Eine kleine Geschichte der großen Zahlen

Andrea Breard
Prof. Dr. Dr. Andrea Breard lehrt und forscht am Lehrstuhl für Sinologie mit dem Schwerpunkt Geistes- und Kulturgeschichte Chinas. (Foto: Gudrun-Holde Ortner)

Humboldt-Professorin Prof. Dr. Dr. Andrea Bréard forscht zur Geschichte der Mathematik Chinas

Prof. Dr. Dr. Andrea Bréard ist seit Februar 2021 als Humboldt-Professorin an der FAU. Die Mathematikhistorikerin und Sinologin forscht zur Geschichte der Mathematik Chinas und verbindet sie mit Wirtschaftsgeschichte, politischer Geschichte und Sozialgeschichte. Zahlen haben eine eigene Geschichte – und sie prägen die Geschichte von Menschen und Gesellschaften. Prof. Dr. Dr. Andrea Bréard beschäftigt sich mit der Geschichte der chinesischen Mathematik von der Antike bis heute. Dabei blickt sie weit über die reine Geschichte der Mathematik Chinas hinaus, betrachtet auch die Entwicklung der Geistesgeschichte des Landes und will den kulturellen Austausch zwischen dem asiatischen und dem europäischen Raum anregen.

Auf der Suche nach den Schnittstellen

„Mich interessieren immer die Schnittstellen“, sagt die Forscherin, die zuletzt eine Professur an der Université Paris-Saclay in Frankreich innehatte. „Die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Kulturen, aber vor allem die Schnittstellen zwischen Mathematik und Sprache sind meine große Leidenschaft.“ Damit beschäftigt sich die renommierte Forscherin nun auch im Rahmen ihrer Humboldt-Professur an der FAU.

Der höchstdotierte internationale Forschungspreis in Deutschland ist mit einer Förderung in Höhe von 3,5 Millionen Euro über einen Zeitraum von fünf Jahren verbunden. „Der Preis ist eine immense Anerkennung von außen und eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten, meine Ideen umzusetzen. Und ich kann endlich viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für meine Projekte einstellen“, freut sich die Wissenschaftlerin.

Sie selbst ist eine von drei Frauen und neun Männern, die 2021 mit einer Humboldt-Professur ausgezeichnet wurden. Der Anteil der nominierten Spitzenforscherinnen liegt in diesem Jahr also immerhin bei 25 Prozent – in den letzten zwölf Jahren waren es laut Alexander-von-Humboldt-Stiftung nur rund 15 Prozent.

„In Frankreich sind Frauen in der Wissenschaft viel präsenter als in Deutschland“, sagt die Professorin, die mit einem Franzosen verheiratet war und zwei erwachsene Kinder hat. „Als Mathematikerin hatte ich in Frankreich nie das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.“ In ihrer Jugend in München war das noch anders. „Mathe war für mich eine spannende Detektivarbeit und machte mir viel Spaß. Sprachen fielen mir leicht – und beides zusammen machte mich in meiner Klasse nicht gerade beliebt. Ich galt als Streberin“, erinnert sie sich.

Nach dem Abitur studierte Bréard Mathematik und Informatik an der Technischen Universität München – und parallel Sinologie an der LMU. Eine Kombination, die ihr auch so manchen ungewöhnlichen Job in den Semesterferien einbrachte: „Einmal habe ich einen Computerkurs in Peking für chinesische Mitarbeiter von Siemens gegeben“, erzählt sie lachend. In China machte sie dann auch ihren Master in Wissenschaftsgeschichte und zog später weiter nach Paris, Berlin und Harvard für ihre Promotionen. Es folgten lange Aufenthalte in New York, der Université de Lille, der École Polytechnique, der Universität Heidelberg und schließlich an der Université Paris-Saclay.

Neue Perspektiven in der Naturwissenschaft

Als Humboldt-Professorin an der FAU will Andrea Bréard neue interdisziplinäre Perspektiven in die Geschichte der Naturwissenschaften einbringen und thematisch die Erforschung der Prognostizierung stärken. Gleichzeitig ist sie neue Direktorin des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ und möchte das Kolleg in eine dauerhafte Struktur transformieren. „Ich werde wohl viel im Wald joggen müssen“, scherzt sie. „Beim Laufen kommen mir immer die besten Ideen, deshalb habe ich meine Laufschuhe überall dabei.“

In ihrer aktuellen Arbeit widmet sie sich den Schnittstellen zwischen Sprache und Mathematik. Bréard untersucht gemeinsam mit dem Lehrstuhl für Korpus- und Computerlinguistik der FAU die Sprache chinesischer Mathematiktexte. „Chinesische Mathebücher sind bis ins 20. Jahrhundert hinein in natürlicher Sprache geschrieben“, erklärt die Sinologin und Mathematikerin. „Wenn Sie so ein Buch aufschlagen, können Sie es auf den ersten Blick nicht von einem literarischen Werk unterscheiden. Aber natürlich ist die Sprache steifer.“ Wie formelhaft die Texte sind und wie sie sich historisch entwickelt haben, erforscht das Team und baut dafür zunächst eine umfangreiche Datenbank chinesischer Mathematiktexte auf.

Bréard untersucht in einem weiteren Projekt die Quantifizierung natürlicher und sozialer Phänomen aus globalgeschichtlicher Perspektive. „China hat schon immer viele Zahlen über Land und Gesellschaft gesammelt“, erklärt sie. „Wie werden all diese Daten in Statistiken verarbeitet und eingesetzt? Wie beeinflussen sie Politik?“ Diese Fragen beschäftigen die Mathematikhistorikerin – und das globalgeschichtlich. Ihr Ziel ist es dabei auch, die Gegenüberstellung von Asien und Europa aufzubrechen.


Der aktuelle alexander hat unter anderem folgende Themen: Ausgrenzung und Extremismus überwinden, eine App um Geschichte nacherleben zu können, 5G-Technologie, unsere neue Humboldt-Professorin, Studi-Start-ups und Uni-Start-up-Programme, ein Senkrechtstarter und unseren neuen FAU-Ambassador.

FAU-Magazin alexander Nr. 115 (April 2021)

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