Wie aus Technologie personalisierte Medizin wird

FAU-Forscher benutzen Künstliche Intelligenz, um neue Therapien für die Behandlung von Parkinson zu entwickeln.
FAU-Forscher benutzen Künstliche Intelligenz, um neue Therapien für die Behandlung von Parkinson zu entwickeln. (Bild: FAU/Kurt Fuchs)

Personalisierte Medizin – dieses Schlagwort ist in aller Munde. Verständlich, möchte doch jeder Mensch individuell beraten und behandelt werden. Doch wird der Begriff bislang nur in Teilen mit Leben gefüllt. Nach wie vor stehen hauptsächlich Standardtherapien zur Verfügung, die den besonderen Bedürfnissen einzelner Patientinnen und Patienten nicht gerecht werden können, weil sie sich nur begrenzt anpassen lassen. Natürlich gibt es Ausnahmen: Personalisierte Therapien kommen heute dort zum Einsatz – zumindest ansatzweise –, wo Standardtherapien nicht helfen, wie in der Krebsbehandlung.

Die Forscherinnen und Forscher um Prof. Dr. Jochen Klucken, stellvertretender Leiter der Molekularen Neurologie am Universitätsklinikum Erlangen, und Prof. Dr. Björn Eskofier, Lehrstuhl für Informatik 14 (Maschinelles Lernen und Datenanalytik) an der FAU, gehen jedoch einige Schritte weiter: Sie setzen Künstliche Intelligenz (KI) ein, um die Therapien bei Bewegungsstörungen wie dem Parkinson-Syndrom individuell anzupassen und damit das Leben der Betroffenen zu verbessern. So haben sie zusammen mit dem Erlanger Start-up Portabiles HealthCare Technologies ein tragbares „Labor“ in Form eines mit Sensoren ausgestatteten Schuhs entwickelt, der bei Parkinson individuell die Gangqualität misst. Dieser als „Mobile GaitLab“ bezeichnete und seit Kurzem als Medizinprodukt zertifizierte Schuh erhebt verschiedene Parameter – etwa die Schrittlänge –, die bei der Gangsicherheit und -fähigkeit eine Rolle spielen. Die gewonnenen Daten werden von einem Computerprogramm visualisiert und versetzen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte in die Lage, den Grad der Krankheit genau einzustufen und selbst kleinste Veränderungen in der Gangqualität auf einen Blick zu erkennen, vor allem aber die Therapie individuell zu gestalten.

Prof. Dr. Bjoern Eskofier (lehrstuhl für Informatik 14 (Maschinelles Lernen und Datenanalytik)
Prof. Dr. Bjoern Eskofier (Lehrstuhl für Informatik 14 (Maschinelles Lernen und Datenanalytik)
Foto: Kurt Fuchs

Von der Idee zur Ausführung

Was nun hat KI mit der Entwicklung eines solchen Medizinprodukts zu tun? Eine ganze Menge! Denn diese wäre ohne lernende Algorithmen nicht möglich. Doch wie gehen Prof. Klucken und Prof. Eskofier dabei vor, eine personalisierte Diagnoseeinheit zu entwickeln – ein Gerät, das wesentliche Symptome einer Krankheit individuell erfasst und dokumentiert? „Der erste Schritt besteht darin, Parameter zu finden, die das Gerät messen soll und die exakt zu den Symptomen, zum Beispiel Bewegungseinschränkungen, passen“, sagt Prof. Klucken. „Im zweiten Schritt ist es notwendig herausfinden, ob Sensoren die Parameter mit höherer Genauigkeit messen als das ärztliche Fachpersonal mit den bisherigen Untersuchungsverfahren.“ Zudem müssen die Parameter Auskunft darüber geben, wie die Therapie bei den betroffenen Personen anschlägt und wie die Erkrankung aller Voraussicht nach weiter verläuft. „Die Frage ist dabei: Messen die Sensoren nicht nur genau, sondern erkennen sie auch Einflüsse der Therapie oder Veränderungen im Krankheitsverlauf? Dafür muss das diagnostische Testverfahren sehr empfindlich selbst auf kleinste Veränderungen reagieren“, erklärt Prof. Eskofier. Hier kommt die KI zum Zug. Sie stellt durch das Auswerten von Datensätzen fest, ob der gewählte Parameter nicht nur Veränderungen bei großen Populationen erkennt, sondern ob dieser Parameter auch für den einzelnen Patienten hilfreich ist.

FAU-Forschende haben zusammen mit dem Erlanger Start-up Portabiles HealthCare Technologies ein tragbares Laborn in Form eines mit Sensoren ausgestatteten Schuhs entwickelt. Das „Mobile GaitLab“ misst individuell die Gangqualität bei Parkinson-Erkrankten.
FAU-Forschende haben zusammen mit dem Erlanger Start-up Portabiles HealthCare Technologies ein tragbares Labor in Form eines mit Sensoren ausgestatteten Schuhs entwickelt. Das „Mobile GaitLab“ misst individuell die Gangqualität bei Parkinson-Erkrankten. (Foto: Portabiles HealthCare Technologies)

Die KI verarbeitet dabei alle vorliegenden Informationen und ordnet sie dem individuellen Patienten zu, etwa ob eine betroffene Person behandelt wurde, eine andere hingegen nicht, und ob – Beispiel Parkinson – die Therapie die Gehfähigkeit der behandelten Patientinnen und Patienten verbessert hat. Durch den Datenvergleich kann sie zudem Auskunft darüber geben, ob zum Beispiel drei Zentimeter in der Veränderung der Schrittlänge tatsächlich etwas darüber aussagen, dass die Therapie nicht ausreicht und angepasst werden muss. Und: Sie ermittelt, ob und wenn ja, welche Veränderungen der Gangqualität Aussagen über den Verlauf der Krankheit machen. Der Algorithmus erkennt Muster und ist lernfähig, das heißt, er bemerkt unter Umständen sogar Parameter, die die Forschenden bislang übersehen hatten.

Koffer mit Equipment
Das „Mobile GaitLab“ erhebt verschiedene Parameter
und visualisiert die gewonnen Daten. (Foto: Portabiles HealthCare Technologies)

„Profiling“ in der Medizin

Zur Personalisierung dieser Technologien werden mit Hilfe von Algorithmen Patientenprofile erstellt, die zum Beispiel Geschlecht, Krankheitsdauer, bisherige Behandlung, Krankheitsprogression und vieles mehr umfassen. Der Algorithmus kann im Anschluss andere erkrankte Personen mit einem ähnlichen Profil zu einer Gruppe zusammenfassen, in der die Forschenden die jeweiligen Symptome und ihre Entwicklungen miteinander vergleichen können. So finden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heraus, ob etwa die Veränderung eines bestimmten Parameters in dieser besonderen Gruppe eine Veränderung im Krankheitsverlauf anzeigt und eine Therapieanpassung nötig ist. Dies können die Forschenden validieren, indem sie das ärztliche Fachpersonal und Betroffene befragen und schauen, ob sie so zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie der Algorithmus.

Prof. Dr. Jochen Klucken, stellvertretender Leiter der Molekularen Neurologie am Universitätsklinikum Erlangen (Foto: Valentin Schilling)
Prof. Dr. Jochen Klucken,
stellvertretender Leiter der
Molekularen Neurologie am
Universitätsklinikum Erlangen (Foto: Valentin Schilling)

Datenlieferant für Therapieentscheidungen

Anhand von früher erfassten Daten einer betroffenen Person kann die KI individuell feststellen, wie sich ihr Zustand über die Zeit verändert hat, wann welche Therapie eingesetzt wurde und welche Therapien zu Verbesserungen des Gesundheitszustands führten, um für einzelne Patientinnen und Patienten zu ermitteln, was ihnen besonders geholfen hat. Außerdem erkennt oder ermittelt die KI rasch Anzeichen, ob der Gesundheitszustand sich weiter verschlechtert und ob dies damit zusammenhängt, dass eine angemessene Behandlung fehlt, oder ob der Krankheitsverlauf nicht zu bremsen ist. „Sie liefert dem Arzt also Daten als Unterstützung für eine Therapieentscheidung, trifft sie jedoch nicht selbst“, sagt Prof. Klucken.

Medizin und IT: gemeinsam stark

Wie Informatiker und Mediziner dabei gemeinsam vorgehen sieht so aus: „Ich stelle die medizinischen Fragen, Björn Eskofier entwickelt die technischen Lösungen, also wie sich die Daten mit einem Algorithmus zur Mustererkennung auswerten lassen“, sagt Prof. Klucken. „Ich überlege mir also, wie die Daten auf individueller Ebene visualisiert werden müssen, damit das behandelnde ärztliche Fachpersonal rasch Rückschlüsse daraus ziehen kann. Ich schaue auch, wie die erkrankte Person mit einem Wearable beziehungsweise den Sensoren zurechtkommt, um zu gewährleisten, dass sie es benutzt.“

 „Vielleicht wird es zukünftig möglich sein, dass Wearables Therapieanpassungen vorschlagen und sich das ärztliche Fachpersonal wieder mehr auf die Kommunikation mit den Patienten konzentrieren kann.“

Jochen Klucken und Björn Eskofier sind überzeugt, dass die KI in der Medizin in den nächsten Jahren verstärkt eine Rolle spielen wird – um große Mengen an Patientendaten auszuwerten, daraus Rückschlüsse zu ziehen und als Folge die Therapie zu personalisieren. „Vielleicht wird es zukünftig möglich sein, dass Wearables, die zum Beispiel auch in der Geriatrie eingesetzt werden könnten, den Patientinnen und Patienten sowie ihren Ärztinnen und Therapeuten Therapieanpassungen vorschlagen und sich das ärztliche Fachpersonal wieder mehr auf die Kommunikation mit den Patienten konzentrieren kann“, sagt Prof. Klucken. Aber bis dahin ist noch ein langer Weg der Forschung und Akzeptanz bei Patienten, Ärzten und Therapeuten sowie in der Gesellschaft notwendig.


alexander – Aktuelles aus der FAU

FAU Magazin alex Titel Ausgabe 114

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Die aktuelle Ausgabe richtet den Focus auf die Künstliche Intelligenz: Klangmuster in der Musik werden mittels KI identifiziert, KI kommt in der personalisierten Medizin zum Einsatz und KI verbessert Prozesse in Unternehmen. Vorgestellt wird auch der neue Bachelor-Studiengang Data Science und ein Start-up, welches mit KI einen Sprachassistenten entwickelt.

FAU-Magazin alexander Nr. 114 (Oktober 2020)

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