Internationales Datenschutzrecht nur schwer zu realisieren
Die Öffentlichkeit ist schockiert, Ausspähungsprogramme wie das amerikanische „Prism“ oder das britische „Tempora“ sammeln seit Jahren enorme Mengen an persönlichen Daten. Seit Tagen beherrscht das Thema die Medienlandschaft, die Diskussion um die Datensicherheit im Internet ist entfacht. Im Gespräch mit FAU aktuell schätzt Prof. Dr. Bernhard W. Wegener vom Lehrstuhl für Öffentliches Recht an der FAU die Problematik ein.
Herr Prof. Wegener, es heißt, ein großer Anteil der Daten, die Geheimdienste über Prism oder Tempora sammeln, sind sowieso öffentlich. Machen wir also zu viel Wind um nichts?
Bei weitem nicht alle dieser Daten sind „öffentlich“. Daten, die auf einer allgemein zugänglichen Homepage oder auf Facebook in einem öffentlichen Profil stehen, sind natürlich öffentlich. Aber nehmen Sie zum Beispiel Daten, die ich jemandem übermittle: diese Daten sind sicher nicht öffentlich. Telefonate, Mails, Abrechnungen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.
Und selbst bei öffentlich zugänglichen Daten stellt sich noch die Frage, wie genau und intensiv darf der Staat uns beobachten? Denn auch wenn wir auf der Straße unterwegs sind, darf uns der Staat nicht ohne weiteres beobachten und unser Verhalten aufzeichnen. Die Frage hier ist: Inwieweit darf uns der Staat im öffentlichen Leben beobachten?
Können wir über die Enthüllungen der Spähprogramme im Internet tatsächlich überrascht sein?
Ich denke nicht, dass wir von den Ausspähungen im Internet vollständig überrascht sind. Ähnliche Skandale gab es ja bereits, beispielsweise im Jahr 2000 um das Spionagenetz „Echelon“, das von den Nachrichtendiensten der USA, Großbritanniens, Australiens, Neuseelands und Kanada betrieben wird – und das nicht ganz unähnlich zu „Prism“ ist. Aber das Ausmaß der Überwachungen, das ist sicher doch für die meisten überraschend. Es hat aber dazu geführt, dass die Diskussion um Datensicherheit im Internet eine ganz neue Qualität erreicht hat.
Besteht die Möglichkeit, dass der Bundesnachrichtendienst von „Tempora“ wusste, aber still gehalten hat, um selbst an Daten zu kommen?
Der Bundesnachrichtendienst wusste wohl zumindest von amerikanischen „Prism“ bzw. von ähnlichen Programmen. Er hat ja zugegeben, mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten. Die Daten, die dazu geführt haben, dass die Sauerlandtäter gefasst wurden, bevor es zum Attentat kam, sollen beispielsweise von den Amerikanern stammen. Ich nehme auch an, dass der BND eine ungefähre Vorstellung hatte, von dem was die Briten tun.
Durch mit Prism gesammelte Daten, ist es gelungen, Terroranschläge zu verhindern: Heiligt in diesen Fällen der Zweck die Mittel?
Der Zweck heiligt nie alle Mittel. Darum stellt sich auch hier die Frage: Welche Mittel halten wir zu welchen Zwecken für akzeptabel? Es ist gut, dass die Öffentlichkeit sowie die Politik jetzt darüber diskutieren. In den USA und ähnlich auch in Großbritannien ist die Terrorabwehr inzwischen scheinbar ein Totschlagargument. Dort hat sich die Perspektive verschoben: Für ihre Aufgaben hat man den US-Nachrichtendiensten unter Hinweis auf die Terrorgefahr beträchtliche Mittel und Zugriffsrechte eingeräumt. Natürlich hat Terrorismus eine große gesellschaftliche und publizistische Wirkung. Darauf sehen es die Terroristen ja auch ab. Dennoch muss auch hier die Frage erlaubt sein: Ist die Zahl der Opfer durch Terroranschläge nicht relativ gering, etwa verglichen mit der jährlichen Zahl an Opfern durch Schusswaffen in den USA?
In Deutschland ist die Perspektive derzeit sicher noch anders – was aber auch daran liegen mag, dass wir von Terroranschlägen bisher weitgehend verschont geblieben sind. Dennoch ist jetzt international die Diskussion wichtig: Wie viel Privatsphäre wollen und brauchen wir? Welchen Preis sind wir für Terrorabwehr und Kriminalitätsbekämpfung bereit zu zahlen? Wichtig erscheint mir aber auch die Frage danach, wie intransparent die staatliche Überwachung erfolgen darf. Was dies angeht hat der Whistleblower Edward Snowden der Weltöffentlichkeit Grundlagen für diese zentral wichtige Diskussion geliefert.
Ist die Ausspähung durch das britische Programm Tempora eine Straftat? Zugespitzt: Könnte die BRD England verklagen?
Diese Frage lässt sich nicht recht sinnvoll beantworten, da es kaum ein Gesetz gibt, nachdem man England wegen der Ausspähung verklagen könnte. Denken könnte man allenfalls an einen Verstoß gegen Vorschriften des britischen Rechts oder an das EU-Grundrecht auf den Schutz personenbezogener Daten. Wichtiger erscheint mir aber das folgende: Wenn man gegen die Überwachungen von persönlichen Daten auf internationaler Ebene vorgehen will, müssen die Staaten auf eben dieser internationalen Ebene ein Datenschutzrecht etablieren. Das Gleiche gilt für Europa: Auch hier müssten EU-Datenschutzrichtlinien eingerichtet beziehungsweise weiter ausgebaut werden, um solche Spähangriffe in den Griff zu bekommen.
Die Verhandlung über ein solches Datenschutzrecht wird sich aber natürlich schwierig gestalten, da dort auch rechtskulturelle Fragen zum Tragen kommen. Es gibt Staaten und Gesellschaften, die reagieren sehr sensibel auf Fragen des Datenschutzes, wie zum Beispiel Deutschland. Andere sind da sicher weit weniger sensibel. Großbritannien ist dafür ein Beispiel. Und dann gibt es Staaten, die haben ihre ehemaligen Bedenken gegenüber staatlicher Überwachung über Bord geworfen: die USA. Im Zuge von 09/11 hat Amerika den Schutz persönlicher Daten stark relativiert. Ob man das rückgängig machen kann, ist fraglich. Ich sehe nicht, dass ein wirksames internationales Datenschutzrecht in absehbarer Zeit zustande kommt. Auch wenn es wünschenswert wäre.
Weitere Informationen:
Prof. Dr. Bernhard W. Wegener
Tel.: 09131/85-29285 (Sekretariat)
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