Fortsetzung folgt… oder?

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Serien wie der deutsche "Tatort" durchbrechen das auf Unendlichkeit angelegte Konzept der Helden, die immer neue Abenteuer erleben. (Bild: BR/Hager Moss Film GmbH/Felix Cramer)

Über endloses Serienvergnügen

Serien, unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2018. Dies sind die Abenteuer der Friedrich-Alexander-Universität, deren Forscherinnen und Forscher seit 275 Jahren unterwegs sind, um neues Wissen zu schaffen. Auch bei Fernsehserien dringt die FAU in Bereiche vor, die kaum ein Mensch zuvor erörtert hat: Sie stellt sich die Frage, ob Serien prädestiniert dafür sind, Unendlichkeit zu schaffen.

von Andreas Kunkel

Fernsehserien haben einen außergewöhnlichen Stellenwert in unserer Kulturgeschichte. Mehr noch: Aufgrund ihrer Erzählstruktur sind sie sogar ein Stück weit unverzichtbar geworden. Denn Serien waren und sind wie ein „Lagerfeuer“, um das sich die Rezipienten regelmäßig versammeln. Und: Sie haben dabei nicht nur eine erstaunliche Entwicklung genommen. Sie erzählen auch Geschichten, als gäbe es kein Ende. „Dabei übt die Serie gewissermaßen, wie Geschichten enden oder wie ein Ende noch nicht das Ende bedeuten muss“, erklärt Amerikanistin PD Dr. Karin Höpker: „Das Faszinierende ist, dass Fernsehserien eigentlich drei Enden haben: das Ende der Episode, das Ende der Staffel und das Ende der Serie selbst.“ So komme es bei Serienfolgen immer wieder zu einem „Ende zwischendurch“, ein bündiges Ende wie beim Spielfilm aber fehle. Mehr noch: Während beim Spielfilm das Ende in der Regel schon vor der eigentlichen Produktion bekannt ist, ist das Ende bei Serien meist offen: „Serien haben aus taktischen Gründen eine modulare Struktur“, sagt Höpker. „Am Ende einer Episode und vor allem am Ende einer Staffel werden Cliffhanger platziert beziehungsweise wird das Publikum über längere, das vorläufige Ende überbrückende Erzählbögen bei der Stange gehalten.“

Doch diese Entwicklung ist kulturgeschichtlich relativ neu: „Im Gegensatz zu heute war das Erzählen in abgeschlossenen Episoden früher der Klassiker“, erklärt Dr. Sven Grampp vom Lehrstuhl für Medienwissenschaft an der FAU. Gerade in Deutschland ziehe sich diese durch eine Dialektik der Wiederholung und Varianz gekennzeichnete Serienerzählung wie ein roter Faden durch die Fernsehlandschaft. Auch wenn dieser Faden immer dünner werde, die Handschrift von Krimis wie „Der Alte“ und „Ein Fall für zwei“ bis zu den „Rosenheim-Cops“ oder dem „Bergdoktor“ sei ebenso eindeutig wie bei „Kojak“ oder „Columbo“: Am Ende der Folge ist der Fall oder das Abenteuer vorbei. Die nächste Folge kann man sehen – muss es aber nicht, um die übernächste zu verstehen. Aber bereits Serien wie der deutsche „Tatort“ durchbrechen dieses vertraute und auf Unendlichkeit angelegte, sich stets wiederholende Konzept von altbekannten Helden, die Episode für Episode immer wieder neue Abenteuer erleben. Beim „Tatort“ etwa sind wir bei der Entwicklung der Teams dabei, lernen die Protagonisten und ihr sich fortentwickelndes Leben besser kennen und begleiten die Personen damit ein Stück weit durch ihr Serienleben.

Serien sind nur erfolgreich, wenn sie genügend Zuschauer und Fans erreichen. Denn insbesondere Letztere tragen dazu bei, manchen Serien den Nimbus wahrer Unendlichkeit zu verleihen.

Wir haben es also zu tun mit einer Entwicklung der Serie weg von in sich geschlossenen Episoden, die theoretisch unendlich variiert werden können, hin zu einem Erzählstrang, der sich über das Ende der einzelnen Folgen hinweg fortsetzt. Auch bei (Fast-) Endlosserien und Soaps wie beispielsweise der „Springfield Story“ (15.762 Folgen über 72 Jahre, abgesetzt 2009), „General Hospital“ (rund 14.000 Folgen, läuft noch) oder bei deutschen Serien wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (6400 Folgen, läuft noch) oder „Lindenstraße“ (rund 1700 Folgen, läuft noch) werde diese Tendenz offensichtlich.

Kulturgeschichtliche Relevanz

Serienerzählungen finden wir schon bei den Darbietungen reisender Geschichtenerzähler, die Inhalte nur mündlich weitergegeben haben und damit gezwungen waren, ihren Darstellungen ein Ende zu geben, um ihren Auftritt abzuschließen. Die theoretische Unendlichkeit bestand also im Wiederkommen des Erzählers. Die Geschichten an sich fanden jeweils ihr Ende. Eine erste Zäsur dieses Erzählens macht Grampp an der Industrialisierung im 19. Jahrhundert fest, weil Autoren wie beispielsweise Theodor Fontane ihre Geschichten der Erscheinungsform von Zeitungen angepasst haben. „Eine in Episoden erzählte Fernsehserie ist eigentlich nur die Weiterentwicklung dieses Genres“, sagt Grampp. Das gelte spätestens mit einer weiteren Zäsur in Deutschland, die Grampp an der Produktion der „Schwarzwaldklinik“ in den 1980er-Jahren festmacht und die beispielsweise bei der „Lindenstraße“ bis heute ihre logische Fortsetzung findet: „Erstmals sehen wir hier einen Trend, der eindeutig auf die Weiterentwicklung der Protagonisten angelegt ist.“ Diese Form der Erzählung aber ermöglicht nun erstmals das „kleine Ende“ am Schluss jeder Folge und den Aufbau eines Spannungsbogens mit offenem Ende in Bezug auf die Serie an sich. Erstmals paaren sich hier also das Ende einerseits und die theoretisch mögliche unendliche Weiterentwicklung einer übergreifenden Erzählung andererseits.

Diese Entwicklung und die Möglichkeit, durch DVDs und Streaming-Dienste zeitunabhängig auf Medieninhalte zuzugreifen, erlauben es den Autoren und Produzenten, Geschichten vielfältiger zu erzählen. „Die Ausdifferenzierung hat mittlerweile ein Maß angenommen, das es kaum noch möglich macht zu sagen, dass Massenmedien tatsächlich für die Masse produzieren. Sie produzieren vielmehr unterschiedlichstes Material für verschiedene Bereiche und Zielgruppen“, ist sich Grampp sicher. Deshalb komme es am Ende von Staffeln oder der ganzen Serie auch zu den unterschiedlichsten Formen des Beendens: Zu Klassikern wie dem Happy End oder dem Tod, dem Protagonisten, der das Licht ausmacht („Cheers“) bis zum vom Theater bekannten „Vor-den-Vorhang-Treten“ („The Nanny“), einem Rückblick auf die besten Momente („Scrubs“) bis zur direkten Adressierung der Fernsehzuschauer mit Verabschiedung („Schwarzwaldklinik“) kommen nun eher anspruchsvolle Enden hinzu. Grampp zählt dazu beispielsweise das Mafia-Epos „The Sopranos“, bei dem der Protagonist mit seiner Familie im Restaurant isst und auf seine Tochter wartet, die noch einen Parkplatz sucht. Ein mysteriöser Fremder betritt den Raum und ist in der Toilette verschwunden, der Mafiaboss blickt nach oben, als seine Tochter das Restaurant betritt – und der Bildschirm wird schwarz. Grampp nennt auch „Breaking Bad“. Diese Erzählung sei ein Beispiel für eine Serie, die mit ihrem eigenen Abbruch spiele, weil das zwangsläufige Ende, nämlich der Tod des krebskranken Lehrers und Drogenkochs Walter White, immer wieder aufgeschoben werde. In eine ähnliche Kategorie passe auch die Netflix-Serie „Tote Mädchen lügen nicht“, bei der die Entwicklung hin zum Suizid einer Schülerin in jeder Folge aus einer anderen Warte erzählt wird.

Über das Ende hinaus

Doch so unterschiedlich das „Spiel mit dem Ende“ oder das Ende einer Serie an sich sein mögen: Serien sind nur erfolgreich, wenn sie genügend Zuschauer und Fans erreichen. Denn insbesondere Letztere tragen dazu bei, manchen Serien wie etwa „Star Trek“ oder „Game of Thrones“ den Nimbus wahrer Unendlichkeit zu verleihen. „Wenn eine Serie wie ‚Mad Men‘ endet, dann ist das fast so, als sei ein Haustier gestorben“, formuliert Karin Höpker. „Immerhin hat die Serie fast sieben Jahre lang die Zuschauer begleitet.“ Dieses „Toter-Hund-Phänomen“ aber zeigt nicht nur die starke Bindung an die Serie. Es demonstriert auch, dass eine Serie vielleicht erst dann wirklich zu Ende ist, wenn auch die Fans losgelassen haben. Da aber die Fankultur bei manchen längst abgeschlossenen Serien ganz offensichtlich immer noch „weiterlebt“, ist es vielleicht sogar möglich, dass einige gute Serien (fast) nie wirklich enden.

 


Der friedrich – das Forschungsmagazin der FAU

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Dieser Artikel erschien zuerst in unserem Forschungsmagazin friedrich. Die aktuelle Ausgabe beschäftigt sich mit dem Thema Ende in all seinen Formen: Welche davon sind unausweichlich? Wie setzen sich Menschen damit auseinander? Und was bedeuten sie für den einzelnen? Und ist das, was Menschen als Ende definieren wirklich der Schlusspunkt? Manchmal verändern sich Dinge nur, entwickeln sich weiter, es entsteht etwas Neues. Mitunter ist das Ende aber auch gar kein Thema: Der Mensch strebt nach Unendlichkeit. Können wir diesen Begriff überhaupt verstehen? Ist Innovation unendlich? Und leben wir unendlich weiter – im Internet?

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