Total abgedreht: Was Mikroroboter mit Seife zu tun haben

Struktur Rotelle
Besteht eine Kette aus einem Strang mit unterschiedlich rotierenden Robotern, schließt sich durch Rotation die Kette, Anfang und Ende verhaken ineinander. Diese Struktur nennen die Forscher „Rotelle“. (Abbildung: FAU / Michael Engel)

Rotierende Mikroroboter verhalten sich wie Wasser, Öl und Seife

Um Schmutz von der Haut zu entfernen, braucht man Seife. Die darin vorhandenen Tensidmoleküle drängen sich an die Grenzfläche zwischen Schmutz und Haut und helfen, den Schmutz im Wasser zu lösen. Dieses Phänomen konnten Forscher der FAU und der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) auch mit rotierenden Mikrorobotern beobachten. Links- und rechtsdrehende Mikroroboter trennen sich voneinander und bilden zusammengehörige Gruppen, die sich durch eine klare Grenze voneinander abtrennen – wie bei Wasser und Öl. Verbindet man Mikroroboter zu Ketten, lassen sich unterschiedliche Effekte beobachten: Die Ketten können die Gruppen vermischen und wie Tenside neue Strukturen bilden – wie bei Seife und Seifenblasen.

Miniaturroboter
Die Miniaturroboter aus dem 3D-​Drucker, die auf einem Vibrationsteller in Drehung versetzt werden können; der Winkel der Beinchen bestimmt ihre Drehrichtung. Unten sind zwei unterschiedlich drehende Roboter verkettet. (Grafik: HHU / Christian Scholz)

Die Mikroroboter werden im 3D-Drucker hergestellt, sind ein Zentimeter groß und wiegen ein Gramm. Die Neigung ihrer sieben Beine bestimmt die Rotationsrichtung. Auf einem Vibrationsteller werden die Mikroroboter zur Rotation angeregt und schließen sich in gleichdrehende Gruppen zusammen. Zwischen den Gruppen herrscht dann eine Spannung, die eine Vermischung verhindert. Um herauszufinden, wie man bei dieser Simulation die Grenzlinie zwischen rechts- und linksdrehenden Mikrorobotern auflösen und die Gruppen wieder vermischen kann, haben die Forscher mit unterschiedlich zusammengesetzten Ketten der Mikroroboter experimentiert.

Besteht die Kette aus zwei Strängen unterschiedlich rotierender Roboter, bewegt sich die Kette aktiv entlang der Grenzlinie zwischen den beiden Gruppen.  „Sie surfen also auf der Grenzfläche rasant hin und her und können so ihren Zweck der Grenzflächenspannungsreduktion viel wirksamer erfüllen“, sagt Dr. Christian Scholz, der die Experimente am Institut für Theoretische Physik der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchführte. Indem die Roboter die Spannung an der Grenzlinie reduzieren, vereinfachen sie die Vermischung der Gruppen. Besteht die Kette nur aus einem Strang mit unterschiedlich rotierenden Robotern, führt die Rotation der Ketten dazu, dass sich Anfang und Ende ineinander verhaken und sich die Kette schließt. So entstehen unter bestimmten Bedingungen neue Strukturen, die die Forscher Rotelle nennen. Das Wort Rotelle setzt sich aus rotieren und Mizelle zusammen, heißt auf Latein aber auch Rädchen. „Rotellen sind wie Seifenblasen, eine Form von Mizellen, die sich zusätzlich um sich selbst drehen“, führt HHU-Institutsleiter Prof. Dr. Hartmut Löwen von der HHU aus.

Führt man den Mikroroboterketten Energie zu und bringt sie in Bewegung, haben sie also die gleiche Wirkung wie Tenside. Deshalb zählen die Roboter zu den aktiven Tensiden, deren Aktivität und Wirkung mit Abstellen der Energiezufuhr durch den Vibrationsteller jederzeit beenden kann. Dieses Phänomen zu zeigen, gelang auch mit Hilfe umfangreicher Modellsimulationen, die von Physikern der FAU Erlangen-Nürnberg durchgeführt wurden. „Die Simulationen erlauben es, zum Beispiel die Länge der Ketten oder das Verhältnis der Ketten zu einzelnen Robotern unabhängig voneinander zu variieren, um gezielt nach diesem neuen Zustand zu suchen“, erklärt Prof. Dr. Thorsten Pöschel vom Institut für Multiskalensimulation der FAU in Erlangen.

Diese Wirkung der Mikroroboterketten könnten in Zukunft beispielsweise dabei helfen, ölverseuchte Gewässer zu reinigen, indem die Ketten Öl einschließen, das so leichter abgefischt werden kann. Außerdem könnte die Umweltbelastung durch klassische Tenside reduziert werden. Diese Anwendungsgebiete sind momentan nur hypothetisch. Um Aufgaben im Mikrometerbereich zu lösen, müssen die Forscher ihren Aufbau noch weiter miniaturisieren. Statt ein Zentimeter müssten die Roboter dann zwischen 0,0001 und 0,00001 Zentimeter groß sein. „Mit der Miniaturisierung verändert sich dann allerdings auch die physikalische Wirkung. Solche Unterschiede bei der Strukturbildung auf verschiedenen Skalen zu verstehen und auszunutzen, ist besonders spannend“, erklärt Prof. Michael Engel vom Institut für Multiskalensimulation der FAU.

Originalpublikation in Science Advances

https://advances.sciencemag.org/lookup/doi/10.1126/sciadv.abf8998

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Michael Engel
Lehrstuhl für Multiscale Simulation of Particulate Systems
michael.engel@fau.de

Prof. Dr. Thorsten Pöschel
Lehrstuhl für Multiscale Simulation of Particulate Systems
thorsten.poeschel@fau.de