Fußballnachwuchs für Deutschland: „Qualität auch in der Breite fördern“

Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann (Bild: Wolfgang Zink)
Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann (Bild: Wolfgang Zink)

Mit dem überraschenden Rücktritt Philipp Lahms als Kapitän der Fußball-Nationalmannschaft wird deutlich, dass künftig gute Nachwuchsarbeit ganz entscheidend sein wird, wenn Deutschland auch weiterhin international an der Spitze mitspielen will. FAU-Sportwissenschaftler Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann, Inhaber der Professur für Sportbiologie und Bewegungsmedizin an der FAU, erläutert, wie derzeit Talente im deutschen Fußball gefördert werden.

Herr Prof. Lochmann, Deutschland ist Fußball-Weltmeister. Unsere Mannschaft hat gezeigt, dass jeder einzelne Spieler absolute Top-Leistung bringt. Das Glück einer „goldenen Generation“ oder strategische Planung?

Lochmann: Beides. Natürlich gehört immer ein bisschen Glück dazu, in einem solchen Turnier tatsächlich den Titel zu holen. Und selbstverständlich geht es nicht ohne Talente wie Neuer oder Götze. Aber solche Talente ausfindig zu machen und gezielt zu fördern, das ist der eigentliche Verdienst. Und hier haben wir in Deutschland international eine Spitzenposition erreicht.

Wie kommt das?

Die Anfänge gehen zurück ins Jahr 1998, als wir bei der WM in Frankreich so kläglich gegen Kroatien ausgeschieden waren. Damals war klar: Wir brauchen ein gezieltes Talentförderkonzept. Das wurde dann ab dem Jahr 2000 Schritt für Schritt auf den Weg gebracht, zunächst indem der DFB 366 sogenannte Förderstützpunkte über Deutschland hinweg etabliert hat, um die Talente auf Bezirksebene speziell zu fördern. Diese Talente wurden und werden in einem Sondertraining durch gut ausgebildete Trainer aufgebaut.

Ich hatte damals die Möglichkeit, als Trainer in dem Projekt mitzuarbeiten. Im Jahr 2002 kam dann der Aufbau von Nachwuchsleistungszentren, zu dem jeder Erst- und Zweitligist verpflichtet wurde. Die Etablierung dieser Zentren war ein entscheidender Schritt für die Systematik in der Talentförderung.

Und wie lässt sich sicherstellen, dass die Nachwuchsleistungszentren tatsächlich auf dem gleichen Niveau ausbilden?

Das lässt sich nur über ein sehr gutes Qualitätsmanagement sicherstellen. Dafür hat der DFB gemeinsam mit der DFL und der Firma Doublepass aus Belgien rund 600 Kriterien in acht Qualitätsdimensionen definiert, über die sich die Qualität eines Nachwuchsleistungszentrums ermitteln und gegebenenfalls justieren lässt. Das sind Dimensionen wie Strategie mit Fragen wie: Welche Vision und Mission verfolgt ein Verein? Wie sieht die Budgetierung aus? Aber auch die Organisation ist eine Dimension, die man berücksichtigen muss: Mit welchem Personal setzt man die Strategie um?

Der wichtigste Pfeiler aber ist die Fußballausbildung. Die ist für ca. die Hälfte der 5.000 Punkte gut, die ein Nachwuchsleistungszentrum insgesamt erreichen kann. Wie werden Kinder und Jugendliche ausgebildet in Bereichen wie Athletik, Taktik, Technik und Psychologie? Gib es einen systematischen altersgerechten Ausbildungsplan, der von Jahr zu Jahr leistungssteigernd wirkt? Wie sieht die Infrastruktur aus, wie viele Rasenplätze, wie viele Flutlichtanlagen hat der Verein, gibt es einen Technikparcours etc.?

Eine große Rolle spielen schließlich auch die Konzepte zur sportmedizinischen, sportpädagogischen und sportpsychologischen Unterstützung – oder die Verknüpfung zu Schulen und Ausbildungsinstituten: Vereine haben insbesondere auch für die jungen Spieler Verantwortung, die es als Profi nicht schaffen. Und das sind die meisten.

Sie betreuen ja mit ihren Sportwissenschaftlern zum Beispiel die Spielvereinigung Greuther Fürth, aber auch den 1. FC Nürnberg und den FC Augsburg. Wie schneiden die denn bei dieser Qualitätsbewertung ab?

Wir mit dem Institut für Sportwissenschaft und Sport (ISS) der FAU haben indirekt einen Beitrag dazu geleistet, dass das Nachwuchsleistungszentrum der Spielvereinigung Greuther Fürth und des Clubs Exzellenzlevel erreicht hat, also drei Sterne. Augsburg hatte vor unserer Zusammenarbeit gar keine Prämierung und ist nun auf zwei Sterne hochgeklettert.

Im Kern unseres Vorgehens steht die wissenschaftlich fundierte Optimierung möglichst vieler leistungsbestimmender Faktoren. Hierbei bringen wir die sportmedizinische, die trainingswissenschaftliche, die sportpädagogische und die sportpsychologische Kompetenz des ISS im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsprojekten ein. Bei unserem Vorgehen steht die Stärkung der im Verein vorhandenen Ressourcen im Zentrum des Geschehens. Neben der Durchführung von spezifischen Workshops mit den Trainern und der Leitung der Nachwuchsleistungsakademien werden Dienstleistungen mehrerer Ausgründungen der FAU im Bereich der sportmedizinischen und sportpsychologischen Begleitung von den Vereinen in Anspruch genommen.

Was ist der nächste Schritt in der Qualitätsoffensive des DFB?

Bislang wurde die Qualitätsoffensive vor allem an der Spitze betrieben, also von den Erst- und Zweitligisten. Nun gilt es, stärker die dritte Liga zu fokussieren, die Qualität mehr und mehr auch in der Breite zu fördern. Wir steuern auf die geburtenschwachen Jahrgänge zu; das wird uns vor gravierende Herausforderungen stellen. Dabei wird es vor allem darauf ankommen, den Drop-out im Bereich ab der D-Jugend aufwärts zu stoppen. Wir haben einen Boom beim Nachwuchs in der E- und F-Jugend, aber dann ist irgendwann Schluss und die Leute springen ab.

Worauf führen Sie das zurück?

Einer der Hauptgründe ist aus meiner Sicht, dass der Übergang vom Kinderfußball zum Erwachsenenfußball noch immer nicht kind- und jugendgemäß ausgestaltet ist. Spielfelder und Tore sind viel zu groß. Die Kinder stehen in einem Tor, in dem sie bestimmte Ecken einfach nicht erreichen können, egal wie gut sie sind. Manuel Neuer kann in seinem Tor jeden Punkt erreichen, viele Kinder können das nicht. Und wenn der Ball in so einer Ecke einschlägt, ist es eben ein Tor. Das frustriert ungemein.

Betrachtet man das Verhältnis von Körpergröße zu Spielfeldgröße ergibt sich ein ähnliches Bild für die Feldspieler. Ebenso verhält es sich mit der Spieleranzahl. Wo heute sieben gegen sieben gespielt wird, sollte lieber drei gegen drei auf mehreren Spielfeldern gespielt werden. Erstens werden dadurch die Spieler mehr gefördert und gefordert und zweitens wird somit mehr Kindern eine höhere Einsatzzeit eingeräumt.

Weiterhin sollte bei den 7er und 9er Mannschaften mit drei Dritteln anstatt mit zwei Halbzeiten gespielt werden. Dies sollte mit der Vorgabe kombiniert werden, dass in jedem Drittel nur noch 60 Prozent der Spieler auf dem Platz stehen dürfen, die bereits im vorangegangenen Drittel gespielt haben. Mit dieser einfachen Anpassung würde sichergestellt, dass alle Kinder eines Teams Mindesteinsatzzeiten von einem Drittel der Spielzeit erhalten würden. All diese Maßnahmen erfordern eine kind- und jugendgemäße Anpassung der Spielordnung. Meines Erachtens die wichtigste Maßnahme überhaupt.

Welchen Beitrag können denn einzelne Regionen innerhalb Deutschlands leisten?

Natürlich geht es in erster Linie darum, die Qualitätsoffensive deutschlandweit umzusetzen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Metropolregion Nürnberg sehr gut aufgestellt ist und in höchstem Maße beitragsfähig das Niveau des Fußballs national und international systematisch weiter auszubauen. Hier arbeiten Einrichtungen wie das Fraunhofer IIS mit den verschiedensten innovativen Technologien im Sport – vom Sensor im Ball bis hin zu Sensoren in der Kleidung – und Sportartikelhersteller wie Adidas, die sich das Thema Fußball ganz besonders auf die Flagge geschrieben haben, gemeinsam mit der FAU. Dies betrifft insbesondere die Bereiche Sportmedizin, Trainingswissenschaft, Sportinformatik und Kunststofftechnik. Das Ganze ist räumlich verdichtet in einem Umkreis von ca. 15 Kilometern. Wir arbeiten an Methoden, die Leistung immer weiter zu verbessern und gleichzeitig die Gesundheit der Spieler zu erhalten bzw. zurückzuerlangen. Hierbei kommt dann modernste Medizintechnik von Siemens zu Einsatz, einem weiteren Global Player der Region.

Wenn künftig die Trainerausbildung des DFB von der Sportschule Hennef in die neue DFB-Akademie nach Frankfurt umzieht, geht damit auch die Implementierung neuer Technologien und Trainingsmethoden einher. Ich sehe es daher als sehr wichtig an, dass die Metropolregion Nürnberg ihre fußballspezifischen Kräfte weiter konzentriert und damit ihre Beitragsfähigkeit für die Weiterentwicklung des Fußballs in einem Fußballinnovationszentrum bündelt. Für den Aufbau eines solchen Zentrums in der Europäischen Metropolregion setze ich mich seit einiger Zeit sehr stark ein. Mit dem Gewinn der WM durch die Deutsche Nationalmannschaft natürlich mit verstärkter Motivation.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Dr. Matthias Lochmann
Tel.: 09131/85-25201
matthias.lochmann@sport.uni-erlangen.de