Irisimplantate aus smarten Materialien

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Foto: Piotr Krzeslak/shutterstock

Sina Martin entwickelt am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) mithilfe smarter Materialien Irisimplantate, die ähnlich wie ihre natürlichen Pendants im Auge funktionieren.

For your eyes only

Roboterarme, die menschlichen Bewegungsmustern folgen, künstliche Haut oder bewegliche Irisimplantate – Mit so genannten dielektrischen Elastomeren ist vieles, was noch vor einiger Zeit ins Reich der Science-Fiction gehörte, in greifbare Nähe gerückt.

Dielektrische Elastomere sind smarte Materialien, die in abwechselnd übereinanderliegenden Schichten angeordnet sind. Auf eine Schicht Silikon-Elastomer folgt eine Schicht Graphen, dann wieder Silikon-Elastomer, dann wieder Graphen und so weiter, bis die gewünschte Stärke erreicht ist. Legt man an die leitfähigen Graphen-Schichten abwechselnd positive und negative Stromladungen an, ziehen diese sich zusammen. Die dazwischen befindlichen Silikonschichten, deren Volumen bei Druck immer gleichbleibt, werden flachgedrückt und quellen dann zwischen den Graphen-Schichten hervor, ähnlich wie Nutella zwischen zwei Scheiben Brot. Wird die Spannung jedoch zurückgenommen, lässt das Magnetfeld nach und die Silikonschichten kehren wieder in ihren Grundzustand zurück.

„Diese Bewegung können wir uns zunutze machen“, sagt Sina Martin. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin forscht am FAPS zum Einsatz solcher dielektrischen Elastomere. „Momentan nutzen wir den Effekt hauptsächlich für künstliche Muskeln.“ Dies ist auch Thema von Sina Martins Dissertation. Die Absolventin der Medizintechnik entwickelt auch Irisimplantate, die nach demselben Prinzip funktionieren.

Innovationskünstlerin Sina Martin

Sina Martin im LaborZur Story auf innovationskunst.de

Starre Implantate ersetzen

Laptop und Augenmodell.
Mithilfe eines übergroßen Augenmodels aus Kunststoff, des sogenannten Demonstrators, kann Sina Martin die Funktionsweise der künstlichen Iris einfach darstellen. (Foto: FAU/Giulia Iannicelli)

Die Irismuskulatur reguliert durch Veränderung des Pupillendurchmessers den Lichteinfall ins Auge. Menschen, die aufgrund einer angeborenen Fehlbildung keine funktionierende Iris haben oder unter dauerhaften Verletzungen der Iris leiden, haben bisher nur eine Möglichkeit, um diese wichtige Funktion zu kompensieren: Sie müssen eine nachdunkelnde Brille tragen, die vor starker Lichteinstrahlung schützt. Ein starres kosmetisches Implantat hilft zwar um die Fehlbildung oder Verletzung zu verdecken, ersetzt bisher aber nicht die Blendenfunktion der Iris. Die künstliche Iris von Sina Martin hingegen, soll genauso wie ihr natürliches Vorbild, auf sich verändernde Lichtverhältnisse reagieren und könnte so starre Hilfsmittel überflüssig machen.

Dafür müssen Lichtsensoren im Auge den Lichteinfall aufnehmen und ein Signal an die künstliche Iris – quasi eine Scheibe mit Loch in der Mitte – weitergeben. Das Lichtsignal sorgt dafür, dass sich die Graphen-Schichten zusammenziehen. Die Silikon-Elastomere werden an den inneren Rand der Scheibe gequetscht, wo sich die Öffnung verkleinert, also die Pupille sich schließt.

Innovative Problemlösung

Allerdings dehnen sich die Silikonschichten aber auch zum äußeren Rand hin aus. Im Fall der Irisimplantate ist dies aber nicht erwünscht. Sina Martin arbeitet deshalb in ihrer Dissertation daran, diesen Effekt zu minimieren. „Ich versuche das Verhältnis der Ausdehnung über die Einstellung des elektrischen Feldes zu verschieben“, erklärt die Wissenschaftlerin, „so dass sich das Silikon-Elastomer nur in eine Richtung herausdrückt.“

Ein weiteres Problem ist die Energieversorgung und -übertragung. Eine Lösung hierfür könnten die Cochlea-Implantate sein, wie Gehörlose sie tragen. Dort liegt unter der Haut die funktionelle Einheit, die im Fall des Cochlea-Implantats die akustischen beziehungsweise digitalen Signale in elektrische Impulse umwandelt. Außen auf der Haut liegt die Sendespule. Das gleiche Prinzip ließe sich zukünftig auch für eine kontaktlose Energieübertragung bei Irisimplantaten anwenden, sagt Martin.

Doch die Graphen-Silikon-Muskeln können nicht nur elektrische Signale in Bewegung umsetzen, sondern auch Bewegungen und Belastungen erspüren – und das sogar gleichzeitig.

Sina Martin hält Implantate hoch.
Sina Martin entwickelt am FAPS die neuartigen Irisimplantate. Foto: FAU/Giulia Iannicelli

„Wir können mittels eines weiteren elektrischen Signals überwachen, wie weit das Material sich gerade ausgedehnt hat beziehungsweise ob sich das elektromagnetische Feld bei Annäherung anderen eines Objektes mit einem eigenen Feld ändert. Damit wäre auch eine Selbstregulierung des gesamten Systems denkbar“, erklärt Sina Martin. So wären dann auch weitere Anwendungsfelder denkbar. Zum Beispiel um die Druckverteilung in Orthesen oder orthopädischen Schuhen zu überwachen und diese so besser für ihre Träger anzupassen. Aber auch um im Sport mithilfe von Dehnungsmessstreifen Bewegungsabläufe zu optimieren oder für visuelle Effekte in Filmen, wie das sogenannten Motion Capturing, wäre ein Einsatz denkbar.

Doch noch arbeitet Sina Martin an den künstlichen Irisimplantaten. „Vielleicht können in Zukunft mit künstlichen Muskeln einstellbare Linsen gebaut werden, die sogar bei der Behandlung von Kurz- und Weitsichtigkeit eingesetzt werden und Brillen teilweise ersetzen können – aber bis dahin wäre noch viel Forschung notwendig“, sagt sie.

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von Boris Mijat


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Die Themen der neuen Ausgabe sind: Datenbanksysteme und -forschung an der FAU, Irisimplantate aus künstlichen Muskeln, ein Medikament gegen Long-COVID, die European University EELISA, in der sich Universitäten aus Europa zusammengeschlossen haben, um Engineering weiter zu denken, der zweite Teil unserer Reihe zur FAU-Strategie,  das neue Green Office und vieles mehr.

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