Ein dünner Film aus Luft schützt Werkstoffe vor Flüssigkeiten und Erregern

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Die aerophilen Titanproben wurden auf (a) Blechen, (b-c) Spulen und Stäben mit eingeschlossenem Luftfilm unter Wasser hergestellt. Rasterelektronen- mikroskopische Aufnahmen der aerophilen Titanoberfläche in der Draufsicht (d) und im Querschnitt (e). (Grafik: FAU)

Raffinierte Oberfläche

Mit einem Trick tauchen verschiedene Insekten ins Wasser, ohne dabei nass zu werden: Winzige Strukturen auf ihrer Oberfläche halten einen dünnen Film aus Luft fest, der die Tiere schützt.

Dieses Prinzip konnten Dr. Alexander B. Tesler vom Lehrstuhl für Korrosion und Oberflächentechnik und Prof. Dr. Wolfgang H. Goldmann vom Lehrstuhl für Biophysik der FAU gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam jetzt auf Werkstoffe übertragen.

In Zukunft könnten solche Materialien zum Beispiel künstliche Gelenke in der Medizin oder Schiffsrümpfe in der Technik erheblich verbessern, weil sie Schmutz und Mikroorganismen abweisen.

Auf dem Weg dorthin erreichten Forschungsgruppen an der FAU, an der Harvard University im US-amerikanischen Cambridge, an der Aalto University im finnischen Espoo und an der North Dakota State University im US-amerikanischen Fargo jetzt einen Durchbruch, über den sie in der Fachzeitschrift Nature Materials  berichten: Koordiniert von den FAU-Wissenschaftlern Alexander B. Tesler und Wolfgang H. Goldmann konnten sie solche bisher nicht dauerhaft haltbaren Oberflächen erheblich stabilisieren.

Während diese Werkstoffe den dünnen Luftfilm an ihrer Oberfläche sonst rasch wieder verlieren, war diese schützende Hülle in den FAU-Experimenten auch noch nach 208 Tagen unter Wasser intakt. „Wir vermuten, dass sie noch viel länger hält und möchten das in weiteren Studien auch zeigen“, erklärt Alexander B. Tesler.

Für ihre Untersuchungen verwendet die Gruppe eine in der Medizintechnik häufig genutzte Legierung, die zu 90 Prozent aus Titan, zu sechs Prozent aus Aluminium und zu vier Prozent aus Vanadium besteht.

Die Oberfläche dieses Werkstoffs wird mit einer Kombination aus ebenfalls gut bekannten elektrochemischen Reaktionen und einer basischen Flüssigkeit behandelt, die noch dazu häufig wiederverwendet werden kann und das Verfahren so sehr nachhaltig macht. Dabei wird ein Teil der Oberfläche entfernt und es bleibt eine extrem raue Struktur zurück, in der einzelne Teile von etwa einem Tausendstel Millimeter Höhe herausragen, während der Abstand zwischen diesen Mikrometer-Gebilden sogar im Nanometer-Bereich von Millionstel Millimetern liegt.

So behandelte Materialien haben verblüffende Eigenschaften: Taucht man ein Plättchen aus einer unbehandelten Titan-Legierung ein einziges Mal in Blut und zieht es wieder heraus, klebt an der Oberfläche ein kräftiger roter Film. An der gleichen Legierung mit der mikro- und nano-rauen Oberfläche haften dagegen nach etlichen Malen Eintauchen immer noch keine sichtbaren Blut-Reste.

Noch faszinierender ist ein weiteres Demonstrationsexperiment: Während Blutstropfen auf einer herkömmlichen Aluminium-Legierung zwar ablaufen, aber rasch auch einen schmierigen roten Film hinterlassen, schießen solche Tröpfchen auf einer superrauen Oberfläche im Blitztempo davon und hinterlassen keine sichtbaren Blutspuren.

Ähnliches passiert auch mit Bakterien und anderen Zellen, die sich an die Oberfläche der unbehandelten Titan-Legierung gut anheften können, während sie auf einem mikro- und nano-rauen Plättchen kaum auftauchen. „Die Mikroorganismen heften sich normalerweise an eine feste Oberfläche, die jedoch unter der Lufthülle verborgen bleibt“, schildert FAU-Forscher Wolfgang H. Goldmann die Hintergründe dieser Beobachtung. Ohne festen Untergrund überleben diese Winzlinge nicht lange.

Das ist eine gute Nachricht für Patientinnen und Patienten, die ein künstliches Hüft- oder Kniegelenk brauchen oder deren Herzkranzgefäße mit Stents offengehalten werden. Bestehen solche Implantate aus herkömmlichen Titanlegierungen, benötigen sie eine Antibiotika-Behandlung, um Infektionen vorzubeugen. „Beim gleichen Material mit einer mikro- und nanorauen Oberfläche kann man in Zukunft auf Antibiotika vielleicht verzichten“, meint Wolfgang H. Goldmann. Bis es soweit ist, dürften aber noch einige Forschungs- und Entwicklungsjahre vergehen.

Das gilt auch für eine Anwendung unter Wasser. „Luft-beschichtete Oberflächen spielten bisher keine große Rolle für die Entwicklung von Schiffbeschichtungen und anderen maritimen Anwendungen“, schildert Stefan Kolle. Der Forscher von der Harvard University erklärt weiter: „Mit der hier demonstrierten Luftfilm-Stabilität und dem Verständnis der fundamentalen Prinzipien, eröffnen sich nun neue Möglichkeiten für umweltfreundliche und reibungsarme Oberflächen für den Einsatz im Meer.“

Ein wichtiges Einsatzgebiet ist zum Beispiel das Verhindern des Anheftens von Muscheln und Seepocken, welche ansonsten Schiffe, Fähren und Frachter bremsen und so den Treibstoffverbrauch in die Höhe treiben können. Mit ihrer Studie hat die Gruppe nämlich auch gezeigt, dass Muscheln und Seepocken an der mikro- und nano-rauen Oberfläche der Titanlegierung kaum Chancen haben. Allerdings wäre dieser Werkstoff für einen Schiffrumpf viel zu teuer. „Man könnte aber mit anderen Methoden ähnlich raue Oberflächen auch bei anderen Metallen und ihren Legierungen schaffen“, davon ist Harvard-Forscher Stefan Kolle überzeugt. Solche Materialen sind zwar noch Zukunftsmusik. Die Tür zu solchen Werkstoffen aber haben die von der FAU koordinierten Experimente weit aufgestoßen.

Weitere Informationen

Dr. Alexander B. Tesler
Lehrstuhl für Korrosion und Oberflächentechnik
alexander.tesler@fau.de

Prof. Dr. Wolfgang H. Goldmann
Lehrstuhl für Biophysik
wolfgang.goldmann@fau.de