Mehrsprachiges Klassenzimmer

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Interview mit den Lehramts-Studentinnen Bianka Werth und Sarah Forster

Lehrkräfte können in Klassen unterrichten, in denen viele Schulkinder mehrsprachig aufgewachsen sind. Ein Gespräch über Lehrkraftausbildung und eigene Erfahrungen mit Mehrsprachigkeit.

Petra Ackerlauer, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Grundschulpädagogik und -didaktik mit dem Schwerpunkt Heterogenität, und die Lehramts-Studentinnen Bianka Werth und Sarah Forster berichten über Mehrsprachigkeit an Schulen und erläutern, wie angehende Lehrkräfte damit umgehen können, damit die Kinder davon profitieren.

Frau Werth, Frau Forster: Hatten Sie schon vor dem Seminar Berührungspunkte mit Mehrsprachigkeit in der Schule?

Werth: Ich bin mit Deutsch und Rumänisch aufgewachsen. In der Schule war mir meine Mehrsprachigkeit oft unangenehm. Das ging so weit, dass ich mich geschämt habe und Rumänisch nicht mehr benutzen wollte, weil ich mich ausgegrenzt gefühlt habe. Heute bin ich froh, dass ich beide Sprachen habe.

Forster: Bei mir war es anders. In meiner Schule gab es bis zur fünften Klasse keine mehrsprachigen Kinder, entsprechend wenige Berührungspunkte hatte ich. Da ich ein mehrsprachiges Umfeld in der Schule nicht selbst erlebt habe, aber jetzt in Praktika stark damit konfrontiert bin, stellt sich mir oft die Frage, wie ich am besten mit Mehrsprachigkeit umgehen soll. Ohne eigene Vorerfahrung ist das etwas schwieriger.

Die EU hat es sich zum Ziel gesetzt, Mehrsprachigkeit schon in der Grundschule zu fördern. Wie schätzen Sie das ein?

Petra Ackerlauer
Petra Ackerlauer
Foto: FAU

Forster: Ich finde es schwierig, Lernziele zu generalisieren. Ein generelles Problem beim Sprachenlernen in der Schule ist, dass nur bestimmte Sprachen „lernenswert“ sind. Aber die Klassiker Englisch, Französisch und Spanisch sind selten die Sprachen, die von mehrsprachigen Kindern mitgebracht werden. Also nur möglichst viele „erwünschte“ Sprachen in der Schule zu unterrichten, macht in meinen Augen nur bedingt Sinn.

Ackerlauer: Hier steckt viel Sprachpolitik drinnen. Bedenken müssen wir auch den Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung. Geht es vor allem um die Vorbereitung für die Berufe der Zukunft oder die Gesamtbildung des Menschen? Bevor wir uns Gedanken darüber machen, wie viele Sprachen im Grundschulalter erlernt werden sollen, sollten wir uns damit beschäftigen, dass wir allen den Zugang zu einer guten Sprachbildung ermöglichen.

Denken wir uns in eine Klassenzimmersituation hinein, in der manche Kinder mehrsprachig sind, andere nicht. Wie kann es der Lehrkraft gelingen, alle Kinder gleich gut im Unterricht abzuholen?

Werth: Ich finde es wichtig, Kinder im Unterricht individuell zu betrachten und sich auf die Fortschritte zu konzentrieren, denn egal, wie sehr man es versucht, es werden nie alle Kinder am Ende der Schulzeit das gleiche Sprachniveau haben. Aus meinem Praktikum weiß ich, dass manche Kinder eher als Last angesehen werden, weil bestimmte Dinge öfter oder anders erklärt werden müssen. Ob eine Lehrkraft Mehrsprachigkeit als gewinnbringend oder als Last ansieht, macht auch einen großen Unterschied.

Werden Sie in Ihrer pädagogischen Ausbildung auf das mehrsprachige Klassenzimmer vorbereitet?

Werth: Ich würde sagen, theoretisch weiß ich viel, aber sollte ich eines Tages zum Beispiel in eine „Brennpunktschule“ kommen, fühle ich mich praktisch nur bedingt vorbereitet. Geholfen hat, dass ich in meinem Praktikum auch in einer schwierigen Klasse war. Es hat mir viel gebracht, die Praxis zu erleben, nicht nur theoretisches Wissen zu horten.

Sarah Forster
Sarah Forster
Foto: Privat

Forster: Heterogenität im Allgemeinen ist eines der größten Themen in unserer Ausbildung. Die Überleitung zwischen Theorie und Praxis ist teils aber schwierig. Man weiß, dass man eines Tages mit Kindern, die unterschiedliche Sprachen sprechen und die Welt aufgrund dessen unterschiedlich verstehen, konfrontiert sein kann. Aber die Anleitung, was zu tun ist, wenn man vor einem mehrsprachigen Schüler steht und nicht helfen kann, fehlt häufig.

Unterhalten wir uns noch über die Verschränkungen von Sprache und Kultur: Eine kontroverse Aussage wäre es, zu behaupten, dass sich eines vom anderen trennen lässt.

Forster: Es ist so, dass Sprache und Kultur praktisch untrennbar sind, weil Begriffe kulturelle und historische Zusammenhänge haben. Jemand mit asiatischem Kultur- und Sprachhintergrund teilt zum Beispiel die historische Zeitrechnung anders ein. Dass das Kind automatisch weiß, welche Periode gemeint ist, wenn vom Mittelalter die Rede ist, ist nicht gegeben. Es gibt bestimmte Begriffe im Fachunterricht, die Schüler/innen je nach ihrem kulturellen Hintergrund nicht kennen können. Als Lehrkraft darf man aber nicht davon ausgehen, dass Kinder bestimmte Dinge einfach lernen und von alleine verstehen.

Bianka Werth
Bianka Werth
Foto: Privat

Werth: Dass eine Trennung nicht möglich ist, sieht man aber auch in ganz anderen Bereichen. Bei einem Frankreichaustausch habe ich erlebt,  dass in Frankreich keiner so spricht, wie wir es hier in der Schule lernen. Dies wird auch beim regionalen Sprachgebrauch offensichtlich. Ein Beispiel ist die oft strikte Trennung zwischen Britischem und Amerikanischem Englisch. Ich finde das schade, weil es bereichernd ist, Begriffe aus beidem zu kennen.

Ackerlauer: Sprache ist Abbild der Kultur und gleichzeitig unser Werkzeug um Kultur zu erschließen, deshalb ergibt sich hier keine strikte Trennung.

Die Herausforderung ist also, Sprache in der Schule nicht nur als Ausbildungsgut zu verstehen.

Forster: Beides ist wichtig. Schüler/innen sollten sich sprachrichtig ausdrücken können,  aber es sollte nicht ausschließlich auf Leistung geschaut werden.

Ackerlauer: Eigentlich wollen wir Freude und Interesse schaffen, dann kommt der Lernmotor in Gang. Es sind drei Dinge, die dafür zusammenspielen: das Sprachlevel, der Nutzen der Sprache sowie die Freude und Neugier auf die Sprache.

Werth: Ich finde, mit Interesse und Freude kann man auch die besten Ergebnisse erzielen. Sobald ein starker Leistungsdruck dazukommt, haben die Kinder nur noch im Kopf, welche Fehler sie nicht machen dürfen.

Weitere Informationen auf der Projektseite des Instituts für Grundschulforschung

Von Deborah Pirchner


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