Jobkiller Digitalisierung und Elektromobilität?

Elektroauto wird aufgeladen
Die Kernbotschaften der Studie: Bei den Beschäftigten in der Autobranche besteht eine hohe Bereitschaft zu Weiterbildung und persönlicher Veränderung. (Bild: Colourbox.de)

FAU-Studie zeigt: Beschäftigte in der Autobranche sorgen sich weniger als bisher gedacht

Digitalisierung und Elektromobilität sorgen für einen grundlegenden Wandel im Automobilbereich. Während die gängigen Erzählungen Arbeitnehmer/-innen oft Defizite und Ängstlichkeit angesichts der anstehenden Umbrüche unterstellen, kommt eine Studie unter Leitung der FAU zu einem bemerkenswert anderen Ergebnis. Sie beleuchtet anhand der Volkswagen AG, wie sich die Transformationsprozesse für die Beschäftigten darstellen und schließt damit eine Forschungslücke.

In der breit angelegten empirischen Studie mit dem Titel „Arbeit und Qualifizierung 2030“ kommt das Forschungsteam um Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, Inhaberin des FAU-Lehrstuhls für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft, zu einem überraschenden Ergebnis: „Die Kernbotschaften unserer Studie sind eindeutig: Bei den Beschäftigten besteht eine hohe Bereitschaft zu Weiterbildung und persönlicher Veränderung, sie haben im Transformationsprozess einen ausgeprägten Gestaltungswillen sowie ein grundsätzliches Vertrauen in sich und das Unternehmen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Dagegen ist das Vertrauen in die Politik in puncto Arbeitsplatzsicherheit und Weiterbildungsperspektiven deutlich angeschlagener.“

Studie nimmt Ressourcen der Beschäftigten in den Blick

Portrait Prof. Dr. Sabine Pfeiffer
Prof. Dr. Sabine Pfeiffer, Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft an der FAU. (Bild: www.thomasriese.com)

Ein zweiter zentraler Fokus der Studie, die auf Initiative des Volkswagen Nachhaltigkeitsbeirates entstanden ist, liegt auf den Ressourcen der Beschäftigten, die ihnen zur Verfügung stehen, um für den Umbruch gewappnet zu sein. Auch hier setzt die Untersuchung mit einem anderen Blick an. Statt ein Defizit immer schon zu unterstellen, konzentriert sich das Forschungsteam auf übersehene, unterschätzte und im Transformationsprozess erst entstehende Ressourcen, die in diesem auch gezielt fruchtbar gemacht werden können.

„Entgegen der üblichen Sichtweise in der Forschung wollten wir den Fokus nicht darauflegen, was Transformation für die ferne Zukunft des Arbeitsmarktes bedeutet“, betont Prof. Dr. Sabine Pfeiffer. „Uns ging es vielmehr darum, klarzumachen, wieviel Aufwand überhaupt nötig ist, damit der Wandel überhaupt ins Laufen kommt. Wir können zeigen, dass ein Großteil der Transformation bei den normalen Beschäftigten ankommt und von ihnen gestaltet wird.“

Schmerzhafte Einschnitte, gestaltbare Normalität und Vertrauen in die Zukunft

Die Studie, an der an der FAU auch Prof. Dr. Karl Wilbers, Lehrstuhl für Wirtschaftspädagogik und Personalentwicklung beteiligt war, eröffnet damit einen Einblick in die – möglicherweise unterschätzten – Potenziale, die im Unternehmen vorhanden sind und für einen erfolgreichen Wandel systematischer entfaltet werden können. So wird die Digitalisierung von den Beschäftigten nicht per se als „Jobkiller“ gesehen, vielmehr finden sich sogar erhoffte und willkommene Entlastungserwartungen, die sich an die Digitalisierung richten. Zugleich wird der Wechsel in eine technisch veränderte Welt nicht grundsätzlich als die große Zäsur empfunden, sondern als gewissermaßen bekannte Normalität. Die Studie klammert aber auch nicht aus, an welchen Stellen die Transformation schmerzliche Einschnitte bedeuten kann – wenn bisherige Expertise beispielsweise plötzlich entwertet, da nicht mehr gebraucht wird.

„Vertrauen und positive Zukunftssichten sind in dynamischen Transformationszeiten alles andere als Selbstläufer, sondern müssen immer wieder neu über Prozesse in der Organisation erarbeitet werden“, unterstreicht Prof. Dr. Sabine Pfeiffer. Wichtigste Barrieren für den Beginn längerer Weiterbildungsmaßnahmen finden sich laut Studie sehr stark auch im lebensweltlichen Bereich, Stichwort Familie, und durch die Erfahrung, dass die bereits gemachte eigene Weiterbildung oder die anderer sich nicht „rechnete“, also nicht mit einer inhaltlich adäquaten Stelle belohnt wurde.

Über die Studie

Das für diese Studie erhobene empirische Material gibt einen einmaligen Einblick in den Maschinenraum der Transformation bei Volkswagen. Fast 200 Beschäftigte, Führungskräfte, Expert/-innen und Interessenvertreter/-innen kamen in über 100 qualitativen Interviews und zahlreichen Workshops zu Wort. Mehr als 3.520 Beschäftigte gaben über eine quantitative Befragung Auskunft. Ergänzt wurde der einmalige quantitative und qualitative Datensatz um eine Online-Erhebung mit über 600 Beschäftigten der Automobilbranche außerhalb von Volkswagen sowie einer Branchenanalyse. Neben der FAU waren beteiligt: Georg-August-Universität Göttingen, FernUni Hagen, Leibniz Universität Hannover, Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF München), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB).

Die Automobilindustrie – als Schlüsselsektor der deutschen Volkswirtschaft – ist deshalb von besonderem Interesse, weil die digitale und die ökologische Transformation diese gleichzeitig und massiver als andere Bereiche trifft. Während die quantitativen Auswirkungen von Digitalisierung und Elektromobilität auf Beschäftigung und Qualifikation in der Automobilindustrie mittlerweile recht gut erforscht sind, ist bislang weniger gut beleuchtet, wie sich die Transformationsprozesse qualitativ in den Beschäftigungsverhältnissen aktuell darstellen.

Die Studie „Arbeit und Qualifizierung 2030“ adressiert diese Forschungslücke umfassend im Hinblick auf das Transformationserleben, die Transformationsressourcen und die Transformationsbereitschaft der Beschäftigten. Neben einem reichhaltigen Fundus an arbeitssoziologischen Erkenntnissen gibt sie zudem Handlungsempfehlungen zu strukturellen und organisationalen Erfordernissen für ein Gelingen des Transformationsprozesses aus arbeitssoziologischer Perspektive.

Weitere Informationen:

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer
Lehrstuhl für Soziologie mit dem Schwerpunkt Technik – Arbeit – Gesellschaft
Tel.: 0911/5302-96670
sabine.pfeiffer@fau.de