diese mit Realitätsnähe und Lokalkolorit häufig nicht allzu viel zu tun. So gab es am Anfang relativ viele Folgen mit Inspektor Kressin, ein regelrechter James Bond-Verschnitt. Der überaus coole Kressin kutschierte und ermittelte ähnlich realitätsfern wie Bond durch ganz Deutschland.

Es lohnt sich außerdem auch der Blick in die ehemalige DDR, wo 1971 die Sendung „Polizeiruf 110“ gestartet ist. Es war also nicht nur eine Konkurrenzsituation zwischen den beiden großen westdeutschen öffentlich-rechtlichen Sendern, sondern auch zwischen Ost und West. Die erste Folge „Taxi nach Leipzig“ griff das Ost-West-Thema auf. Auch in weiteren Folgen ging es um das geteilte Deutschland, Spionage und Austausch von Ideologien. Das nennt man dann wohl Zeitgeist, der hier abgebildet wird.

Wie hat sich „Tatort“ über 50 Jahre hinweg verändert?

Über die Jahre hat sich der „Tatort“ deutlich verändert. Häufiger ging es schlichtweg darum „Wer hat es getan?“. Mitte der 1970er Jahre entwickelte sich der Tatort jedoch schon in die Richtung, wie wir die Sendung heute kennen: Es geht um soziale Milieus und auch um die Frage „warum hat jemand die Tat begangen?“. Wir lernen oft den Täter als „armes Würstchen“ kennen, die Motive sind meistens nicht Rachsucht oder Böswilligkeit, sondern soziale Probleme, Geldnot und Arbeitslosigkeit. Ab den 1980er Jahren stehen dann die Kommissare mehr und mehr im Vordergrund, deren – auch persönliche – Wege wir verfolgen sowie ihre Art und Weise, den Fall aufzuklären. Einher geht damit auch eine mehrere Episoden übergreifende Erzählungsstrang.

Das scheint mir eine ganz gängige Entwicklung: Eine Serie beginnt mit episodischem Erzählen und nach und nach treten nicht nur wiederkehrende Personen in Erscheinung, sondern diese entwickeln sich allmählich. Zumeist im kontrastierenden Beziehungsabgleich mit anderen Figuren des Teams. So haben wir immer einen abgeschlossenen Fall und gleichzeitig ein Fortsetzungselement über längere Zeit hinweg. Das nennt man wissenschaftlich „hyperkonnektive Zuschauerbindung“, was schlicht bedeutet: Unterschiedliches Klientel soll angesprochen werden.

Machen wir noch einmal einen Sprung in die 1990er oder auch zu den aktuellen Folgen. Heute ist der „Tatort“ sehr ausdifferenziert in dem Sinne, dass die Persönlichkeiten der Ermittler und lokale Besonderheiten sehr viel stärker zu finden sind. Das beginnt bei den Dialekten und geht bis hin zur Tonalität, die typisch für einige Standorte sind, so sind zum Beispiel die Weimarer Ermittler eher komödiantisch, andere Kommissare sind buchstäblich bierernst. Der „Tatort“ in Wiesbaden ist wiederum dafür bekannt, dass er sehr selbstreflexiv ist, da trifft zum Beispiel der Kommissar sich selbst als Schauspieler. Solche Experimente sind inzwischen sehr gängig, war mir durchaus gefällt. Soweit ich aufgrund der Twitter-Beiträge und Feuilletonbeiträge beurteilen kann, die ich mir angeschaut haben, sieht das indes nicht jeder so. Diese Stilvariation ist meiner Meinung nach, seit den 1990ern sehr stark zu sehen und genau die macht den „Tatort“, neben den unterschiedlichen Naturellen der Ermittler und der Anthologiestruktur, eben so interessant.

Früher war der Sendeplatz am Sonntagabend um 20.15 Uhr Kult. Spielt der heute in einer Zeit der Streamingdienste noch eine Rolle?

Ich glaube, der feste Sendeplatz spielt schon eine Rolle. Als ich noch Student war, haben wir uns Sonntagabend in der Kneipe getroffen, um „Tatort“ zu schauen. Freilich vor allem, um uns über die falsch gewählten Dialekte oder örtliche Unmöglichkeiten bei Verfolgungsjagden durch Konstanz lustig zu machen.

Vielleicht suchen „wir“ Dinge, die Bestand haben oder doch noch einmal zumindest die Ahnung eines „medialen Lagenfeuers“? Die „Lindenstraße“ und „Wetten, dass“ wurden abgesetzt, als TV-Urgesteine sind der „Tatort“ und vielleicht noch das „Das Traumschiff“ übrig. „Das Traumschiff“ ist komplett anders als „Tatort“, hat aber vergleichbar gute Einschaltquoten. Es kommt immer an Weihnachten und Silvester und erzählt auch immer die gleichen Geschichten, aber ist trotzdem erfolgreich. Also vielleicht schalten die Menschen da ein, weil es eben zu den kalten Feiertagen gehört imaginär in die Südsee zu schippern. Wie bei „Tatort“ am Sonntag kann man sich darüber mit Eltern und Freunden unterhalten, das bildet zum einen Gesellschaft ab und zum anderen gehört es zum Alltag. Durch die Anthologiestruktur, die vergleichsweise hohe Frequenz der Variationen, wäre der Tatort hier das „intelligentere“, „daheimgebliebene“ „Traumschiff“.

Das ganze Interview auf der Homepage der Philosophischen Fakultät finden Sie hier.

Weitere Informationen

Dr. Sven Grampp
Lehrstuhl für Medienwissenschaft (Prof. Dr. Kirchmann)
Tel.: 09131/85-29238
sven.grampp@fau.de