FAU-Forscher untersuchen Risiko­bewertungsmodelle für Versicherungen

Prof. Gatzert
Prof. Dr. Nadine Gatzert (Bild: FAU)

DFG und Schweizerischer Nationalfonds fördern mit rund 350.000 Euro

Wie können Versicherungsunternehmen im Licht eines neuen EU-weiten Versicherungsaufsichtsrechts möglichst passgenau ihr eigenes Risiko ermitteln – abhängig von Versicherungsrisiken und ihrer individuellen Anlagestrategie? Welchen Einschränkungen unterliegen diese Risikomodelle und welche Auswirkungen haben sie auf das Verhalten von Versicherern? Diesen Fragen gehen FAU-Forscher unter der Leitung von Prof. Dr. Nadine Gatzert (33) am Lehrstuhl für Versicherungswirtschaft und Risikomanagement gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität St. Gallen auf den Grund. Die Ergebnisse werden die Grundlage sein für Handlungsempfehlungen an Politik und Versicherungswirtschaft – und möglicherweise Auswirkungen haben auf die Höhe der Eigenkapitalanforderungen, mit denen Versicherungsunternehmen sich im Licht der neuen EU-Gesetzgebung konfrontiert sehen.

Mit Solvency II kommt voraussichtlich im Jahr 2016 ein reformiertes europaweites Versicherungsaufsichtsrecht, das – ähnlich wie im Bankensektor Basel II – von Versicherungsunternehmen verlangt, Eigenkapital in bestimmter Höhe zu hinterlegen, je nachdem wie hoch beispielsweise das Risiko ihrer Anlagepolitik einzustufen ist. Dies soll unter anderem möglichst hohe Sicherheit für Versicherungsnehmer gewährleisten und die Versicherer in die Lage versetzen, langfristig ihren Verpflichtungen gerecht zu werden. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen von Solvency II ein Standardmodell für die Risikobewertung entwickelt, das Versicherungsunternehmen nutzen können. Dieses Modell allerdings krankt zwangsläufig an Unschärfen: Unternehmensindividuelle Modelle bewerten die Risikosituation eines einzelnen Versicherungskonzerns bei weitem genauer und liefern auch eine zuverlässigere Einschätzung der Eigenkapitalanforderungen. Für Versicherer kann es daher attraktiv sein, adäquate interne Modelle als Alternative zum Standardmodell einzusetzen, wobei diese gegebenenfalls auch zu höheren Eigenkapitalanforderungen führen können.

Wie sich die neue Versicherungsregulierung auf die Anlagestrategien der Versicherer auswirkt und wie sich das individuelle Risiko – und das daraus abgeleitete Eigenkapitalsoll – von Versicherungsunternehmen am besten ermitteln lassen, das untersuchen Prof. Dr. Nadine Gatzert, Inhaberin des Lehrstuhls für Versicherungswirtschaft und Risikomanagement, und ihr Team gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität St. Gallen im Rahmen des Projekts „Implicit Constraints, Incentives, and Systemic Risk Imposed by New Insurance Regulation“. Besonderes Augenmerk legen die Forscher dabei auf die klassischen Kapitallebensversicherungen, die zu den wichtigen Versicherungsprodukten in Europa gehören.

Mit Hilfe komplexer mathematischer Berechnungen entwickelt das Forscherteam Risikomodelle, in die verschiedene Faktoren mit eingehen: Es berücksichtigt beispielsweise allgemeine Versicherungsrisiken wie Naturkatastrophen oder die Entwicklung der Sterblichkeit, aber auch die Risiken aus der individuellen Anlagepolitik. Hier gilt es exakt zu kalkulieren, wie sich die einzelnen Anlagemöglichkeiten entwickelt haben und bewerten lassen. Ein Beispiel: Waren europäische Staatsanleihen noch vor wenigen Jahren eine Anlageform, für die ein geringes Risiko zugrunde gelegt wurde, hat sich dies im Licht der Schuldenkrise innerhalb der EU gewandelt. Ein Faktor, der besonders vor dem Hintergrund ins Gewicht fällt, dass Versicherer etwa 80 bis 90 Prozent ihrer Kapitalanlagen in festverzinsliche Wertpapiere investieren und das Kapitalanlagevolumen allein in Deutschland etwa 1,3 Billionen Euro beträgt. Aber auch systemische Effekte werden untersucht, die sich aus einem gleichgerichteten Verhalten vieler Versicherungsunternehmen aufgrund von hohen Eigenkapitalanforderungen ergeben können: Werden beispielsweise in Abhängigkeit von der Kapitalmarktentwicklung bestimmte Anlageklassen abgestoßen, kann dies wiederum zu Kursverlusten und damit zu einem noch höheren Risiko für solche Anlagen führen. Eine Empfehlung für eine adäquate Ausgestaltung solcher Risikomodelle ist daher besonders essentiell – für Versicherungsunternehmen ebenso wie für die Politik und die gesamte Volkswirtschaft.

Das Projekt wird gemeinsam von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und dem Schweizerischen Nationalfonds (SNF) für zwei Jahre mit Personal- und Sachmitteln im Umfang von rund 350.000 Euro gefördert. Neben der Universität St. Gallen sind Prof. Peter Løchte Jørgensen, Ph.D., Aarhus School of Business, Dänemark, und Prof. Joan Schmit, American Family Insurance Chair in Risk Management and Insurance an der University of Wisconsin-Madison, USA, weitere internationale Kooperationspartner.

Weitere Informationen unter: www.vwrm.rw.fau.de

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Nadine Gatzert
Tel.: 0911/5302-884
nadine.gatzert@fau.de