Akuten Stress anhand der Körperhaltung erkennen

Für seine Studie führte das FAU-Forschungsteam zunächst mit den Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmern den Trierer Sozialer Stresstest (TSST) durch. Abgebildet ist ein Proband, der vor vor einer Interviewpartnerin und einem -partner steht. An verschiedenen Stellen seines Körpers trägt er Sensoren.
Bild: FAU

Ein Schritt hin zu zukünftigen nicht-invasiven Methoden der Stressmessung

Sorgt Stress in sozialen Situationen für eine besondere Körperhaltung? Bewege ich mich anders, wenn ich mich unter Druck gesetzt fühle oder einen Konflikt befürchte? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der FAU sind in ihren Untersuchungen diesen Fragen nachgegangen. Anhand ihrer Studienergebnisse konnten sie maschinelle Lernmodelle trainieren, um gestresste von nicht gestressten Personen zu unterscheiden – der erste Schritt hin zu zukünftigen nicht-invasiven Methoden der Stressmessung.

„Im Vorfeld der Studie wussten wir nicht, was uns erwartet. Es handelt sich hierbei um die erste systematische Untersuchung von Körperbewegungen und -haltung mit Blick auf Stressbelastung,“ erklärt Robert Richer, Doktorand am Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik, die Studie, für die er Erstautor ist. „Wir hatten deshalb verschiedene Hypothesen darüber aufgestellt, wie psychosozialer Stress sich auf die Körperhaltung einer Person auswirken könnte. Würden vielleicht manche Personen in die Überreaktion gehen und sich zum Beispiel heftiger bewegen als sonst? Mit den Händen fuchteln oder ähnliches? Oder würden sie vielleicht erstarren?“

Stressbelastung: Zum ersten Mal den ganzen Körper im Blick

Dabei ist in der Psychologie bekannt, dass psychosozialer Stress, also Stress, der bei der Interaktion mit anderen Menschen auftritt, uns am häufigsten belastet. Bis dato wurden für seine Analyse jedoch nur Blut- oder Speichelproben herangezogen. Eine vollumfängliche Betrachtung des menschlichen Körpers inklusive Haltung und Bewegung fand in bisherigen Untersuchungen nicht statt. Das könnte sich durch die nun veröffentlichte Studie ändern, die Robert Richer zusammen mit weiteren FAU-Forschenden des DFG-geförderten Sonderforschungsbereichs „EmpkinS“ sowie dem Lehrstuhl für Gesundheitspsychologie und dem Lehrstuhl für Maschinelles Lernen und Datenanalytik durchgeführt hat.

Trierer Sozialer Stresstest (TSST) sorgt für gute Vergleichbarkeit der Ergebnisse

Zunächst führte das Forschungsteam mit den Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmern den Trierer Sozialer Stresstest (TSST) durch. Dieser wird bereits seit den frühen 1990ern eingesetzt, um psychosozialen Stress und physiologische Stressreaktionen zu untersuchen. Da dabei stets einem festen Protokoll gefolgt wird, lassen sich Ergebnisse daraus gut miteinander vergleichen. Probandinnen und Probanden eines TSST durchlaufen ein gestelltes Vorstellungsgespräch und müssen eine Rechenaufgabe im Kopf lösen. Für diese 15 Minuten bleiben die Gesprächspartner neutral und interagierten nicht.

Für direkte Vergleichbarkeit arrangierten die FAU-Forschenden eine Kontrollsituation: Wieder ein Vorstellungsgespräch mit ähnlichen Aufgaben, bei dem das Verhalten des Gegenübers nun jedoch freundlich und unterstützend war.

Stress reduziert unsere Bewegung

In beiden Gesprächssituationen trugen die Teilnehmer/-innen Sensoren am ganzen Körper: Der Kopf, die Schultern, jede Gliedmaße, Hände und Füße und die Brust – alles wurde mit kleinen Beschleunigungssensoren versehen, um die Bewegung des ganzen Körpers zu erfassen. Dabei zeigte sich bei allen Probandinnen und Probanden konsistent eine Reduktion der Bewegung in der Stresssituation sowie längere Zeitspannen der Bewegungslosigkeit. Das Ausmaß der Reduktion bzw. die Regungslosigkeit sei individuell gewesen, sagt Richer. „Eine Person, die generell aktiver ist, bewegt sich in einem solchen Fall also ruhiger, hat aber im Vergleich eventuell noch immer eine größere Bewegungsdynamik als eine Person, die sich grundsätzlich weniger bewegt. Doch bei allen konnten wir irgendeine Form der Bewegungsreduktion ausmachen.“

Unterstützung durch Machine Learning

Mit den gewonnenen Daten wurden maschinelle Lernmodelle, auch Machine Learning Pipelines genannt, entwickelt, um akuten psychosozialen Stress nur anhand von Bewegung zu erkennen. Die künstlichen, lernenden Modelle erkannten bei knapp 75% der untersuchten Personen korrekt, ob diese gestresst waren oder nicht. Das Ergebnis wird vom Forschungsteam als großer Erfolg gewertet. Auf Basis dieser Zahlen erscheint es realistisch, dass zukünftig maschinelles Lernen dazu genutzt werden könnte, um Körperhaltungen und -bewegungen auf akuten Stress hin zu bewerten.

Der Sonderforschungsbereich Empkins

Der Sonderforschungsbereich SFB 1483 “EmpkinS” (Empathokinästhetische Sensorik) vereint berührungslose radar-, funk- und kamerabasierten Sensortechnologien und innovative Signalverarbeitungsmethoden mit künstlicher Intelligenz, um Diagnose- und Therapiemöglichkeiten in Medizin und Psychologie zu modernisieren. Mehr Informationen zu aktuellen Studien und Forschungsprojekten: https://www.empkins.de/

Lernende Maschinen und Ethik

Der Einsatz von künstlicher Intelligenz kann für Erleichterung und mehr Arbeitseffizienz in den jeweiligen Einsatzbereichen sorgen. KI ist aber auch ein Quell für Unsicherheit und Sorge. Deshalb gibt es für die EmpkinS-Projekte an der FAU extra Ethikexpertinnen und -experten, die diese begleiten. Sie analysieren auf moralische Ansprüche hin, um unethischen Untersuchungen vorzubeugen.

Blick in die Zukunft: Kontaktlose Stressanalyse

Denn Stresstests auf Basis von Biomarkern wie Blut und Speichel sind teuer und kompliziert. Zum Beispiel muss man für die Abnahme von Blut nüchtern sein und kann an einem Tag nur eine bestimmte Menge der Flüssigkeiten abgeben. Generell unterliegen solche Nassproben genauen Regeln was die Probenentnahme, -lagerung und Übergabe ans Labor angeht. Deshalb möchte Prof. Dr. Nicolas Rohleder, Leiter des FAU-Lehrstuhls für Gesundheitspsychologie und der Studie, diese Methoden langfristig an den Nagel hängen: „Wir sehen, dass gesamtgesellschaftlich die Belastung durch Stress wächst: Es zeigt sich z.B. in den Kosten im Gesundheitswesen und in der Häufung von Abwesenheiten von der Arbeit. Wir möchten auf Basis dieser Studie eine Methode entwickeln, die uns hilft, Stress kontaktfrei zu untersuchen und besser zu verstehen. Statt eine Nadel legen zu müssen, könnten in Zukunft Beobachtungen durch lernende Maschinen genügen.“