Mit LOMOBI vom Lehrstuhl bis zum Bäcker gehen

Das Assistenzsystem kann wie ein Rucksack am Körper angebracht werden. An der Körpervorderseite befindet sich eine 3D-Kamera, die das Assistenzsystem in Echtzeit mit Daten über die Beschaffenheit des Weges füttert.
Das Assistenzsystem kann wie ein Rucksack am Körper angebracht werden. An der Körpervorderseite befindet sich eine 3D-Kamera, die das Assistenzsystem in Echtzeit mit Daten über die Beschaffenheit des Weges füttert. Bild: FAU

FAU-Lehrstuhl FAPS entwickelt lernfähiges Assistenzsystem für Menschen mit Sehbeeinträchtigung

Am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik (FAPS) ist dieses Jahr das Projekt „Lernfähiges Assistenzsystem für Orientierung und Mobilität von sehbeeinträchtigten Personen im Alltag“ (LOMOBI) gestartet. Unter der Leitung von Medizintechnikerin Sina Martin werden Forschende der FAU innerhalb der nächsten zwei Jahre ein System entwickeln, das in der Lage ist, Menschen über unterschiedlichste Untergründe und durch unbekannte Situationen zu navigieren. Der finale Testlauf soll etwa zwei Kilometer lang sein und die Testpersonen vom Lehrstuhl hin zu einem Bäcker führen.

LOMOBI ist die Fortsetzung von ESI 2.0, welches das FAPS zusammen mit dem Interdisziplinären Zentrum für Eingebettete Systeme (IZ ESI) von 2013 bis 2014 durchführte. Das Ziel von ESI 2.0 war es, blinden oder sehbeeinträchtigten Sportlerinnen und Sportlern selbstbestimmtes Laufen auf Wald- und Schotterwegen mithilfe eines Assistenzsystems zu ermöglichen. Dazu wurde ein Rucksack entwickelt, der über ein eingebautes Navigationssystem verfügt. Feedbacksignale wie Vibrationen oder Tonabfolgen, die über Knochenschallkopfhörer abgegeben werden, warnen Joggerin oder Jogger vor Hindernissen, die in Echtzeit mittels 3D-Sensorik übermittelt werden.

LOMOBI: Flexibel, GPS-unabhängig, vorausschauend

Nun hoffen die FAU-Forschenden, den Anwendungsbereich des alten Assistenzsystems auszuweiten:  LOMOBI soll zum einen in der Lage sein, ohne GPS-Abdeckung zu funktionieren, so dass sich Nutzer/-innen auch in Gebäuden fortbewegen können. Ein weiteres Ziel ist die gefahrlose Bewältigung verschiedenster Untergründe und Übergänge. Aktuell nicht im Mittelpunkt des Projekts, aber dennoch sehr wertvoll für Anwender/-innen: Das System soll auch typisches menschliches Laufverhalten erlernen, so dass es bei entgegenkommenden Personen einen Weg um diese herum planen kann.

Unter der Leitung von Sina Martin konzentriert sich dabei Matthias Kalenberg vorwiegend auf die Navigation, während sein Kollege Helmut Engelhardt für die Bildverarbeitung verantwortlich ist.

Kontinuierlich lernend

LOMOBI soll sich kontinuierlich verbessern und lernen: Den Forschenden ist es wichtig, dass selbst unbekannte Situationen für das Assistenzsystem kein Hindernis darstellen. Bis zum Ablauf des Projekts in 2025 möchten sie deshalb eine Webplattform auf die Beine stellen, auf die sowohl LOMOBI-Nutzerinnen und -Nutzer als auch Sehende zugreifen, um Bilder von Umgebungen zu teilen. Die einzelnen Systeme integrieren diese Daten und lernen so neue Wege kennen. Zudem können Sehende über die Plattform die Daten von Umgebungen korrigieren, die sich für sehbeeinträchtigte Personen als problematisch erwiesen haben.

Nutzerzentrierte Entwicklung

Während das Projekt ESI 2.0 bereits wertvolle Erkenntnisse erbracht hat, steht im Zentrum der aktuellen Forschungsarbeit die Erfahrung der Anwenderin bzw. des Anwenders. Damit LOMOBI wirklich die Bedürfnisse von blinden und sehbeeinträchtigten Menschen erfüllt, haben sich Matthias Kalenberg und Helmut Engelhardt mit dem Zentrum für selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. (ZSL Erlangen) zusammengetan, um sich innerhalb eines Workshops mit den Mitgliedern dort auszutauschen. Im Zentrum standen Fragestellungen ethischer, juristischer und sozialer Natur: Besteht die Sorge der Stigmatisierung? Wie soll das Design des Systems aussehen? Wie wird mit der Datensicherheit und der generellen Sicherheit der Betroffenen umgegangen?

Zu einem späteren Zeitpunkt wird es ausgiebige Studien mit LOMOBI im Einsatz geben. Die finale Prüfung ist schließlich ein Spaziergang aus dem Gebäude der FAPS hin zu einem etwa zwei Kilometer entfernten Bäcker, geführt mithilfe des LOMOBI-Rucksacks. Der Weg dorthin beinhaltet im Prinzip alles, was LOMOBI bewältigen soll: Abschnitte, die nicht durch GPS abgedeckt sind, wechselnde Untergründe wie Teppich, Fließen, Asphalt oder Kies, Übergänge wie Stufen und Bodenleisten sowie entgegenkommender Personenverkehr.

Das Projekt LOMOBI wird in Höhe von rund 465.000 Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

Weitere Informationen

Matthias Kalenberg
Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung und Produktionssystematik
Tel.: +49 9131 85-20246
matthias.kalenberg@faps.fau.de