Knowing Hands: Die Hand als Merkhilfe und Orakel

Die Rechte-Hand-Regel in der Physik wurde im späten 19. Jahrhundert von John Fleming in seinem Buch Magnets and Electric Currents eingeführt.
Ein ähnliches Prinzip: Die Rechte-Hand-Regel in der Physik wurde im späten 19. Jahrhundert von John Fleming in seinem Buch Magnets and Electric Currents eingeführt. (Bild: Public Domain)

Forschungsprojekt an der FAU untersucht besondere Form der Mnemotechnik

Die Hand als Merkhilfe und Orakel: In China existiert seit Jahrhunderten die Tradition, die Hand zu nutzen, um sich Informationen einzuprägen, praktische Probleme zu lösen und Dinge vorherzusagen. Im Rahmen des Projekts „Knowing Hands“ untersucht die Medizinhistorikerin Prof. Dr. Marta Hanson an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nun bisher unerforschtes historisches und ethnografisches Material über diese besondere Technik. Dessen Ziel: diese Praktiken wieder in die Wissensgeschichte einzugliedern.

Es war im Jahr 2000 als Marta Hanson das erste Mal in Kontakt zur jahrhundealten chinesischen Tradition kam, die Hand als Merkhilfe und Orakel zu nutzen. Die US-amerikanische Spezialistin für chinesische Medizingeschichte erwartete eine Freundin aus Taiwan zu Besuch. Auf dem Weg zum Flughafen hatte ihr Auto eine Panne, sodass Marta Hanson diese nicht wie geplant abholen konnte.

Wie durch einen Zufall rief die Freundin Marta Hanson jedoch unmittelbar nach der Landung an, noch bevor sie überhaupt wusste, dass sie nicht abgeholt werden konnte. Doch der Zufall war keiner. „Zu meinem großen Erstaunen erzählte meine Freundin mir, dass sie mit ihrer Hand einige Berechnungen angestellt und daraus abgelesen habe, dass ich ein kleines Problem hatte“, sagt die China-Spezialistin.

Jahrhundertealte Tradition in China

Die Berechnungen, ein für Außenstehende kaum zu verstehender komplizierter Berechnungsmodus mitsamt der Hand, den Fingerlinien und dadurch vorgegebenen Diagrammen, war für Marta Hanson ein Aha-Erlebnis, das sie nicht mehr losgelassen hat. Seitdem erforscht sie, wie man in China Hände zum Memorieren und Weissagen verwendet. „In China und Taiwan werden die Hände historisch belegt seit dem siebten Jahrhundert in ähnlicher Weise in unterschiedlichen Zusammenhängen eingesetzt: Traditionelle Ärzt/-innen stellen mit den Händen Diagnosen, Wahrsager/-innen berechnen Horoskope, und daoistische Priester führen Rituale durch“, erklärt Marta Hanson.

Allerdings wurde diese Technik nicht gängige Praxis. Wie hat sich diese kognitive Nutzung der Hände dort im Laufe der Zeit entwickelt? Wie weit sind diese Praktiken im heutigen Ostasien verbreitet? Das Projekt „Knowing Hands“ untersucht in vergleichender und kulturübergreifender Perspektive bisher unerforschtes historisches und ethnografisches Material über diese handbasierten Praktiken.

Forschende aus aller Welt arbeiten zusammen

Angesiedelt ist es am von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten FAU-Graduiertenkolleg „Alternative Rationalities and Esoteric Practices from a Global Perspective“, kurz: CAS-E. Dieses untersucht esoterische Praktiken und Rituale verschiedener spirituellen Traditionen und ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber eines zunehmend dominant wissenschaftlichen und technischen Diskurses aus einer transkulturellen Perspektive, indem es Forschende aus aller Welt zusammenbringt.

So auch Marta Hanson und die Anthropologin und Sinologin Stéphanie Homola. Beide leiten das Projekt „Knowing Hands“, das von 2025 bis 2028 läuft und gemeinsam mit einem Netzwerk von Spezialist/-innen in Wissensbereichen, in denen Handmnemotechniken in der chinesischen Geschichte verwendet wurde, umgesetzt wird – angefangen von Poesie und Linguistik über Recht, Mathematik und Medizin bis zum esoterischen Buddhismus, zur Wahrsagerei und Kriegskunst.

Mnemotechnik wieder in die Wissensgeschichte eingliedern

„Knowing Hands“ will herausarbeiten, wie sich erklären lässt, dass in so vielen verschiedenen Bereichen eine ähnliche Methode zur Wissensmodellierung verwendet wird, was die Besonderheiten der chinesischen Handmnemotechnik sind und inwiefern das chinesische Modell zum Verständnis einer Form der Mnemotechnik beitragen kann, die sich in anderen kulturellen Kontexten beobachten lässt. Das Projekt ist dabei das erste, das darauf abzielt, zwei unterschiedliche Verwendungen der Hand miteinander zu verbinden: wie Menschen ihre Hände zur Unterstützung kognitiver Prozesse nutzen und gleichzeitig welches Wissen körperlich mit den Händen wortwörtlich erfasst wird, um Dinge zu tun.

Untersucht werden diese Praktiken auf drei Arten: vor Ort, historisch und ethnographisch in China (und mit Blick auf die Verwendung in Japan und Korea), im Vergleich zwischen ostasiatischen und europäischen Traditionen und kulturübergreifend mit Blick auf chinesisch-europäische Berührungspunkte. Am Ende soll ein digitales Archiv dieser Techniken in Ostasien sowie unter anderem eine digitale Ausstellung entstehen. Damit verbunden ist das Ziel, diese besonderen Formen der Mnemotechnik, wie Menschen die Fingerglieder ihrer Handflächen analog einer Excel-Tabelle benutzt haben und weiterhin als solche nutzen, wieder in die Wissensgeschichte einzugliedern.

Das CAS-E im NetzKnowing Hands - Chinese Hand Memory Techniques

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Marta Hanson
FAU Kolleg-Forschungsgruppe CAS-E
mhanson4@jhmi.edu