Nur Kochen für Gotteskrieger?

Jana Trapp, LL.M., Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin und Doktorandin an der FAU
Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin und Doktorandin an der FAU, Jana Trapp, im Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Safferling, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der FAU über die Rolle von Frauen im System des „Islamischer Staats“ (IS). (Bild: Lérot)

Über die Rolle von Frauen bei IS-Verbrechen und welche Aspekte bislang zu wenig beachtet werden

Wurden am Anfang in Deutschland IS-Rückkehrerinnen nur selten für ihre Unterstützung und Beteiligung an der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) angeklagt und verurteilt, kommt es mittlerweile regelmäßig zu Prozessen. Damit gilt die deutsche Justiz als Vorreiterin in Europa. Doch welche Rolle spielen diese Frauen für das System des IS, warum werden sie in der Öffentlichkeit selten als Kriegsverbrecherinnen bezeichnet und welchen Aspekten sollte in Zukunft mehr Beachtung geschenkt werden? Ein Gespräch mit Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht der FAU, und Jana Trapp, LL.M., Rechtsreferendarin am Kammergericht Berlin und Doktorandin an der FAU.

Herr Prof. Safferling, vor deutschen Gerichten kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu Anklagen und Verurteilungen gegen sogenannte IS-Rückkehrerinnen. In der Öffentlichkeit ist jedoch dabei selten die Rede von Kriegsverbrecherinnen. Warum?

Porträt Prof. Dr. Christoph Safferling
Prof. Dr. Christoph Safferling, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht (Bild: Lérot)

Christoph Safferling: Die Bezeichnung der in Rede stehenden Frauen ist in der Tat nicht einheitlich. Innerhalb der Disziplin der Rechtswissenschaft drängt sich als möglicher Grund dafür auf, dass angesichts der Neuartigkeit des Phänomens, insbesondere durch den grenzüberschreitenden Aspekt der Aus- und Wiedereinreise, zu Beginn noch nicht klar war, auf welchen Tatbeständen der Schwerpunkt des strafrechtlichen Vorwurfs liegen wird. Daneben gibt es noch viele andere Disziplinen, die sich mit dieser Personengruppe befassen, sodass die begriffliche Konturierung vor allem über die charakteristische Grenzüberschreitung („Rückkehrerin“ oder „Heimkehrerin“) sowie die Organisation („IS-Rückkehrerinnen“) oder auch die geografischen Besonderheiten („Syrien-Rückkehrerin“) stattfindet.

Der Begriff „Kriegsverbrecherinnen“ bezieht demnach stärker das Völkerstrafrecht mit ein. Ein wesentlicher Teil der Anklagen gegen diese Frauen umfasst den völkerstrafrechtlichen Vorwurf der Begehung von Kriegsverbrechen. Der Begriff „Kriegsverbrecher“ wird aber seit den Nürnberger Prozessen oft allgemein verstanden und bezieht Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord mit ein. Darüber hinaus handelt es sich bei der Organisation des „Islamischen Staats“, an der sich die Frauen beteiligt haben (sollen), um eine terroristische Vereinigung, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet sind, unter anderem Kriegsverbrechen zu begehen.

Frau Trapp, welche Rolle spielen Frauen bei Verbrechen des IS?

Jana Trapp: Aus dem Westen rekrutierte Frauen spielen in der Organisation vor allem eine systemstabilisierende Rolle. Während in den überwiegenden Fällen männliche IS-Mitglieder mit Waffengewalt in den Kampf ziehen und somit den Bilderbuchfall des „Gotteskriegers“ im Rahmen der Strafverfolgung darstellen, übernehmen Frauen in den meisten Fällen Aufgaben wie Haushalt, Kindererziehung und Rekrutierung anderer Frauen. Zwar nehmen sie in Einzelfällen auch eine stärker öffentliche Rolle wahr, beispielsweise durch die Tätigkeit in Frauenbrigaden oder durch das Verfassen von verherrlichenden Blogbeiträgen; als aktive Kämpferin oder Kampfstrategien traten deutsche Frauen bislang allerdings nicht hervor.

Diese gezielte Einbindung von Frauen in IS-ideologisch zugeschnittene Lebensbereiche, mit welchen gewisse Handlungs(frei)räume einhergehen, birgt das Potenzial dadurch vor allem zur Einhaltung der ideologischen Verhaltensregeln beizutragen und somit der Langlebigkeit des Systems abzusichern.

Wie bewerten Sie den Umgang der deutschen Justiz mit IS-Rückkehrerinnen?

Jana Trapp: Der Umgang der deutschen Strafjustiz mit IS-Rückkehrerinnen lässt sich in drei Phasen einteilen:

Die erste Phase war maßgeblich von der Strafverfolgung männlicher IS-Mitglieder geprägt. Im Januar 2014 hatte das Bundesministerium für Justiz als Reaktion auf die Aktivitäten des IS die Strafverfolgungsermächtigung erteilt. Frauen und deren IS-motivierten Straftaten waren zu diesem Zeitpunkt kaum Gegenstand von Anklagen bzw. Urteilen. Vor Gericht standen im Zeitraum von 2014 bis 2019 lediglich zwei Frauen, deren Verfahren einen Ausreisesachverhalt zum Gegenstand hatten.

Die zweite Phase beginnt mit der Anklage von Jennifer W. im Jahr 2018, nachdem der Generalbundesanwalt öffentlich erklärt hatte, die Unterstützungstätigkeiten beim IS strafrechtlich zu verfolgen. Diese stellt den Startpunkt für weitere Anklagen gegen IS-Rückkehrerinnen dar. Innerhalb von zwei Jahren wurden rund 20 IS-Rückkehrerinnen vor Gericht gestellt und in der Folge verurteilt.

Den Beginn der dritten Phase bildet die erste große Rückholkampagne der Bundesregierung im Oktober 2021, der weitere folgten. Mehrere deutsche Frauen und ihre Kinder wurden aus Gefangenenlagern nach Deutschland zurückgeführt. Hier mussten die meisten dieser Frauen angesichts eines bereits gegen sie geführten Ermittlungsverfahrens direkt in Untersuchungshaft.

Wo es zu Anfang der Strafverfolgung wegen IS-motivierter Straftaten im Ausland zu nur sehr wenigen Anklagen gegen Frauen gekommen ist, kann die deutsche Strafjustiz heute, insbesondere im europäischen Vergleich, als eine Art „Pionierin“ bezeichnet werden. Das schlägt sich zunächst in den Anklage- sowie Verurteilungszahlen nieder, lässt sich aber vor allem durch die Anwendung und Interpretation der regelmäßig vorgeworfenen Straftatbestände erkennen.

Herr Safferling, welche Aspekte sind bislang in der Öffentlichkeit und in der Forschung zu wenig betrachtet worden?

Christoph Safferling: Angesichts des gesellschaftlichen Diskurses, in dem immer wieder traditionelle Stereotype mit Blick auf Motivation und Hintergründe dieser Frauen zur Ausreise beziehungsweise zum IS-Anschluss reproduziert werden, ist vor allem Forschung im Bereich der Kriminologie, aber auch der Rehabilitation sowie Reintegration wünschenswert. Gepaart mit der Auseinandersetzung von historischen Kontinuitäten, das heißt Frauen und Makrokriminalität in der bundesdeutschen Geschichte, kann auf diese Weise ein mehrdimensionales Bild von Täterinnen politisch motivierter Vorhaben entstehen.

Das wirkt sich mittelfristig auf ein besseres, profundes Verständnis und somit die Optimierung der Vorgänge, unter anderem in Strafverfolgung und Strafvollzug, aus. Langfristig können solche Erkenntnisse dazu dienen, die Variable „Geschlecht“ bei neuartigen Kriminalitätsphänomenen bereits von Anfang an sinnvoll mitzudenken und frühzeitig Ansätze für einen angemessenen Umgang zu entwickeln.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Christoph Safferling
Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht
Tel.: 09131/85-22247
christoph.safferling@fau.de