Antisemitismus: Damit aus Ausrufezeichen Fragezeichen werden
FAU erforscht im Verbundprojekt „Dis_Ident“ Antisemitismusprävention an Schulen
80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg steht die Erinnerungskultur unter Druck. Neben den Lücken im historischen Wissen tun sich vor allem auch mit Blick auf den israelbezogenen Antisemitismus neue Verzerrungen auf. Gerade in der Bildungsarbeit führt das zu großen Herausforderungen. Gemeinsam mit Partner/-innen hat sich der Lehrstuhl Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) deshalb zum Ziel gesetzt, wirkungsvolle politische Bildungs- und Präventionsstrategien gegen israelbezogenen Antisemitismus und islamistische Radikalisierung an Schulen zu entwickeln. Im Verbundprojekt „Desinformation und Identitätskonstruktion in der demokratischen Gesellschaft“, kurz: Dis_Ident, nehmen die Wissenschaftler/-innen dafür die sozialen Medien sowie Lehrpläne- und Bücher in den Blick, genauso wie die Perspektive von Jugendlichen und Lehrkräften.
Wo sich vorher in den Köpfen der Jugendlichen Ausrufezeichen in Bezug auf Haltungen zu und Denkweisen über Israel und das Judentum verfestigt haben, sollen am Ende Fragezeichen stehen. Dieses Ziel verfolgt Professor Dr. Mark Stemmler mit seiner Arbeit im Kontext des Dis_Ident-Projekts. Denn das Team um den Inhaber des FAU-Lehrstuhls Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie beobachtet mit Sorge einen auch an Schulen weit verbreiteten israelbezogenen Antisemitismus.
„Wir sehen gerade über die sozialen Netzwerke geteilte neue antisemitische Narrative, die in die Klassenzimmer und auf die Schulhöfe getragen werden“, sagt Professor Dr. Mark Stemmler, zugleich einer der beiden Sprecher/-innen des Verbundprojekts, das vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) mit insgesamt 9,5 Millionen Euro gefördert wird. Rund 775.000 Euro davon gehen an die FAU. Da tauchen plötzlich Begriff auf, wie „Zionazi“. Da bestimmen plötzlich Erzählungen die sozialen Netzwerke, wonach Jüd/-innen das System der Kryptowährungen kontrollieren würden und Israel gezielt Kinder im Gazastreifen töte, um den Willen der Palästinenser/-innen zu brechen.
Bildungs- und Präventionsstrategien für die Praxis
Die semantische wissenschaftliche Analyse, welche neuen Verschwörungstheorien sich wie verbreiten, ist das eine. Wirkungsvolle politische Bildungs- und Präventionsstrategien gegen israelbezogenen Antisemitismus und islamistisch geprägte Radikalisierung bei Jugendlichen zu entwickeln und in der schulischen sowie außerschulischen Bildungspraxis umzusetzen, ist das andere. Um genau diese auf den Weg zu bringen, arbeiten die FAU-Wissenschaftler/-innen mit der Universität Heidelberg, der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und mit der Universität zu Köln zusammen.
Mit an Bord ist auch der Berliner Bildungsträger „Mind Prevention“ um den israelisch-deutschen Psychologen und Autor Ahmad Mansour, dessen bundesweit etablierte Workshops zu Demokratieförderung und Islamismusprävention im Zentrum des Dis_Ident-Projekts stehen. Mit seinem Team evaluiert Professor Dr. Mark Stemmler mittels Fragebögen (quantitativ) und Interviews (qualitativ) nun in einem Projektteilbereich gemeinsam mit der LMU München, wie diese um den Schwerpunkt Antisemitismus erweiterten Workshops wirken. Zudem führen sie Interviews mit Lehrkräften und Workshopleiter/-innen durch. Basierend darauf sollen dann Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden.
Stärkung demokratischer Persönlichkeitsbildung
In einem Teilprojekt soll schließlich zudem die Wirksamkeit aller Bildungs- und Präventionsmaßnahmen des Verbundprojekts evaluiert werden. „Uns interessiert, was Lehrkräfte selbst überhaupt zu Israel wissen, wie sie didaktisch darauf reagieren, wenn beispielsweise plötzlich im Unterricht ein Palästinensertuch getragen wird und in welcher Form der Umgang mit Antisemitismus in den Lehrplänen und -büchern verankert ist“, so Professor Dr. Mark Stemmler. Bis zum Projektende 2028 sollen all diese Aspekte beleuchtet werden.
Das Ziel: konkrete Empfehlungen für politische Entscheidungsträger zu formulieren und Handlungsansätze für die Bildungspraxis zu entwickeln – angefangen von angepassten sowie ergänzten Curricula und Lehrbüchern bis hin zu Handreichungen für Lehrkräfte. Professor Dr. Mark Stemmler unterstreicht „Wir wollen unseren Beitrag leisten, damit antisemitische sowie antidemokratische Denkmuster bei Jugendlichen aufgelöst und demokratische Werte nachhaltig durch Persönlichkeitsbildung gestärkt werden.“
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Mark Stemmler
Lehrstuhl Psychologische Diagnostik, Methodenlehre und Rechtspsychologie