Reine Nervensache

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Kristian Franze ist Professor für Medizinische Physik und Mikrogewebetechnik an der FAU und einer der Direktoren des neu gegründeten Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin (MPZPM). (Foto: FAU/Boris Mijat)

Seit August 2020 hat Kristian Franze die Humboldt-Professur an der FAU inne. Der Physiker und Tierarzt erforscht, welche mechanischen Kräfte das Wachstum von Nervenzellen beeinflussen.

Unser Nervensystem ist ebenso komplex wie faszinierend: Ohne Nervenzellen wüssten wir nicht, ob es hell oder dunkel ist, ob warm oder kalt. Wir könnten nichts ertasten und nicht fühlen, ob uns jemand berührt. Wir würden nichts riechen oder schmecken und hätten keine Ahnung, dass wir uns den Magen verdorben oder in den Finger geschnitten haben.

Was lässt Nervenzellen wachsen?

Kristian Franze beschäftigt sich mit Nervenzellen, genauer gesagt mit den Mechanismen, die das Wachstum der Zellen steuern. „Vor mehr als einhundert Jahren begann die Wissenschaft, darüber zu diskutieren, welche Reize für das Zellwachstum verantwortlich sind, ob chemische, elektrische oder physikalische“, sagt er. „In den vergangenen Jahrzehnten war die Forschung stark auf die biochemischen Prozesse fokussiert, die mechanischen Kräfte sind etwas in Vergessenheit geraten.“ Prof. Franze will das ändern. Seine Untersuchungen zur Wechselwirkung von Mechanik und Nervensystem gelten als bahnbrechend – 2020 wurde er dafür mit einer Humboldt-Professur ausgezeichnet, dem höchstdotierten deutschen Forschungspreis. Im August hat er diese Professur in Erlangen angetreten, er ist Direktor des Instituts für Medizinische Physik und Mikrogewebetechnik an der FAU und einer der Direktoren des neu gegründeten Max-Planck-Zentrums für Physik und Medizin (MPZPM), das gerade gebaut wird und Ende 2023 bezogen werden soll.

Heureka: Gewebemechanik hat entscheidenden Einfluss

Kristian Franze
Seit August 2020 hat Kristian Franze die Humboldt-Professur an der FAU inne. (Foto: FAU/Boris Mijat)

Sein wissenschaftlicher Hintergrund sei bunt, was ihm bei seiner interdisziplinär ausgerichteten Forschungsarbeit zugutekomme, sagt Franze: Der gebürtige Hallenser ist in der Bauhausstadt Dessau aufgewachsen und hat in Leipzig Tiermedizin studiert. Dass er als Tierarzt nicht glücklich werden würde, merkte er bald in verschiedenen Praktika: „Da musste ich mich zum Teil mehr um die Besitzer kümmern als um die Tiere“, erzählt er. „Das entsprach nicht meiner Vorstellung von diesem Beruf.“ Franze wechselte zur Physik und promovierte über die Mechanik des Gehirns. Mit einem Stipendium der Humboldt-Stiftung forschte er von 2007 bis 2011 als Postdoc an der University of Cambridge, kehrt anschließend kurz an die Universität Leipzig zurück, bevor er mit seiner eigenen Gruppe 2011 am Department of Physiology, Development and Neuroscience in Cambridge anfing. Kristian Franze interessiert, woher Nervenzellen wissen, wohin sie wachsen, mit welchen Zellen sie sich verbinden und wo sie aufhören müssen zu wachsen. Mit seiner Arbeitsgruppe in Cambridge hat er Nervenfortsätze, sogenannte Axone, von Kaulquappen untersucht, die die Zellen der Netzhaut mit dem Gehirn verbinden. Beim Wachstum ändern diese Axone an einer bestimmten Stelle im Gehirn ihre Richtung – die Arbeitsgruppe fand heraus, dass an genau dieser Stelle das Umgebungsgewebe deutlich steifer ist, als in den übrigen Bereichen und dass diese erhöhte Steifigkeit eine Bedingung für normales Nervenzellwachstum ist. „Das war ein regelrechter Heureka-Moment für uns und hat unsere Forschung enorm beflügelt“, sagt Prof. Franze. Denn damit war zum ersten Mal der Beweis erbracht, dass mechanische Eigenschaften des Gewebes maßgeblichen Einfluss darauf haben, wie schnell und in welche Richtung Nervenzellen wachsen.

Unheilbare Krankheiten erforschen

An der FAU und am MPZPM will Kristian Franze diese Forschung mit einem Team aus Fachleuten aus der Medizin, der Biologie, der Physik und den Ingenieurwissenschaften weiter vorantreiben. Die Forschenden lassen Nervenzellen auf unterschiedlich steifem Gewebe wachsen und testen verschiedene Möglichkeiten, dieses Gewebe durch Medikamente und Chemikalien, aber auch gentechnisch zu beeinflussen. „Wenn wir es schaffen, mit der Manipulation der Gewebemechanik neuronales Wachstum gezielt anzuregen oder zu stoppen, dann könnten wir möglicherweise einen Beitrag für die Behandlung bisher unheilbarer Krankheiten leisten“, erklärt Kristian Franze. Die Arbeitsgruppe nimmt zum Beispiel Verletzungen des Rückenmarks ins Visier. Denn im Gegensatz zu Fischen oder Kaulquappen können Säugetiere beschädigte Nervenbahnen des zentralen Nervensystems nicht erneuern. Das Team will herausfinden, warum Kaulquappen diese Nervenzellen problemlos regenerieren, während erwachsene Tiere das nicht mehr können – und ob sich die grundlegenden Mechanismen auf Säugetiere oder gar den Menschen übertragen lassen. Kristian Franze ist optimistisch: „Wir betreiben Grundlagenforschung und sind schon auf einige vielversprechende Ansätze gestoßen. Vielleicht können wir so dazu beitragen, dass eines Tages Querschnittslähmungen tatsächlich heilbar sind.“

Deutsches Brot und fränkisches Bier

Die FAU ist für Kristian Franze kein völliges Neuland, er kenne schon einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Ort, erzählt er. „Ich habe die Uni als sehr visionär erlebt und bin begeistert davon, mit welchem Enthusiasmus hier neue Forschungsthemen angegangen werden.“ Mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen, fünf und acht Jahre alt, ist er ins Erlanger Umland gezogen. „In der ländlichen Umgebung fühlen wir uns wohl, wir sind keine Großstadtmenschen“, sagt Kristian Franze. „Hier im Ort haben wir einen Bäcker mit gutem Brot direkt vor der Haustür – das ist in Großbritannien nicht leicht zu bekommen.“ Und noch etwas gefällt ihm an Franken: das Bier. „Die 13 Jahre in Cambridge waren eine tolle Zeit, aber an das Ale habe ich mich nie gewöhnen können.“


alexander – Aktuelles aus der FAU

FAU Magazin alex Titel Ausgabe 114

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FAU-Magazin alexander Nr. 114 (Oktober 2020)

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