Erde in Not

zerknautscher Globus
(Bild: David Hartfiel)

FAU-Paläobiologe Prof. Dr. Wolfgang Kießling im Interview

Herr Kießling, wie wird man eigentlich zu einem der Hauptautoren beim Weltklimarat?

Für diese ehrenamtliche Tätigkeit wird man zunächst nominiert, danach muss man sich bewerben. Mich hat 2016 Hans-Otto Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven gefragt, ob ich nicht mitmachen wolle. Er selbst ist schon sehr lange in maßgeblicher Funktion im IPCC. Dabei war ihm aufgefallen, dass mein Fachgebiet der Paläobiologie und Paläoumwelt im Weltklimarat kaum vertreten war.

Welchen Beitrag kann die Paläontologie, die sich mit der Evolution von Tieren und Pflanzen beschäftigt, zum heute stattfindenden Klimawandel liefern?

Es gab ja in der Vergangenheit bereits Zeiten, in denen sich das Klima durch natürliche Einflüsse erheblich veränderte. Zum Beispiel quollen vor gut 200 Millionen Jahren dort, wo heute der Atlantik ist, in relativ kurzer Zeit gigantische Lavamengen aus der Erde, die schließlich mit elf Millionen Quadratkilometern rund die 2,6-fache Fläche der heutigen Europäischen Union bedeckten. Mit dieser Lava strömten auch riesige Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft. Möglicherweise verstärkten weitere natürliche Prozesse den Treibhauseffekt zusätzlich, und die Temperaturen stiegen damals weltweit um rund vier bis sechs Grad Celsius. Gleichzeitig verschwanden in dieser Zeit rund 70 Prozent aller Arten von der Erde. Mit meinem Team untersuche ich seit vielen Jahren die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Ereignissen. Dieses Wissen kann uns wichtige Hinweise liefern, wie der heutige Klimawandel die Natur bereits beeinflusst und vor allem in Zukunft beeinflussen wird. Genau dieses Wissen sollte auch im IPCC berücksichtigt werden.

Porträt Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Prof. Dr. Wolfgang Kießling sieht das 1,5-Grad-Ziel skeptisch: Er glaubt nicht, dass wir es weltweit schaffen können. (Bild: FAU/David Hartfiel)

Deshalb haben Sie sich dann für den IPCC beworben?

Richtig. Wie alle anderen Bewerber habe ich meinen Lebenslauf eingereicht und meine wissenschaftliche Expertise auch mithilfe einiger wichtiger Publikationen geschildert. Beworben habe ich mich für die Arbeitsgruppe 2 des IPCC, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels sowie den Verletzlichkeiten und den Anpassungen daran beschäftigt. Die Gruppe 1 des IPCC nimmt dagegen die physikalischen und meteorologischen Grundlagen des Klimawandels unter die Lupe, während sich die dritte Gruppe mit den Maßnahmen beschäftigt, die den Klimawandel bremsen und schließlich stoppen können. Das IPCC-Führungsgremium sucht sich dann geeignete Bewerber aus. Dabei achtet es auch darauf, dass die Regionen der Welt und diverse Gruppen angemessen vertreten sind, um die unterschiedlichen Blickwinkel zu berücksichtigen. Diese können sich ja zum Beispiel zwischen europäischen, nord- und südamerikanischen, afrikanischen, ozeanischen und asiatischen Ländern erheblich unterscheiden. Genau das muss eine Unterorganisation der Vereinten Nationen natürlich berücksichtigen.

Wie arbeiten diese IPCC-Gruppen?

Insgesamt engagieren sich im Weltklimarat rund tausend Personen, davon knapp 300 in der Gruppe 2. Der Bericht dieser Arbeitsgruppe 2 ist in 18 Kapitel aufgeteilt. Da ich mich vor allem mit den Weltmeeren beschäftige, bin ich natürlich im Kapitel Ozeane. Zusätzlich koordiniere ich noch eines von sieben übergreifenden Kapiteln, das sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Hotspots der Biodiversität beschäftigt. Und außerdem schreibe ich gemeinsam mit einem Kollegen aus den USA einen übergreifenden Artikel über den Einfluss des natürlichen Klimawandels auf frühere natürliche und kulturelle Gemeinschaften. Das ist eine Zusammenfassung von paläontologischen und archäologischen Erkenntnissen.

Damals und heute

Im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe TERSANE untersuchen Wolfgang Kießling und sein Team klimatische Extremereignisse in der Geschichte unseres Planeten: Wie kam es zu extremen Hitzezeiten? Wie stark waren die assoziierten Umweltveränderungen? Und wie haben sich diese konkret auf Meerestiere und Ökosysteme ausgewirkt? Ziel ist, herauszuarbeiten, unter welchen Bedingungen Massenaussterben durch Klimawandel ausgelöst werden können.

Unterscheidet sich die Arbeit im IPCC von Ihrer Forschung an der FAU?

Es gibt sogar einen ganz fundamentalen Unterschied: In den Naturwissenschaften stellen wir in unseren Veröffentlichungen neue Erkenntnisse und Ergebnisse vor. Im IPCC machen wir dagegen keine Forschung, sondern sammeln für jedes Teilgebiet das gesamte bereits vorhandene Wissen. Das ordnen wir dann nach bestimmten Kriterien und schauen uns dabei zum Beispiel an, ob es sich bei einer Arbeit um eine Meta-Analyse handelt, in der aus mehreren bereits veröffentlichten Studien neue Erkenntnisse gewonnen werden. Das so gesammelte Wissen bewerten wir nach streng wissenschaftlichen Kriterien und fassen es in einem objektiven Bericht zusammen.

Wie umfangreich ist ein solcher Bericht?

Der Bericht der Gruppe 2 erscheint im Februar 2022 und musste daher bis Anfang September 2021 eingereicht werden. Insgesamt sind es rund 2000 Seiten, in denen unvorstellbar viel Arbeit steckt, die wir neben unserer normalen Tätigkeit in Forschung und Lehre geleistet haben.

Jeder der 300 Beteiligten in der Gruppe 2 sollte also im Durchschnitt weniger als sieben Seiten schreiben?

Das klingt zwar überschaubar, sieht in der Praxis aber völlig anders aus. So diskutieren wir untereinander jeden einzelnen Punkt ausführlich, bis wir eine gemeinsame, objektive Formulierung gefunden haben. Dieser Text wird dann noch dreimal extern begutachtet. In der ersten Runde können alle, die ihre wissenschaftliche Befähigung belegen können, ihre Kommentare dazu abgeben. Später kommen dann auch noch Anregungen von der Seite der Regierungen hinzu. 1800 solcher Kommentare kamen allein zum Thema Ozeane, das ja nur eines von 25 Kapiteln in der Gruppe 2 ist. Jeder davon wird bearbeitet und ausführlich diskutiert, kein einziger Kommentar wird ignoriert. Wir handeln ja im Auftrag der Vereinten Nationen und damit für die gesamte Welt.[PK1]

Und wo steht diese Welt jetzt? Können wir das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen?

Dazu müsste die gesamte Erde bis zum Jahr 2050 in der kompletten Netto-Bilanz die Emissionen der Treibhausgase auf null bringen. So steht es im bereits im August 2021 vorgelegten Bericht der IPCC-Gruppe 1. Das betrifft natürlich auch die Länder und Bereiche, in denen derzeit der Ausstoß von Klimagasen noch steigt. Wenn selbst das reiche Europa dieses Ziel erst 2050 erreichen will, zeigt das, wie knapp die Zeit bereits ist. Ich persönlich glaube nicht, dass wir das weltweit schaffen.

Prof. Dr. Wolfgang Kießling
Wolfgang Kießling beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf das Meeresleben – und konstatiert: Viele Fischarten wandern seit Jahrzehnten polwärts, um der steigenden Wassertemperatur zu entgehen. (Bild: FAU/David Hartfiel)

Welche Maßnahmen empfiehlt der Weltklimarat in dieser Situation?

Der IPCC selbst gibt gar keine konkreten Empfehlungen, das ist auch nicht seine Aufgabe. Wir bewerten nur die wissenschaftliche Literatur und machen daraus Aussagen, die in Handlungsanweisungen umgesetzt werden können. Diese Aussagen wiederum sind eindeutig: Der Klimawandel ist längst da, und wir müssen uns an die Auswirkungen anpassen. Die Folgen sind allgegenwärtig. Extremwetterereignisse wie Stürme, Überflutungen, Dürren und Brände haben sich zum Beispiel seit den 1990er-Jahren verdoppelt. Ein Rückgang der Emissionen wird die Anpassung erleichtern, aber die sogenannte „Minderung“ alleine wird die Welt nicht retten.

Welche Auswirkungen gibt es in den Ozeanen?

Der Meeresspiegel wird bis zum Ende dieses Jahrhunderts um bis zu 70 Zentimeter ansteigen. Weil das Klimasystem sehr träge reagiert, lässt sich dieser Anstieg durch Klimaschutzmaßnahmen auch nicht mehr verhindern, sondern allenfalls noch ein wenig abmildern. Wenn wir nichts unternehmen, werden wir an den Küsten daher sehr viel Land verlieren.

Wir sollten also schleunigst die Deiche verstärken und erhöhen?

Solche technischen Maßnahmen sind sehr teuer und stoßen rasch an ihre Grenzen. Viel besser und auch preiswerter sind natürliche Systeme. Zu diesen „Nature based solutions“ gehören in wärmeren Weltgegenden zum Beispiel Korallenriffe und Mangrovenwälder. Beide schützen nicht nur die Küsten vor Erosion und Sturmschäden, sondern sind auch für das Ökosystem der Meere sehr wichtig. In den Korallenriffen lebt zum Beispiel nicht nur eine Gemeinschaft aus Würmern, Schwämmen, Stachelhäutern, Weichtieren und Krebsen. Dort haben auch viele im freien Wasser lebende Fische ihre Kinderstube, in der ihr Nachwuchs relativ gut geschützt ist. Außerdem schlägt man zwei Fliegen mit einer Klappe: Mangrovenwälder schützen nicht nur die Küste, sondern sind auch ein super Kohlenstoffspeicher und bremsen so den Klimawandel.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel schon heute auf das Meeresleben?

Da spielt die Wassertemperatur eine große Rolle. Wird es zu warm, kommen viele Fische rasch in Schwierigkeiten. Wenn es geht, weichen sie dann in kühlere Regionen aus. So wandert der Kabeljau zunehmend aus der Nordsee heraus, aus der Ostsee könnte er vermutlich noch in diesem Jahrhundert völlig verschwinden. Seit den 1960er-Jahren sind nicht nur viele Fischarten, sondern zum Beispiel auch Korallen in jedem Jahrzehnt rund 50 Kilometer polwärts ausgewichen. Dieser Trend sollte sich in Zukunft noch beschleunigen.

Funktioniert dieses Ausweichen überall?

Nein, immer wieder stoßen die Tiere auch an natürliche Grenzen. Im Mittelmeer können sie zum Beispiel zunächst einmal in die etwas kühleren Gewässer weiter im Norden wandern. Spätestens an der französischen Mittelmeerküste aber erreichen sie das Ende dieser Sackgasse. Und aus dieser kommen sie kaum noch heraus, weil auf dem Rückweg nach Süden das Wasser ja wärmer wird. Aber auch in Regionen ohne solche natürlichen Grenzen kann das Ausweichen leicht scheitern. So erreichen Populationen in Meeres-Schutzgebieten irgendwann deren Grenzen. Kommen sie dann in Regionen, die ohnehin bereits überfischt sind, sinken ihre Überlebenschancen rasch. Um solche Entwicklungen zu verhindern, kann man schon vorab Korridore, in denen die Tiere sicher wandern können, zu weiter nördlich liegenden Schutzgebieten einrichten.

Bereiten diese Ausweich-Wanderungen anderen Arten Probleme?

Aus dem Roten Meer sind in den vergangenen Jahrzehnten viele Arten durch den Suezkanal nach Norden in die kühleren Gewässer des Mittelmeers gelangt. Nach dem Erbauer des Suezkanals Ferdinand de Lesseps wird diese Wanderung Lessepssche Migration genannt. An den Küsten Israels und der benachbarten Regionen tauchen diese Arten aus dem Roten Meer dann wieder auf. Dieses Gebiet gilt daher als das am stärksten von einer Invasion fremder Arten betroffene Meeres-Ökosystem der Welt.

Haben die Arten weitere Möglichkeiten, dem Klimawandel auszuweichen?

Sie könnten auch in tiefere Wasserschichten umziehen. Allerdings ist das alles andere als einfach: In größere Wassertiefen dringt erheblich weniger Licht. Dort wachsen daher auch weniger Algen, die mithilfe von Licht aus Kohlendioxid organische Substanzen herstellen und dabei gleichzeitig Sauerstoff produzieren. Daher finden die Auswanderer in der Tiefe weniger Sauerstoff, den sie aber genau wie die Tiere an Land zum Leben brauchen.

Welche weiteren Probleme bereitet der Klimawandel dem Meer?

Bei den Massenaussterbe-Ereignissen der Vergangenheit spielte oft ein tödliches Trio eine entscheidende Rolle. Steigen die Kohlendioxid-Konzentrationen in der Luft, heizt dieses Treibhausgas ja nicht nur die Luft und später auch das Wasser auf, sondern gelangt auch zunehmend ins Wasser. Dadurch wird das Wasser saurer und bringt so mit der Zeit vor allem Organismen in Probleme, die sich mit einer harten Kalkschale vor Feinden schützen. Wird das Wasser saurer, können sie nämlich viel schlechter und irgendwann gar nicht mehr Kalk abscheiden. Neben der Wärme ist also auch diese Versauerung ein Riesenproblem.

Über Wolfgang Kießling

Prof. Dr. Wolfgang Kießling ist Inhaber des Lehrstuhls für Paläoumwelt im GeoZentrum Nordbayern und daneben auch Hauptautor von zwei Kapiteln in der Arbeitsgruppe 2 des Weltklimarats IPCC, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels sowie den Verletzlichkeiten und den Anpassungen daran beschäftigt.

Wer ist der Dritte in diesem tödlichen Trio?

In wärmerem Wasser ist auch viel weniger Sauerstoff gelöst. Gleichzeitig läuft bei steigenden Temperaturen auch der Organismus der Fische und anderer Wasserbewohner auf höheren Touren und benötigt daher mehr Sauerstoff. Das aber kann zum Super-GAU führen: Vor 250 Millionen Jahren nahm auf diese Art der Klimawandel und der dadurch ausgelöste Sauerstoff-Mangel zahlreiche Arten in die Zange, bis am Ende sehr viele von ihnen ausstarben. Vor allem die Kombination aus Sauerstoff-Mangel und steigenden Temperaturen ist also supergefährlich. Darauf sollten wir beim Klimawandel also besonders stark achten.

Gibt es auch an Land für Arten auf der Flucht vor dem Klimawandel ähnliche Grenzen wie im Meer?

An Land gibt es solche Grenzen sogar viel häufiger als im Meer. Für Arten des Waldes bildet etwa eine weite Agrar-Landschaft, in der vielleicht auch noch die Hecken fehlen, rasch eine unüberwindbare Barriere. Auch Siedlungen oder breite und stark frequentierte Verkehrswege können eine solche Grenze bilden, die viele Arten ähnlich wie Wüsten oder Hochgebirge kaum überqueren können. Auch hier würden Wald-Korridore oder auch Heckenreihen zwischen den Feldern und Wiesen wichtige Verbindungen bilden, auf denen zum Beispiel Wildkatzen zum nächsten Wald schleichen könnten. Auch an Land sollten wir uns also möglichst gut an den Klimawandel anpassen.

Über den Autor

Roland Knauer ist promovierter Naturwissenschaftler, er lebt und arbeitet als Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt Naturwissenschaften in der Marktgemeinde Lehnin.


FAU-Forschungsmagazin friedrich

Auf dem Cover des FAU-Magazins sind Spielzeug-Windräder in gelb, rosa, grün und blau zu sehen

Dies ist ein Beitrag aus unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe nimmt Sie mit in die Welt der Nachhaltigkeit: Wie können wir eine Welt gestalten, in der wir alle gut leben können – auf sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ebene?

Ein Print-Exemplar können Sie sich direkt an einer der vielen Auslagen der FAU mitnehmen oder kostenfrei bestellen – einmalig oder als Abo.

Alle Beiträge